von Volker Gadenne, Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Linz.
Menschen haben Empfindungen und Gefühle, und sie können Arten solcher mentaler Ereignisse wiedererkennen und unterscheiden. Sie haben erfahren, wie der Geschmack einer Zitrone ist und wie er sich von dem eines Stücks Schokolade unterscheidet. Sie wissen, wie das Blau des Himmels aussieht und wie es sich anfühlt, wenn man einen Finger in zu heißes Wasser taucht. Sie haben Gefühle der Freude und Trauer erlebt und wissen daher, wie es ist, solche Gefühle zu erleben. Dieses erlebte "wie" eines mentalen Zustandes ist ein Quale (Plural Qualia). Man nennt es auch die Erlebnisqualität oder phänomenale Qualität des betreffenden mentalen Zustandes oder Ereignisses. Oft werden auch diese Zustände oder Ereignisse selbst Qualia genannt. Qualia sind weiterhin durch die Formulierung beschrieben worden, "wie es für ein Subjekt ist", in dem mentalen Zustand zu sein, wie sich der Zustand ,,an-fühlt". Der Begriff "quale" wurde 1929 von C. I. Lewis eingeführt, seine Bedeutung unterschied sich von der heutigen ein wenig, da sie im Zusammenhang mit Annahmen (über phänomenale Einzeldinge) stand, die heute von den meisten Philosophen verworfen werden.
Qualia sind mit einer subjektiven Perspektive (erste-Person-Perspektive) verbunden: Sie werden jeweils nur von dem Subjekt erfahren, das in dem entsprechenden mentalen Zustand ist. Es besteht Einigkeit darüber, dass nicht alle mentalen Zustände eine Erlebnisqualität besitzen. Man kann z. B. etwas glauben oder wissen, ohne im Augenblick daran zu denken. In diesem Fall wird das Glauben oder Wissen nicht in irgendeiner Weise erlebt. Wie ist es, wenn man sich gerade dessen bewusst wird, dass man z. B. glaubt oder bezweifelt, dass es einen heißen Sommer geben wird? Man hat dann bewussten Zugang zu einem eigenen propositionalen Zustand, aber dieses unmittelbare Wissen scheint nicht von derselben Art zu sein wie das Erleben von Empfindungen und Gefühlen. Man bezeichnet die Qualia-Ereignisse auch als das phänomenale Bewusstsein. "Bewusstsein" ohne den Zusatz "phänomenal" umfasst mehr als die Qualia, bezeichnet dieser Ausdruck doch so Verschiedenes wie Wachheit, Fähigkeit zu kognitiven Leistungen oder Selbstbewusstsein. Die Qualia stehen für eine Art von Bewusstsein, das keine Sprache voraussetzt und das vermutlich auch nichtmenschliche Lebewesen besitzen.
Die Qualia haben den Materialismus oder Physikalismus in Bedrängnis gebracht, sie spielen die zentrale Rolle in der Debatte um die Frage, ob ein Physikalismus aufrechterhalten werden kann. Argumente, die mit Qualia zusammenhängen, richten sich gegen alle Spielarten der Identitätstheorie sowie gegen den eliminativen und den funktionalen Materialismus. Bekannte Argumente dieser Art wurden im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte von S. Kripke, T. Nagel, F. Jackson und J. Levine vorgebracht. Befürworter solcher Argumente kommen zu dem Ergebnis, dass der Physikalismus unhaltbar ist. Die Gegenseite wiederum versucht zu zeigen, dass die Qualia-Argumente nicht stichhaltig sind (eine aktuelle Verteidigung des Materialismus durch einen seiner wichtigsten Vertreter: Armstrong 1999). Als eines der größten Probleme in der Philosophie des Geistes wird heute von vielen die Frage angesehen, wie die Qualia in ein naturwissenschaftliches Weltbild eingeordnet werden können: Wie kann man die Qualia "naturalisieren"?
Worin genau besteht das Problem? Die Ergebnisse der Neuropsychologie sprechen dafür, dass Qualia mit den Ereignissen im Nervensystem gesetzmäßig verknüpft sind. Angenommen, P sei ein komplexes Ereignis, das sich in einigen Tausend Nervenzellen abspielt, Q sei ein Qualia-Ereignis, und es gelte das Gesetz: Immer wenn P dann Q. Könnte dies Aussagen der folgenden Art rechtfertigen? Q ist mit P identisch. Q ist in Wirklichkeit P (auch wenn Q uns anders erscheinen mag). Jedes einzelne Vorkommnis von Q ist als ein Vorkommnis von P realisiert. Q ist auf P reduzierbar. - Ein (reduktiver) Physikalist muss etwas von dieser Art behaupten. Als Vorbild für eine reduktive Erklärung dienen dabei Aussagen wie "Temperatur ist Molekularbewegung" oder ,,Gene sind DNA-Moleküle". Auch bei diesen Beispielen ist eine Reduktion nicht ganz unumstritten, aber man kann etwa so argumentieren: Eine Eigenschaft wie die Temperatur eines Gegenstandes lässt sich "extrinsisch" oder "relational" definieren durch eine Reihe von Gesetzen, die die Temperatur mit anderen Eigenschaften verknüpfen: Sie nimmt zu, wenn der Körper mit einem wärmeren Körper in Kontakt kommt. Wenn sie hinreichend hoch ist, bringt sie ein Stück Eisen zum Glühen und Schmelzen usw. Es konnte nun gezeigt werden, dass die mittlere kinetische Energie der Moleküle genau diese kausale Rolle spielt. Daher kann man sagen, dass die Temperatur als Molekularbewegung realisiert ist oder dass sie auf die Molekularbewegung reduzierbar ist. Es gibt die Temperatur nicht zusätzlich zur Molekularbewegung. Ähnlich wurde das Gen als etwas verstanden, das gewisse kausale Funktionen hat, die es zum Träger der Erbinformation machen. Und es stellte sich heraus, dass DNA-Moleküle diese kausale Funktion haben.
Bisher ist es aber nicht überzeugend gelungen, Qualia in Analogie zu diesen Beispielen zu erklären. Ein Ereignis wie eine Schmerzempfindung steht zwar in Verbindung zu auslösenden Ursachen, zu anderen mentalen Zuständen und zum Verhalten. Ohne diese Verknüpfungen mit intersubjektiv beobachtbaren Ereignissen wäre es gar nicht möglich, sich mit anderen Menschen über Qualia zu verständigen. Zusätzlich zu diesen Relationen haben Empfindungen aber eine bestimmte Erlebnisqualität, und eben diese und nicht die kausale Rolle ist gemeint, wenn man von Qualia spricht. Es sind keine "extrinsischen", relationalen Eigenschaften, sondern "intrinsische". Anderen Menschen schreiben wir Qualia zu, weil sie sie in ihrem Verhalten ausdrücken, aber uns selbst schreiben wir sie nicht als "theoretische Entitäten" zu, sondern weil wir sie deutlich erfahren. Dass es die Qualia nicht gäbe, oder dass sie in Wirklichkeit etwas Physikalisches wären, dies kommt für viele einer Behauptung gleich, die nicht nur falsch, sondern schlichtweg unsinnig ist. Aber auch Physikalisten vertreten ihren Standpunkt hartnäckig, und Vertreter der beiden Lager haben sich gegenseitig als "Qualia-Freaks" und ,,Qualia-Phobiker" bezeichnet.
Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte haben die Vertreter eines "gemäßigten" Physikalismus zugenommen. Ein reduktiver Physikalismus behauptet, dass alles in der Welt (z.B. Dinge, Eigenschaften, Relationen, Ereignisse) physikalischer/biologischer Natur ist. Ein nichtreduktiver Physikalismus besteht nur darauf, dass alle Dinge oder Substanzen physikalisch/biologisch sind. Danach gibt es keine geistigen Wesen ohne physischen Körper und auch keine menschliche Seele als Substanz, die unabhängig vom Körper existieren könnte. Ein nichtreduktiver Physikalismus behauptet jedoch nicht, dass alle Eigenschaften und Ereignisse, die in der Welt vorkommen, physikalischer/biologischer Natur sind. Es gibt eine Vielfalt von Eigenschaften, die keineswegs alle in den Bereich der Physik/Biologie fallen. Zu ihnen gehören unter anderem die Qualia. Man pflegt diese Position auch als nichtreduktiven Monismus zu bezeichnen.
Für eine nichtreduktive Position verschiebt sich das Hauptproblem von der Frage der Reduktion der Qualia zu der Frage, wie diese mit den Zuständen und Ereignissen der physikalischen Welt zusammenhängen. Viele vertreten in dieser Hinsicht die Annahme der Supervenienz der Qualia. Die Qualia sind supervenient in Bezug auf die physikalischen Zustände und Ereignisse im Organismus. D. h. wenn sich zwei Organismen in ihren physikalischen Zuständen gleichen, dann gleichen sie sich auch in ihren Qualia. Kein Unterschied in Bezug auf die Qualia ohne einen Unterschied im Physischen. Wenn daher die physikalischen Zustände des Organismus feststehen, dann stehen auch die Qualia fest. Die Umkehrung wird nicht behauptet. Es könnte Veränderungen im Physischen, etwa Prozesse im Nervensystem, ohne Veränderung im mentalen Bereich geben. Aber im mentalen Bereich kann nichts frei variieren.
Wenn Qualia supervenient und zugleich nicht reduzierbar sind, dann gibt es Gesetze der Form "Immer wenn P dann Q". P kann man sich dabei vorstellen als ein komplexes Ereignis, das Tausende von miteinander vernetzten Neuronen involviert. Q ist eine physikalisch nichtreduzierbare Eigenschaft des subjektiven Erlebens. Die Verknüpfung von Q mit P ist ein Faktum der Natur, das sich nicht mehr auf grundlegendere Gesetze zurückführen lässt. Die beliebte Frage "Wie schaffen es die Nervenzellen, so etwas wie Q hervorzubringen?" (das sogenannte ,,Rätsel des Bewusstseins") hat keine zusätzliche Antwort, ebensowenig wie die Frage, warum zwischen physischen Körpern Kräfte walten. Es ist einfach so, die Welt ist so beschaffen, dass einige physikalische Ereignisse damit einhergehen, dass ein Organismus subjektive Erlebnisse hat. Physikalisten halten es für extrem unplausibel, dass es solche P-Q-Gesetze geben sollte und suchen nach Lösungen, die ein solches Ergebnis vermeiden.
Das Hauptproblem des gemäßigten Physikalismus ist die kausale Rolle der Qualia: Wenn Qualia supervenieren, dann gibt es zu jedem Q ein P als physikalische Basis. Unter diesen Umständen scheinen die Q's kausal irrelevant zu sein. Für jedes P genügt ein anderes P als Ursache. Das Feuern von Neuronen beispielsweise besteht aus elektrochemischen Vorgängen, die durch andere elektrochemische Vorgänge verursacht werden. Man versteht diese Prozesse recht gut, und es wäre eine unnötige und unplausible Annahme, Qualia als Ursachen elektrochemischer Ereignisse heranzuziehen. P's verursachen andere P's, und die Q's laufen als Begleitphänomene mit. Widerspricht dies nicht der Intuition, dass das Spüren des Zahnschmerzes eine kausale Rolle für das Verhalten eines Menschen spielt? Man gerät in ein Dilemma (Kim 1998): Entweder kehrt man zurück zu der Annahme, dass der Schmerz ein P-Ereignis ist und genau deshalb wirken kann, und man nimmt erneut die Probleme der Reduktion der Qualia auf sich. Oder man bleibt dabei, dass eine Reduktion nicht möglich ist und akzeptiert, dass die Qualia ,,Begleitphänomene" sind, die im kausalen Geschehen keine Rolle spielen. Was ist eher verzichtbar, der intrinsische Charakter (die Nichtreduzierbarkeit) der Qualia oder ihre kausale Effizienz?
Das Dilemma beruht freilich auf der Voraussetzung, dass die physikalische Welt kausal abgeschlossen ist: Jedes P hat ein anderes P als Ursache; eben deshalb kommt kein Q als Ursache in Frage, das nicht mit einem P identisch ist. Und es wird davon ausgegangen, dass Verursachung mehr ist als gesetzmäßige Aufeinanderfolge von Ereignissen. Sonst könnten nämlich problemlos eine Schmerzempfindung Q und ihre physiologische Basis P1, die beide einem Verhalten P2 gesetzmäßig vorausgehen, zugleich als Ursache von P2 angesehen werden. Wenn sich Probleme in einem Forschungsbereich als sehr hartnäckig erweisen, ist es angebracht, denjenigen Voraussetzungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die den Rahmen der Debatte bilden. Die zugrunde liegende Kausalitätsauffassung gehört hierzu. Zu diskutieren ist weiterhin, ob es eigentlich einen hinreichend klaren Begriff des Physischen bzw. Physikalischen gibt. Und nicht zuletzt muss die Frage aufgeworfen werden, ob es überzeugend ist, nur diejenigen Dinge und Eigenschaften für real zu halten, die von den Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie) erforscht und nachgewiesen werden, so dass man Grund hat, von allen anderen (z.B. mentale Zustände, subjektive Erlebnisse) zu fragen, wie sie "naturalisiert" werden können.
Literatur zum Stichwort in Auswahl: Nagel, T.: What is it like to be a bat? Philosophical Review 83, 1974, S. 435-450. Deutsch in: Über das Leben, die Seele und den Tod. Königstein (Ts.), Hain 1984. Im Buchhandel vergrifffen.
Levine, J.: Recent Work on Consciousness. American Philosophical Quarterly 34, 1997, S. 379-404.
Gadenne, V.: Qualia ohne kausale Wirksamkeit. Logos 4, 1997, S. 20-39.
Kim, J.: Philosophie des Geistes. Wien, Springer 1998. 285 S., kt., DM 79.--..
Links Interview mit Patricia Churchland
Externe Links Hans Josef Heyer: Kritik zu Volker Gadennes "Qualia"
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