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Sprache / Rechtschreibreform / Berichte 2004/7 - 12 / 56. Mit Wulff zurück
 

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Mit Wulff zurück nach vorne
Die bewährte Rechtschreibung ist modern


 

Hans Krieger in der Bayerische Staatszeitung vom 09.07.2004   

Die Kultusminister haben versagt; gefordert sind nun die Ministerpräsidenten, gefordert sind die Parlamente. Die Kultusminister haben den Mut nicht aufgebracht, das Scheitern der Rechtschreibreform einzugestehen und das verfehlte Experiment abzublasen. Sie haben stattdessen verfügt, daß an den Schulen ab August 2005 eine höchst konfuse "Reformschreibung" als allgemein verbindich durchzusetzen ist, die das Rad der Sprachentwicklung rückwärts gedreht und die deutsche Wortbildungsgeschichte umgekrempelt hat und obendrein zu zahllosen Grammatikverstößen zwingt. Daß nun die Ministerpräsidenten dafür sorgen müssen, den Unfug zu beenden und eine Verhunzung der Sprache abzuwehren, meint einer von ihnen, der niedersächsiache Regierungschef Christian Wulff (CDU), und in seinem saarländischen Kollegen Peter Müller hat er bereits einen Mitstreiter gefunden. Eine Aufhebung der Rechtschreibreform durch die Parlamente haben zugleich fast 60 Professoren der Rechtswissenschaft in einer Petition gefordert.

Das Thema steht damit wieder auf der politischen Agenda, von der es die Kultusminister gerade endgültig abgeräumt zu haben schienen. Es verlangt nun nach tatkräftigen Entscheidungen, die einen unerträglichen Zustand beenden und das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik wiederherstellen. Ob nun die Ministerpräsidentenkonferenz ein Umsteuern einleitet oder Länderparlamente den Ausstieg aus der Reform beschließen - die Tatkraft wird belohnt werden, denn nur 13 Prozent der Bevölkerung heißen die Rechtschreibreform gut. Ein Zurückweichen vor innovationsscheuer Trägheit wäre ein Abbruch der mißlungenen Reform allerdings nicht. Es wäre ein mutiger Schritt nach vorne, mit dem erreicht würde, was die Rechtschreibreform vergeblich anstrebte: eine nicht nur einheitliche, sondern zweckmäßige, vernünftig differenzierte, also zeitgerecht moderne Regelung der Orthographie.

Wir haben eine solche zweckmäßige Orthographie gehabt; sie hatte sich bewährt - trotz minimaler Mängel, die teils unvermeidlich sind, weil Sprache als etwas Lebendiges nicht lückenlos regulierbar ist, teils ohne den Radikaleingriff einer "Reform" mit behutsamen Retuschen zu beheben gewesen wären. Von vielleicht wohlmeinenden, aber eitlen Reformeiferern haben wir uns beschwatzen lassen, mit einem Gewaltakt umzukrempeln, was die Sprachweisheit vieler Generationen geschaffen hatte. Das konnte nicht gut gehen und ist nicht gut gegangen. Die angestrebte Erleichterung des Schreibenlernens wurde nicht erreicht, sondern uferlose Verwirrung trat ein. Die neuen Regeln sind nicht einfacher zu begreifen als die alten; sie sind spitzfindiger und widersprüchlicher und weitgehend überhaupt nicht zu verstehen. Die völlig willkürlichen neuen Regeln für Getrennt- oder Zusammenschreibung haben viele Hunderte von Wörtern aus dem Sprachschatz getilgt; dies bedeutet den Verlust von Bedeutung, Unterscheidungen und damit Entdifferenzierung des schriftsprachlichen Ausdrucks, also kulturelle Regression. Und die Verpflichtung zu ungrammatischen, also sprachwidrigen Schreibungen gefährdet langfristig Fundamente des Sprachbewußtseins. Alle Versuche aber, durch punktuelle Nachbesserungen die gravierendsten Mängel zu beheben, haben das Chaos nur vermehrt. Niemand kennt sich mehr aus, niemand weiß, welches der einander widersprechenden Wörterbücher maßgeblich ist.

Reformbereitschaft zeigt sich in einer solchen Situation nicht im Festhalten am nachweislich falschen Weg nach dem Motto "Augen zu und durch". Wer die Rechtschreibreform beibehalten will, entscheidet sich für den sprachkulturellen Rückschritt. Er tritt für Verunsicherung beim Schreibenlernen ein, für Erschwerung des Lesens, für den Abbau der Ausdrucksdifferenzierung und für die systematische Demontage des Sprachgefühls. Er erklärt sich für die Mißachtung des Volkswillens, auch für die Mißachtung des Deutschen Bundestages, der vor sechs Jahren in einem überparteilichen Beschluß verkündet hat: "Die Sprache gehört dem Volk." 1996, als die Einführung der Rechtschreibreform beschlossen wurde, war es noch möglich, guten Gewissens für sie einzutreten, denn die Folgen waren für den Nichtfachmann noch kaum erkennbar. Heute liegen die Folgen vor aller Augen; ein Festhalten an der Reform ist nicht mehr zu verantworten. Wahre Reformbereitschaft zeigt sich in dem Willen, aus Fehlern zu lernen: sie zeigt sich in der Umkehr, im Vorwärtsschritt zu dem als besser längst Bewährten.

Zu verantworten ist ein Festhalten an der Rechtschreibreform nicht einmal vor jenen Schulkindern, die seit 1996 den Neuschrieb lernen mußten: sie dürfen nicht zu Geiseln werden, mit denen die Betreiber der mißratenen Reform die Sprachgemeinschaft erpressen. Kindern fällt das Umlernen nicht schwer; ich sage das als Angehöriger einer Generation, die im Grundschulalter von Sütterlinschrift auf lateinische Schrift problemlos umlernte. Für die jüngeren Kinder ist nur ein sehr geringer Teil ihres Wortschatzes von der Umorientierung betroffen, und die etwas älteren begegnen ohnehin Texten, die nicht in Reformschreibung gedruckt sind. Und alle erhalten eine wunderbare Gelegenheit, die Vorzüge gelobter Demokratie zu erfahren: das als falsch Erkannte kann geändert werden und wird geändert.

Und am Umlernen führt ohnehin kein Weg vorbei. Es findet ständig statt - nur eben nicht als ein Umlernen auf wieder klare Verläßlichkeiten, sondern zu wachsender Unsicherheit und Beliebigkeit. Der Duden-Auflage von 2000 ist eine andere Orthographie zu entnehmen als der von 1996; beide sind an den Schulen zugelassen. Die von der Kultusministerkonferenz abgesegneten Reform-Nachbesserungen, die die nun abgetretene Zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung kürzlich in ihrem vierten und letzten Arbeitsbericht empfohlen hat, zwingen zur Änderung von mehreren tausend Wörterbucheinträgen. Und was ist, wenn in fünf Jahren der neue "Rat für Rechtschreibung" seine Änderungsvorschläge präsentiert? Es bleibt eine ewige Flickschusterei mit endlosen Nachkorrekturen und endlosem Neulernen. Nur die rasche Rückkehr zum Bewährten schafft Klarheit mit vertretbarem Aufwand. Die Mehrheit der Lesenden und Schreibenden fühlt sich ohnehin in der "alten" Schreibung zuhause, die anderen werden schnell und mit wenig Mühe in ihr heimisch, und nach einer großzügig bemessenen Übergangsphase, in der selbstverständlich die Reformschreibung nicht als falsch gewertet werden darf, ist das ganze heutige Schreibchaos eine Schauermär aus vergangenen Tagen.

Auch die Kosten brauchen nicht zu schrecken. Sofort erneuert werden müssen lediglich die Wörterbücher, und da darf man die Lexikonverlage durchaus ein wenig in die Pflicht nehmen, denn sie haben an der von ihnen mitinszenierten jahrelangen Unsicherheit kräftig verdient und zum Teil auf eine Weise verdient, die man schamlos nennen darf. Bei allen übrigen Büchern, auch Schulbüchern, kann die Umstellung bis zum Fälligwerden einer Neuauflage aufgeschoben werden. Die vorübergehe Koexistenz unterschiedlicher Orthographien kann nicht verwirrender sein als das Rechtschreibchaos, das heute der tägliche Blick in die Zeitung offenbart. Der niedersächsische Ministerpräsident hat ein Signal zur Umkehr gesetzt. Bayern mit seiner reichen literarischen Tradition, seiner dominierenden Position im Buchmarkt, seinem weithin noch intakten Wertebewußtsein und seiner wohlbegründeten Treue zum geschichtlich Bewährten hat gute Gründe, sich ihm anzuschließen. Und es kann nur einen einzigen Grund finden, dem Beispiel nicht zu folgen: Angst vor der eigenen Courage

 



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