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Sprache / Rechtschreibreform / Berichte 2005/10-12 / 135. Neue Reform der RSR
 

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Die neue Reform der Rechtschreibreform

 

(13.12.2005)
Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird auf seiner nächsten Sitzung am 3. Februar 2006 seine Beratungen vorläufig abschließen, damit die Kultusminister auf ihrer Konferenz im März das Ergebnis seiner Arbeit begutachten können. Bereits jetzt steht, wie die Geschäftsführerin des Rates mitteilt, »weitgehend fest«, welchen »Änderungsumfang« die kommende Revision der Rechtschreibreform haben soll. Das ermöglicht eine kritische Würdigung der vom Rat an­gestrebten Maßnahmen.

Die Amtliche Regelung von 1996 zerfällt in sechs Teile, woran sich die folgende Darstellung orientiert. Drei Teile wurden von der Kultusministerkonferenz am 8. April 2005 für »unstrittig« erklärt. Der Rat erhielt dementsprechend den Auftrag, das Regelwerk (in der überarbeiteten Fassung von 2004) zur Grundlage seiner Beratungen zu machen und Änderungsvorschläge nur zu den Bereichen Getrennt- und Zusammenschreibung, Zeichensetzung und Worttrennung auszuarbeiten.

1. Zu den vorgeblich über jede Kritik erhabenen Bereichen zählt das Kapitel Laut-Buch-staben-Zuordnungen. Der Rat hat sich an die politische Vorgabe gehalten, hier keinerleiÄnderungen ins Auge zu fassen. Ein Vorstoß von österreichischer Seite, das ß nach schweizeri­schem Vorbild ganz abzuschaffen, fand keine Mehrheit.

Die durch die Reform veränderte Verteilung von ss und ß ist bekanntlich für die weit überwie­gende Zahl der ins Auge des Lesers fallenden Veränderungen im Schriftbild verantwortlich. Wer, wie nahezu alle Ratsmitglieder, am Überleben der Reform interessiert ist, muß über die offenkundigen Nachteile der Neuregelung (bisschen, Missstand) und die Erosion der Recht­schreibsicherheit bei Kindern und Erwachsenen, wie sie in irrtümlichen ss-Schreibungen (fleissig, Kenntniss, Strasse) zum Vorschein kommt, notwendigerweise hinwegsehen.

Von hohem Symbolwert sind auch die Drei-Buchstaben-Regel (Flussschifffahrt) und einige auf­fällige Eindeutschungen wie z. B. Tipp und Potenzial. Erstaunlicherweise hält der Rat darüber hinaus an so erfolglosen Neuschöpfungen wie Krepp (für Crêpe) oder Tunfisch fest. Ihre Existenz­berechtigung ist natürlich ebensowenig »unstrittig« wie die der Schreibweisen schnäuzen oder Stängel, die auf eigenwillige Vorstellungen des führenden Reformers Gerhard Augst zurück­gehen. Sowohl Eindeutschungen als auch Volksetymologien hat es schon immer gegeben, sie dürfen aber keinesfalls amtlich vorgeschrieben werden.

2. Das kontroverseste Kapitel der Neuregelung ist zweifellos das zur Getrennt- und Zusam­menschreibung. Daß der Rat signalisierte, in vielen Fällen der Zusammenschreibung wieder den Vorzug zu geben, sicherte ihm frühzeitig das Wohlwollen der Öffentlichkeit. Weithin über­sehen wurden darüber die Defizite der vorgeschlagenen Revision.

MITGLIEDER DES BEIRATS: Dieter Borchmeyer, Friedrich Forssman, Theodor Ickler, Friedhelm Kemp, Walter Kempowski, Michael Klett, Gustav Korlén, Burkhart Kroeber, Reiner Kunze, Adolf Muschg, Sten Nadolny, Herbert Rosendorfer, Bernd Rüthers, Rafik Schami, Albert von Schirnding. 
BANKVERBINDUNG: Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee (BLZ 711 525 70), Konto-Nr. 859 00 02.

Den umformulierten Regeln gemäß wäre eislaufen und er läuft eis zu schreiben, staubsaugen und er saugt Staub, Rad fahren und er fährt Rad. Das läßt erkennen, daß der Rat weder die Getrennt- und Zusammenschreibung selbst noch die angrenzenden Zweifelsfälle der Groß- und Klein­schreibung hinreichend im Griff hat.

Eislaufen zählt der Neufassung zufolge zu jenen Fällen, »bei denen die ersten Bestandteile die Eigenschaften selbstständiger (!) Substantive weitgehend verloren haben«. Diese Begründung soll auch für die Schreibung leidtun herhalten, obwohl das Adjektiv leid keineswegs mit dem Sub­stantiv Leid identisch ist oder jemals war. Der Rat schreibt hier ein längst erkanntes gramma­tisches Fehlurteil der Reformer fort und weigert sich wie diese, die herkömmliche Schreibung leid tun anzuerkennen. Aus gut tun, leid tun, not tun, leid sein, not sein machte die Reform gut tun, Leid tun, Not tun, leid sein, Not sein. Der Rat korrigiert zu gut tun, leidtun, nottun, leid sein, Not sein.

Statt leid könnte überhand zu den unselbständig gewordenen Substantiven gerechnet werden – stattdessen wird es zu jenen Verbpartikeln geschlagen, die »Merkmale von frei vorkommenden Wörtern verloren haben«. Daraus folgt die Zusammenschreibung von überhandnehmen und über­handgenommen. Die vom Ratsvorsitzenden Hans Zehetmair angestrebte »Orientierung am Schreibgebrauch« lassen Festlegungen dieser Art vermissen.

Während der Rat einerseits nicht wenige Zusammenschreibungen obligatorisch neu einführen möchte, ist er andererseits nicht bereit, alle durch die Reform für obsolet erklärte Wörter – rad­fahren, spazierengehen, zuviel usw. – zu rehabilitieren. Zum Teil möchte er es beim Nebeneinander beider Formen belassen – hier zu Lande neben hierzulande, mithilfe neben mit Hilfe, Bluejeans neben Blue Jeans usw. –, zum Teil sieht er in der Einführung weiterer Alternativen – kennenlernen neben kennen lernen, maßhalten neben Maß halten usw. – bereits die Lösung des Problems. Die heute all­gegenwärtigen Übergeneralisierungen – Schreibweisen wie hervor getreten, heut zu Tage usw. – können auf diese Weise nicht zurückgedrängt werden.

Mit diesen und zahlreichen anderen Unstimmigkeiten konfrontiert, erklärte der Urheber der Vorlage, der Potsdamer Linguist Peter Eisenberg, in der Süddeutschen Zeitung, sich mit »so etwas wie fundamentalen Detailproblemen« nicht abgeben zu wollen. Tatsächlich aber zeigen sich an den Details die fundamentalen Probleme der Revision. Einerseits nimmt der Rat, wie schon die von ihm abgelöste Zwischenstaatliche Kommission, wenig Rücksicht auf Sprach­geschichte, Schreibgebrauch und grammatische Richtigkeit. Andererseits schont er die mit der Reform verbundenen politischen und ökonomischen Interessen, indem er die meisten der 1996 neu eingeführten Schreibungen gelten läßt.

3.  Das Kapitel Schreibung mit Bindestrich ist von vergleichsweise untergeordneter Bedeu­tung. Von der KMK als »unstrittig« definiert, hat es der Rat undiskutiert gelassen. Folglich wer­den nicht einmal die Behelfsschreibungen Schluss-Strich oder Schiff-Fahrt wieder aus dem Verkehr gezogen, obwohl sie, da noch unbeholfener wirkend als Schlussstrich und Schifffahrt, ungebräuch­lich sind. Bleiben soll auch der 45-jährige Mann bzw. der 45-Jährige, das 8-Fache usw. Diese Vor­schrift ist nicht nur wegen ihrer Fehlerträchtigkeit abzulehnen, sondern vor allem deshalb, weil sie zur Großschreibung von bloßen Wortbestandteilen anhält, denen diese Auszeichnung nicht zukommt.

Übergeneralisierungen (50-er Jahre usw.) sind auch hier zu beobachten. Der Rat hat es vorgezogen, diese Probleme zu ignorieren.

4. Mit Ausnahme der Übergangsbereiche zur Getrennt- und Zusammenschreibung gilt die re­formierte Groß- und Kleinschreibung ebenfalls offiziell als »unstrittig«. Der Rat hat auf seiner jüngsten Sitzung dennoch eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die diesen Bereich überprüfen soll. Darin liegt zwar eine gewisse Unbotmäßigkeit gegenüber der KMK; der Auftrag an die Arbeitsgruppe ist jedoch ausdrücklich auf wenige Punkte eingeschränkt. Zudem gehören ihr mit Peter Gallmann und Karl Blüml zwei führende Mitglieder der ehemaligen Zwischenstaatlichen Kommission an, die einschneidende Maßnahmen zu verhindern wissen werden.

Voraussichtlich wird man sich auf einige weitere Variantenschreibungen verständigen. Ein Nebeneinander von gelber und Gelber Karte, von die meisten und die Meisten usw. ist bereits seit der überarbeiteten Fassung des Regelwerks von 2004 vorgesehen. Die Tolerierung der Groß­schreibung des Du in Briefen wird wohl neu hinzukommen. Die grammatisch falschen Groß­schreibungen Bankrott bzw. Pleite gehen könnten – wie im Falle von Leid tun – durch die Zusam­menschreibungen bankrottgehen und pleitegehen ersetzt werden. An das ähnlich gelagerte Recht haben wird man hingegen kaum rühren wollen.

Fest steht, daß die Bestimmung, wie bisher Terra incognita, aber neu Alma Mater zu schreiben, bleiben soll, vom Schreibenden also weiterhin eine sichere Unterscheidung zwischen Sub­stantiven und anderen Wortarten in allen Fremdsprachen erwartet wird. Unverändert bleiben sollen zudem die ebenso häufigen wie bedenklichen Großschreibungen gestern Morgen, morgen Abend usw. sowie im Allgemeinen, des Weiteren, auf dem Laufenden usw., die allesamt als obligatorisch gelten. Diese Schreibungen wurden bereits von der Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts als übertrieben und grammatisch fragwürdig erkannt. Der Rat bleibt hinter diesem Erkenntnisstand zurück und dringt nicht zu einem angemessenen Verständnis der Großschreibung vor.

5. Im Bereich der Zeichensetzung hat sich der Rat dazu durchgerungen, das Komma vor er­weiterten Infinitivgruppen, die mit um, ohne, statt usw. eingeleitet werden oder von einem Substantiv abhängen, wieder obligatorisch zu machen. Hingegen soll das Komma vor gleich­rangigen Hauptsätzen, die mit und oder oder beginnen, weiterhin ins Belieben der Schreibenden gestellt sein. Die möglichen Folgen illustriert das Regelwerk mit dem Beispielsatz Ich fotografierte die Berge und meine Frau lag in der Sonne. Der revidierte Text liegt zwar noch nicht vor, es ist aber anzunehmen, daß er weiterhin den potentiell unkommatierten Beispielsatz Er sah den Spazierstock in der Hand tatenlos zu enthalten wird. Eine Beseitigung aller Mängel der reformierten Komma­setzung hat sich der Rat nicht vorgenommen.

6. In das Kapitel Worttrennung am Zeilenende hat man redaktionell stärker eingegriffen. Die vorgesehenen Umstellungen und Umformulierungen haben aber nur eine einzige greifbare Konsequenz: Die Abtrennung einzelner Vokalbuchstaben (a-ber, Musse-he usw.) soll nicht mehr möglich sein. Weil der Rat andererseits an der Untrennbarkeit von ck festhält, können dann Acker, Ecke usw. überhaupt nicht mehr getrennt werden.

Obwohl die Öffentlichkeit ad nauseam mit den Beispielwörtern Analphabet und Urinstinkt trak­tiert wurde, deren Trennung nach der zweiten Silbe zu vermeiden sei, bleibt die Trennung Urin­stinkt im Zweifel auch nach den revidierten Vorschriften weiterhin erlaubt, ebenso wie Urins­tinkt. Die Zulässigkeit der zahllosen minderwertigen Trennungen wie z. B. hi-nauf, he-rab, Ins­tanz, Subsk-ription usw. zieht der Rat nicht in Zweifel. Das ist weder sachlich angemessen noch zeitgemäß angesichts einer technischen Entwicklung, welche die Schreibenden von den Schwierigkeiten der Silbentrennung weitgehend entlastet hat.
Falls die vorstehend skizzierten Vorschläge des Rates für deutsche Rechtschreibung von den deutschen Kultusministern und ihren Kollegen in den anderen deutschsprachigen Staaten ak­zeptiert werden, womit wohl zu rechnen ist, wird sich die amtliche Rechtschreibung in gewis­sem Maße der herkömmlichen Orthographie annähern. Diese bleibt jedoch auch der ein wei­teres Mal reformierten Reformschreibung weiterhin klar überlegen. Wer bisher an der gewöhn­lichen Orthographie festgehalten hat, wird sich bestätigt sehen, nicht aber veranlaßt, davon abzugehen. Für die Sprachrichtigkeit und Einheitlichkeit der künftigen deutschen Recht­schreibung ist damit durch die Arbeit des Rates wesentlich weniger erreicht als erforderlich.

 



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