Der Sprachgebrauch
Ein Nichtgermanist mit Sprachgefühl, der den bspw. im SZ-Leserteil ausgetragenen Disput unter den Germanisten, also den Fachleuten in Sachen Schreibreform verfolgt hat, mußte erstaunt feststellen, daß nicht nur die häufig unter Zeitdruck stehende "schreibende Zunft" nicht ständig mit dem Regelwerk der deutschen Sprache unter dem Arm herumläuft (vor dem Bildschirm sitzt), sondern auch die Sprachspezialisten einige Schwierigkeiten damit haben. So war der Unterschied zwischen Wort und Wörter bspw. auch einem Rhetorik-Professor nicht geläufig. Die "Wörter"-Vernichter haben bereits die Begriffe Codeworte, Paßworte, Fremdworte, Stichworte etc. unters Volk gebracht, das jede Neuschöpfung begierig aufgreift, unterstützt von allen, die viel reden aber nichts zu sagen haben.
Auf meinen diesbezüglichen Vorwurf in einem Leserbrief an die SZ verwies ein tief gekränkter (prominenter) Leser, offenbar sich selbst tröstend, auf den Duden, der als Plural für Wort sowohl Wörter als auch Worte gleichberechtigt nebeneinander zuließe. Der Trost sei ihm zwar gegönnt, aber entweder steht ein Fehldruck des Dudens in seinem Regal oder er hat die Erläuterungen für die beiden Pluralbildungen nicht gelesen.
Im Duden 1991 folgen Weitere Beispiele, aus denen klar hervorgeht, daß der Plural "Worte" immer dann für mehrere Wörter steht, wenn diese im Zusammenhang einen Sinn ergeben. Dementsprechend ist "Worte" im Grammatik-Duden (1966, Bd. 4) in den Kapiteln über das "Wort" auf insg. 118 Seiten nicht ein einziges Mal erwähnt. Ältere Ausgaben des Dudens aus Ost und West erklären Worte und Wörter analog.
Schon Luther ...
Der Bedeutungsunterschied zwischen "Worte" und "Wörter" ist, man kann sagen, uralt. So schrieb Martin Luther in seiner Bibelübersetzung (vollendet 1534): "Du wägest Dein Gold und Silber ein; warum wägest Du nicht auch Deine Worte auf der Goldwaage?". Kein Mensch würde im daraus abgeleiteten Sprichwort "die Wörter auf die Goldwaage legen". In "Trübners Deutsches Wörterbuch", (1940, Bd. 8) heißt es u. a.: Seit der zweiten Hälfte des 17. Jh. wird von den Sprachtheoretikern die heute gültige, in der lebenden Sprache aber noch immer nicht restlos durchdrungene Begriffsdifferenzierung der beiden Pluralbildungen gefordert: wörter pflegt man zu gebrauchen, wenn die meinung auf etzliche entzele wörter gerichtet ist: worte aber, wenn man eine gantze meinung, so in den worten bestehet, andeutet. Und für weitere Informationen: Im fünfbändigen Sprichwörterlexikon (K.F.W. Wander, 1987) sind zu Wort, Wörter und Worte insg. 998 Zitate angeführt.
Die Inkonsequenz des Duden
Der Duden, "Die Instanz für die deutsche Sprache", wie er sich bezeichnet, verhält sich bei Wortverbindungen mit "Wort" nicht konsequent (richtig). So präsentierte er in den Presse-mitteilungen Ende 2000 die Wortbildungen Stichwortbestand, Wörterverzeichnis, Stichwörter und Stichwortliste. Enthält das Stichwortverzeichnis etwa nur ein einziges Wort? Der lasche Umgang mit "Wort" läßt befürchten, daß in absehbarer Zeit die allgemein benutzte falsche Pluralbildung Worte (in Codeworte, Paßworte, Fremdworte, Stichworte, Hauptworte usw.) vom Duden sprachlich legalisiert wird, und zwar mit der Begründung, man wisse ja, was gemeint sei. Eben nicht, weil Worte für mehrere Wörter steht, die zusammen einen Sinn ergeben.
Auch in "Richtiges und Gutes Deutsch, 1997, gibr der Duden nicht gerade ein Beispiel für Sprachaufklärung, wenn er resignierend feststellt, "Die dargelegte Unterscheidung (gemeint ist zwischen "Wörter" und "Worte") ist allerdings den wenigsten Menschen gekäufig und wird im Sprachalltag immer seltener eingehalten." Warum wohl?
Mit der von der Dudenseite im Internet abrufbaren "Profisuche" kommt man angeblich schneller ans Ziel. Und was ist zum Suchen einzutragen? "Stichworte" statt "Stichwörter". Wirksamer als der Duden kann man nicht beitragen, die Regeln außer Kraft zu setzen.
Unwörter
Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GdS) in Wiesbaden sucht regelmäßig das "Unwort" des Jahres, pikanterweise mit einem Wort, das gleichfalls in die gesuchte Kategorie einzuordnen ist. Dem jährlichen Aufruf entsprechend werden immer Wörter politischen Inhalts gesucht und gewählt. Bemühungen der GdS, die vielen Unwörter, Unbegriffe und Unwendungen anzuprangern, die den sprachlichen, logischen und grammatikalischen Gesetzen widersprechen, sind nicht bekannt. Es wäre zum Pflegen der deutschen Sprache nützlich, den Sprachmüll zu benennen und dessen Gebrauch bewußt zu machen. Eine Rote Liste mit zum Aussterben bedrohten Wörtern, zur Zeit scheint das Wort "warum" gefährdet zu sein, das ständig durch "wieso" ersetzt wird, wurde vor vielen Jahren in Aussicht gestellt; ihr Inhalt blieb bisher unbekannt. Es gäbe genügend Material, auch Abonnenten für die Liste und für regelmäßig erscheinende kritische Berichte über Unwörter, Unbegriffe, Unformulierungen und anderen Unsinn, zusammengefaßt als Unsprache, zu senden vorzugsweise an Schulen und Redaktionen der Zeitungen und Funkanstalten.
Ist nicht auch bereits das Wort "Unwort" eine Fehlbezeichnung (Unbezeichnung)? Denn üblicherweise deutet die Vorsilbe "un" einen Gegensatz an, wie bspw. bei den Wortpaaren "Sinn" und "Unsinn", "schön" und "unschön", "reif" und "unreif". Die jährliche Reklame für das "Unwort" läßt befürchten, daß die deutsche Sprache bald mit weiteren derartigen "Un"-Schöpfungen bereichert wird wie "Unküche", "Unauto", "Unwohnung" und "Unstraße". Wie wäre es noch mit "Unregierung", "Unsex", "Unmann", "Unfrau", "Unwitz" usw.? Das klingt ziemlich komisch und ist nur eine Frage der Gewöhnung. Unsere Kinder werden es noch erleben - und eines (Un-)Tages die "Ver-un-staltungen" der Sprache im "Unduden" lesen.
Weitere Beispiele
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