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Sprache / Rechtschreibreform / Berichte 2005/10-12 / 133. Juristen zur Rechtschreibreform
 

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Juristen zur Rechtschreibreform
 Forschungsgruppe Deutsche Sprache e.V.

 

In zwei Beiträgen bilanziert das führende Fachorgan Neue Juristische Wochenschrift (49/2005) die Rechtsprechung zur Rechtschreibreform. Beide Autoren kommen trotz unterschiedlicher Aus­gangspunkte zu weitgehend deckungsgleichen Schlußfolgerungen. Sie zeigen auf, warum in der Schule nicht allein die reformierte Rechtschreibung unterrichtet werden sollte.

Dr. Wolfgang Kopke, Arbeitsrichter und Autor der Arbeit Rechtschreibreform und Verfassungsrecht (1995), kommentiert die jüngsten Beschlüsse des OVG Lüneburg. Er ergreift die Gelegenheit, »die dürftige Argumentation«, welche dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1998 zu­grunde lag, noch einmal zu resümieren. Mit Blick auf die auffällige Eile, mit der die Karlsruher Richter seinerzeit eine eigene Entscheidung verkündeten, urteilt Kopke, es sei ihnen ersichtlich »nicht um unbefangene Rechtsfindung« gegangen, sondern darum, »der KMK beizuspringen«:

»Während das BVerfG ansonsten nicht müde wird, unter Hinweis auf seine Überlastung die Rechtsuchenden aufzufordern, zuerst die Fachgerichtsbarkeit zu bemühen, hatte man es hier ganz eilig, dem BVerwG zuvorzukommen. Denn hätte dieses in Fortsetzung seiner bisherigen Schulrechtsprechung das wohlbegründete Urteil des VG Berlin bestätigt, wäre die Reform er­ledigt gewesen, da die Senatsverwaltung hiergegen nicht vor das BVerfG hätte ziehen können und die Verfassungsbeschwerde dann schon vor einer mündlichen Verhandlung des BVerfG zurückgenommen worden wäre.«

Unabhängig von diesen Vorgängen habe das Karlsruher Urteil »nur eine begrenzte Reichweite«. Die Lüneburger Richter hätten richtig erkannt, daß ihm »keine Bindungswirkung hinsichtlich der Auslegung von Landesrecht zukommt«. Außerdem beruhe das Urteil von 1998 auf An­nahmen, »die zwischenzeitlich widerlegt sind, nämlich den jeweiligen Prognosen der Kultus­minister, die Reform erleichtere den Rechtschreibunterricht und werde sich auch außerhalb der Schule allgemein durchsetzen«. Die Akzeptanz der Reform sei weiterhin zweifelhaft, wie Repräsentativumfragen ebenso wie der fortwährende Widerstand namhafter Schriftsteller und bedeutender Pressehäuser zeigten. Kopke verweist zudem auf die Zwangsmittel, mit denen seit 1998 die Verwendung der amtlichen Schreibung vorangetrieben wurde: »[W]o die neue Schreibung verwendet wird, ist dies häufig auf eine Lektoratsentscheidung zurückzuführen, welcher sich der Autor (so auch hier) beugen muss«.

Von politischer Seite gehe es inzwischen »offensichtlich nur noch darum, aus falsch ver­standener Staatsraison das Eingeständnis eines Fehlers zu vermeiden«. Von den Kultus­ministern werde kaum mehr zur Sache argumentiert, sondern nur darauf abgehoben, daß ein Aufgeben der Reform »untragbare Kosten verursache und den Schülern nicht zuzumuten sei«. Eine fortgesetzte »Verunsicherung« sei aber auch mit den Revisionsbemühungen verbunden, die von der Zwischenstaatlichen Kommission begonnen wurden und gegenwärtig vom Rat für deutsche Rechtschreibung fortgesetzt werden.

MITGLIEDER DES BEIRATS: Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Friedhelm Kemp, Walter Kempowski, Michael Klett, Gustav Korlén, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Herbert Rosendorfer, Bernd Rüthers, Rafik Schami, Albert von Schirnding. 
BANKVERBINDUNG : Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee (BLZ 711 525 70), Konto-Nr. 859 00 02.

Das Lüneburger Gericht habe zwar »einen Anspruch der Schüler bejaht, (auch) in der her­kömmlichen Schreibung unterwiesen zu werden«, andererseits aber keinen »vollstreckbare[n] Titel geschaffen«, indem es einen Antrag der Klägerin auf einstweilige Anordnung abwies. Dennoch, so Kopke, sei das Land Niedersachsen »gehalten, den vom höchsten für die Aus­legung des Schulgesetzes zuständigen Gericht festgestellten Anspruch der Schülerin zu er­füllen«. Dies auch im eigenen Interesse, da es andernfalls »zu unnötigen weiteren und (zu­mindest im Hauptsacheverfahren) für das Land kostenträchtigen Klagen« kommen könne. In jedem Fall seien die Länder »dauerhaft verpflichtet, beide Schreibweisen zu lehren«, wenn auch die herkömmliche weiterhin außerhalb der Schulen üblich bleibe. Für den Fall einer Rücknahme der Reform gelte weiterhin der Leitsatz eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom
20. 7. 1999: »Es besteht kein Anspruch auf Unterrichtung nach den Regeln der Rechtschreibreform«.

Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, Assistent an der Universität Bayreuth, zieht eine Bilanz nach »Zehn Jahren Rechtschreibreform«. Er erinnert an den Beschluß der KMK zur Durchführung der Reform vom 1. 12. 1995, welcher der Wiener Absichtserklärung vom 1. 7. 1996 voranging.

Gärditz gesteht, wie schon die Karlsruher Richter, dem Staat eine gewisse orthographische Regelungskompetenz zu und glaubt, daß die Rechtschreibung im Unterschied zur gesprochenen Sprache »zu einem maßgeblichen Teil Derivat des schulisch vermittelten Bildungsauftrags des Staates« sei. Andererseits stellt er fest, daß die von der Reform und ihrer sanktionsbewehrten Einführung betroffenen Schüler durchaus in ihren Grundrechten berührt seien: »Die Schreib­freiheit ist ein Ausdruck der auch sprachgeprägten Persönlichkeit des Schreibenden und wird daher dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts [. . .] zugeordnet.« Zugleich werde durch die Reform »mittelbar-faktisch« auch in das grundgesetzlich geschützte Erzie­hungsrecht der Eltern eingegriffen.

Hingegen verneint Gärditz einen aus der sog. Wesentlichkeitstheorie abgeleiteten Gesetzesvor­behalt. Die Reform gehöre in den »Bereich ›technischer‹ Fragen der Lehrplangestaltung und wertfreier Wissensvermittlung«. Ihre »objektiv geringe Intensität« spreche »gegen eine gesamt­gesellschaftliche Bedeutung von verfassungsrechtlicher Relevanz«. »Die Pflege der Recht­schreibung durch die Exekutive« sei daher »Ausdruck rationaler Entscheidungszuordnung«. Im Unterschied zu Kopke geht Gärditz also mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1998 konform.
Gärditz konzediert jedoch, daß »Sprache etwas Lebendiges« sei, das nicht beliebig dem staat­lichen Zugriff unterliege: »Sprachformung bedarf als gesellschaftlich-kulturelles Phänomen auch eines Mindestmaßes an Akzeptanz in der Bevölkerung.« Aus dieser Prämisse ließe sich ableiten, daß die Reform nicht zu beanstanden sei, da sie (nach Auffassung ihrer Urheber) die Sprache selbst unberührt lasse und ihre Vorgaben auch außerhalb der staatlichen Sphäre mittlerweile in beachtlichem Maße befolgt würden. Im Gegenteil dringt aber Gärditz zur gleichen Einschät­zung der Lage vor wie Kopke und die Lüneburger Richter.

Daß die herkömmliche Rechtschreibung voraussichtlich »zumindest für längere Zeit als bedeu­tendes kulturelles Phänomen erhalten bleiben« werde, bedeute für die Schule, daß sie sich der herrschenden »orthografischen Pluralität nicht vollständig entziehen« könne. In diesem Sinne deckt sich sein Résumé mit den Forderungen Kopkes:

»Es besteht ein Anspruch auf eine schulische Ausbildung, deren Inhalte nicht in einer bloßen Selbstbeschreibung verharren oder auf die ›Amtlichkeit‹ des vermittelten Wissens verweisen, sondern im Interesse eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Freiheit gerade diese gesell­schaftlichen und kulturellen Kompetenzen vermitteln. [. . .] Auf das Phänomen Rechtschrei­bung bezogen bedeutet dies, dass sich das staatliche Schulwesen nicht auf eine reine Unter­richtung der neuen Schreibregeln zurückziehen darf, sondern zugleich flankierend auf die kulturelle Wirklichkeit fortbestehender paralleler Schreibweisen angemessen hinweisen muss.«

 



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