Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / D.Mißachtung kommunikativer Erf.
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

„Mißachtung kommunikativer Erfordernisse"

Anglizismen und Anglizismenkritik der 1990er Jahre werden erforscht 
Von Thomas Paulwitz

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 25 Herbst 2006, S. 8
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

 

Die Wende von 1989 brachte nicht nur die Wiedervereinigung Deutschlands und den Fall des Eisernen Vorhangs, sondern war auch der Beginn einer höheren Stufe der Globalisierung. Die Vereinigten Staaten von Amerika galten als einzig verbliebene Supermacht. Von zwei verschiedenen politischen Polen, nach denen sich die Staaten ausrichteten, war nur noch einer übriggeblieben.

 

Durch den plötzlichen Wegfall des Ost-West-Konfliktes breitete sich der weltweite Markt mit einem Sprung beträchtlich aus. Technische Neuerungen revolutionierten die Verständigungswege auf der ganzen Welt: Das Mitteilen von Botschaften wurde einfacher, schneller und billiger. Das alles führte zu einem Schub für die Welthandelssprache Englisch und die amerikanische Art zu sprechen, zu denken und zu handeln.

 

Die Möglichkeiten der Sprachbeeinflusser nahmen zu: Obgleich für Sprachen und Kulturen ein überschaubarer und identitätsstiftender Rahmen förderlicher ist, setzten sich Herrschaftsmuster durch, in denen die Macht von regionalen und nationalen Einheiten in übergeordnete und schlechter kontrollierte Strukturen verlagert wurde.

 

Damit verbunden war ein Verlust von Durchsichtigkeit und Mitbestimmung: Ein Nährboden für Sprachmanipulation wuchs heran, denn die politischen und ökonomischen Institutionen erreichten auf der einen Seite immer mehr Menschen, während sie auf der anderen Seite von den Menschen immer weniger erreicht werden konnten. Das Ungleichgewicht der Sprachkontakte nahm zu und damit der Druck auf die Sprachen, besonders auf die deutsche.

 

Papst Benedikt XVI. beschrieb im Jahr 2000 als Joseph Kardinal Ratzinger den Widerspruch aus Vereinheitlichung und Verwirrung, den die Globalisierung mit sich brachte, indem er einen Vergleich mit dem Turmbau zu Babel heranzog (siehe DSW 4, Seite 2):

 

„In Babel ist die Einheit der Menschheit und der Versuch, selber Gott zu werden und dessen Höhe zu erreichen, ausschließlich an das technische Können gebunden. Eine Einheit auf dieser Basis aber, wird uns nun gesagt, die trägt nicht, wird zur Verwirrung. […] Einerseits gibt es diese Einheit. […] Insofern gibt es so etwas wie die Einheitszivilisation bis hin zu McDonald’s als dem Einheitsfutter der Menschheit. Während nun diese Uniformierung im ersten Augenblick eigentlich wie eine Art Versöhnungskraft richtig und gut zu sein scheint – genau wie die Einheitssprache im babylonischen Turmbau –, wächst gleichzeitig die Entfremdung der Menschen voneinander. […] Hier geht die tiefere Kommunikation der Menschen untereinander verloren“.

 

Deutschland als Mittelpunkt des Ost-West-Gegensatzes wurde nach 1990 zu einem Versuchsfeld der Globalisierung. Da Deutschland nach dem verlorenen Krieg und der jahrzehntelangen Trennung noch auf der Suche nach seiner Identität war, war die Gesellschaft besonders anfällig für Modeströmungen.

 

Joachim Güntner stellte im Jahr 2001 in der Neuen Zürcher Zeitung fest: „Der Druck des Englischen auf andere Idiome ist ein Globalisierungsdruck, mit welchem gerade die deutsche Sprache schlecht zurechtzukommen scheint. Immer seltener gelingt es ihr, die einströmenden Fremdwörter in Lehnwörter zu verwandeln, ihnen eine deutsche Lautung und Grammatik zu geben. Bei Substantiven (wie dem Kunstwort 'Multimedia') ist nicht klar, welches Geschlecht sie haben oder wie ihr Plural zu bilden wäre; bei Verben steht nicht fest, ob und wie sie sich konjugieren lassen: Layouted, gelayoutet oder laygeoutet – wie hieße hier das Partizip Perfekt?“

 

Neue Wörter entstanden, eine große Anzahl unter dem Einfluß der englischen Sprache amerikanischer Prägung. Ein Blick in das Neologismen-Wörterbuch des Mannheimer Instituts für deutsche Sprache vermittelt einen Eindruck von der Macht, die die englische Sprache auszuüben begann, noch stärker, als es bereits nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen war. Vierzig Prozent der knapp 700 aufgeführten Neuwörter sind „reine“ Anglizismen. Hinzu kommen Bastardbildungen wie „Outdoorjacke“ oder „Herumzappen“. Wenn ein englisches Wort mit einem deutschen konkurrieren muß, kann sich das deutsche durchaus durchsetzen: Das "Audiobook"

(Hörbuch) ist heute schon weitgehend verschwunden. Mit dem „Herunterladen“ gibt es eine oft genutzte und allgemein anerkannte Wahlmöglichkeit zum „Download“.

 

Als Primärquellen dienten den Mannheimern „massenmediale Texte“, also vor allem Zeitungstexte, daneben Texte aus dem elektronisch gespeicherten Wortbestand des Instituts für deutsche Sprache. Wörterbücher und wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Arbeiten über die Sprache dienten als Sekundärquellen. Knapp 700 Einträge stellen freilich nur einen Bruchteil der Neubildungen dar. Wesentlich umfangreicher angelegt ist die „Wortwarte“ des Seminars für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen um Lothar Lemnitzer. Dort werden Neologismen ab dem Jahr 2000 verzeichnet. In den ersten fünf Jahren kamen bereits rund 20.000 Neuwörter zusammen. Die Neologismen aus der Informationstechnik bilden den größten Anteil. Lemnitzer stellte auf diese Weise empirisch eine „Denglisierung“ der deutschen Sprache fest.

 

Die Antwort auf die sprunghafte Zunahme von Anglizismen in den 1990er Jahren blieb nicht aus. Neben bestehenden Sprachvereinen entstand eine Vielzahl neuer Vereine und Bürgerinitiativen, die sich gegen „Engleutsch“ oder „Denglisch“ wandten. Nur zwei Beispiele: 1998 erschien die erste Auflage von „Engleutsch? Nein danke!“ Das Wörterbuch war so erfolgreich, daß der Zuspruch die Herausgeber bewog, mit einer Sprachzeitung die Sprachkritik zu einer regelmäßigen und vereinenden Sache zu machen: die Geburtsstunde der DEUTSCHEN SPRACHWELT (DSW) schlug. Die Zeitung eroberte sich im Laufe der Jahre einen festen Platz in der Sprachkritik.

 

Im November 1997 gründete Walter Krämer den „Verein zur Wahrung der deutschen Sprache“, der heute besser unter dem Namen „Verein Deutsche Sprache“ bekannt ist und mittlerweile zum größten deutschen Sprachverein angewachsen ist. Ein Großteil der Mitglieder sind Nichtdeutsche, die im Ausland Deutsch als Fremdsprache lernen.

 

Mit der Frühzeit der neuen Fremdwortkritik in den 1990er Jahren befassen sich zwei qualitativ sehr unterschiedliche neuere Arbeiten. Falco Pfalzgraf verdeutlicht bereits mit dem Titel seines in England entstandenen Buches „Neopurismus in Deutschland nach der Wende“, daß er einseitig urteilt. Er versucht nicht nur, die Bemühungen von Nicht-Sprachwissenschaftlern als ewiggestrig darzustellen, indem er den scheinbaren Fachausdruck „Neopurismus“ erfindet und ihn als Etikette benutzt, sondern versucht auch immer wieder, Sprachschützer als rechtsextrem zu verdächtigen. Pfalzgraf macht sich nicht die Mühe, die in der Forschungsliteratur unübliche Bezeichnung „Neopurismus“ zu definieren. Statt dessen widerspricht er Peter von Polenz, einer Koryphäe auf dem Gebiet der Erforschung der Sprachgeschichte. Polenz hatte 1999 festgestellt, daß „es einen öffentlichen Sprachpurismus heute bei uns nicht mehr gibt“. Pfalzgraf jedoch wittert hinter jedem Strauch Puristen.

 

In den Mittelpunkt seiner Betrachtungen rückt er eine sehr kurze Zeitspanne von 1998 bis 2002. Das verhindert eine tiefere Beschäftigung mit Sprachpflegeinitiativen. Sein Buch bleibt eine unvollständige Augenblicksaufnahme. So besteht von den vier Netzauftritten „privater Sprachschützer“, von ihm beispielhaft als „größere Projekte“ eingeordnet, nur noch eine: die Kauderwelschseite von Thomas Geist.

 

Zudem versucht der Verfasser krampfhaft, alle Sprachinitiativen in ein Schema zu pressen, und greift willkürlich einzelne Äußerungen heraus, um sie seinen „Diskursen“ zuordnen zu können: vom „sprachstrukturellen“ über den „sprachideologischen“ und „sprachpädagogisch-sprachsoziologischen“ bis zum sprachkritischen Fremdwortdiskurs“. Der Wirklichkeit kommt er so allerdings nicht näher.

 

Hinzu kommen handwerkliche Fehler. So befördert Pfalzgraf schon einmal den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. zum „Kaiser“. Die konservative Wochenzeitung  „Junge Freiheit“ verwechselt er mit der linken „Jungen Welt“. Fachliche Brillanz oder Sorgfalt des Autors scheinen nicht den Ausschlag für den Rechtschreibreformer Richard Schrodt und Rudolf Muhr, einen erklärten Gegner von Anglizismenkritikern, gegeben zu haben, das Buch herauszugeben.

 

Wesentlich wissenschaftlicher und sachlicher beschäftigt sich Jürgen Spitzmüller in seinem Buch „Metasprachdiskurse“ mit „Einstellungen zu Anglizismen und ihre[r] wissenschaftlichen Rezeption“.  Diese Untersuchung ist die erste, die sich ausführlich und kenntnisreich mit der öffentlich geführten Anglizismendiskussion der 1990er Jahre auseinandersetzt.

 

Sprachwissenschaftler und Öffentlichkeit kommen gleichermaßen zu Wort. Dabei kommt heraus, daß durchaus nicht alle Linguisten das Denglischproblem gelassen sahen und „auch in linguistischer, handlungsgebundener Perspektive Sprachkritik möglich ist“. Als Beispiel nennt Spitzmüller die „Mißachtung kommunikativer Erfordernisse“. Hier drängt sich der Verdacht auf, daß sprachkritische Wissenschaftler und Laien dasselbe meinen, es aber mit anderen Worten ausdrücken. Was bei Spitzmüller „Mißachtung kommunikativer Erfordernisse“ heißt, würde ein Sprachkritiker vielleicht als „unverständliche Ausdrucksweise“ bezeichnen.

 

Der Untersuchungszeitraum umfaßt die Jahre 1990 bis 2001. Spitzmüller weist nach, daß während dieser Zeit sowohl die Zahl der Kritiker als auch die Schärfe der Kritik wuchs. Er macht vier Phasen aus: Verhaltene Anglizismenkritik und Kritik des Purismus (1990 bis 1993), zunehmende Anglizismenkritik (1994 bis 1996), Institutionalisierung der Anglizismenkritik (1997 bis 1999) und Politisierung des Diskurses (2000 bis 2001).

 

Diese Entwicklung kann man als Erfolg der Sprachkritiker bewerten, denn die Politisierung als vorläufiger Höhepunkt der Entwicklung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß sich etwas ändern kann. Die Anliegen der Sprachschützer sind vom Rand in die Mitte der öffentlichen Diskussion gelangt. Es reicht nicht mehr aus, Sprachkritik mit einer kleinen Glosse ins Lächerliche zu ziehen. Die Zeitungen müssen sich mit Argumenten auseinandersetzen und ihnen eine Plattform bieten. Freilich steht diese Stufe noch ganz am Anfang, so daß eine Sprachzeitung oder ein großer Sprachverein als Sprachrohre der Sprachschützer noch nicht überflüssig geworden sind.

 

Für viele Sprachschützer sicherlich überraschend stellt der Verfasser fest, daß in der Berichterstattung überwiegend Anglizismenkritiker zu Wort kamen. Er sieht die Sprachwissenschaftler eher in der Rolle derer, die eine sachlicher geführte Diskussion herbeizuführen versuchten und daran scheiterten.

 

Spitzmüller zieht den Schluß, daß „die belehrende fachliche Attitüde“ genauso zu vermeiden sei wie der Ansatz, „öffentlicher Sprachreflexion nach dem Munde zu reden“. Er spricht sich dafür aus, die öffentliche Diskussion genau zu beobachten und „das Bewußtsein für die Verschiedenartigkeit der Diskurse zu schärfen“. Mit seinem Buch hat er dazu einen wertvollen Beitrag geleistet. Die Geschichte der Anglizismenkritik ist jedoch noch lange nicht zu Ende geschrieben.

 

Besprochene Literatur:

 

Falco Pfalzgraf, Neopurismus in Deutschland nach der Wende, Österreichisches Deutsch – Sprache der Gegenwart 6, herausgegeben von Rudolf Muhr und Richard Schrodt, Verlag peter Lang, 351 Seiten, geklebt, 56,50 Euro.

 

Jürgen Spitzmüller, Metasprachdiskurse. Einstellungen zu Anglizismen und ihre wissenschaftliche Rezeption, Linguistik – Impulse und Tendenzen 11, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2005, 476 Seiten, gebunden, 98,00 Euro.

 

Dieter Herberg / Michael Kinne / Dorist Steffens, Neuer Wortschatz – Neologismen der 90er Jahre im Deutschen, Schriften des Instituts für deutsche Sprache 11, Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2004, 393 Seiten, gebunden, 98,00 Euro.

Kostenloses Probeexemplar der Zeitschrift

zum Buchdienst der Deutschen Sprachwelt

 



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken