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Schraip widu schprichsd?
 Die nächte Reform: Wie Schulanfänger heute das Schreiben lernen sollten
Von Thomas Pauwitz

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 28 Sommer 2007, S. 1 
Abdrucke mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

Aus einer Werbeschrift: „Oile – zunächst jagt es dem Leser bei dieser Schreibweise des Wortes Eule einen Schauer über den Rücken. Erst wenn die Erklärung von OPA GÜNTA dazu folgt, wird klar, daß es sich um eine neue Lernmethode für Kinder im Vor- und Grundschulalter handelt. Phonetisches, lauttreues Schreiben wurde bereits im Jahr 2000 in den bayerischen Lehrplänen zugelassen. Nach Nordrhein-Westfalen 2003 wird mittlerweile auch in anderen Bundesländern nach dieser Lernmethode in der Grundschule gelehrt.“

Und: Opa Günta packt den Koffer: „Di Buchstabentafel dea Erwaksenen haist Alfabet du brauchst si späta in dea Schule bai dea Ortografi oda Rächtschraibung.“ (Text in einem Übungsbuch)

Schraip widu schprichsd?
Die nächste Reform: Wie Schulanfänger heute das Schreiben lernen sollen

Von Thomas Paulwitz

„Ale Hörelaute in Doitsch kan man malen, dan haisen sie Buchstaben.“ Stammt dieser Satz aus einem mißglückten Schülerdiktat? Keineswegs. – Soll das etwa die nächste Stufe der Rechtschreibreform sein? Sie sind schon ganz dicht dran. – Steht der Satz in der Beschreibung einer neuen Lehrart, Kindern das Schreiben beizubringen? Volltreffer! Das Unglaubliche an dieser aberwitzigen Erfindung: Sie steht bereits in deutschen Lehrplänen. Das glauben Sie nicht? Es ist aber wahr – traurig, aber wahr. Nach der Rechtschreibreform haben sich die Menschheitsbeglücker wieder etwas Neues ausgedacht. Konrad Dudens Leitspruch „Schreib, wie du sprichst“ wird mit staatlicher Unterstützung zum Zerrbild.

Doch der Reihe nach: Als im Schuljahr 1996/97 die allererste Fassung der Rechtschreibreform an den ersten Schulen eingeführt wird, gibt das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus einen weiteren Schulversuch in Auftrag: „Phonetisches Schreiben“ heißt das Zauberwort. Theoretische Grundlage ist der 1982 veröffentlichte Entwurf „Lesen durch Schreiben“ des Schweizer Lehrers Jürgen Reichen. Freies Verschriften soll die Kinder demnach zum Lesen führen. Mit Hilfe einer Anlauttabelle, die jedem Laut einen Buchstaben zuweist, sollen die Kinder ein Wort aus einer Lautkette zusammensetzen.

Zwar zeigte der Schulversuch „Phonetisches Schreiben“, der an bayerischen Grundschulen zwischen 1997 und 2001 abgehalten wurde, nicht die erhofften Leistungssteigerungen. Statt den Fehler jedoch in der Methode zu suchen, wurden die Lehrer verantwortlich gemacht. So heißt es im 2004 veröffentlichten Gutachten: „Es gilt die Skepsis und Voreingenommenheit unter den Grundschullehrern gegenüber dieser Form des Erstlese- und Erstschreibunterrichts abzubauen“. Und so darf seit der Einführung eines neuen Lehrplans im Schuljahr 2001/2002 in Bayern die Schriftsprache in den ersten beiden Schuljahren durch phonetisches Schreiben gelehrt werden. Andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen zogen nach.

Richtig durchgesetzt hat sich das „Phonetische Schreiben“ bis jetzt noch nicht, da die Lehrer offenbar nur sehr zögerlich bereit sind mitzumachen. Wer sich fortschrittlich geben will, findet hier jedoch eine Möglichkeit dazu. Bereits vor fünf Jahren machte die DEUTSCHE SPRACHWELT auf die neue Methode aufmerksam, siehe DSW 9 (3/2002), Seite 1: „Der Jäger wird zum ‚Jega‘“. Doch jetzt könnte, ähnlich wie bei der Rechtschreibreform, ein Bündnis aus Ideologen, Bürokraten und Schulbuchverlagen dem Unsinn zum Durchbruch verhelfen.

Günther Schweisthal war zwischen 1997 und 2001 wissenschaftlicher Berater bei dem besagten Schulversuch „Phonetisches Schreiben“, durchgeführt vom Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung an bayerischen Grundschulen. Er war Akademischer Direktor am Institut für Phonetik und Sprachliche Kommunikation der Universität München und ist nun im Ruhestand. Jetzt hat er einen Schulbuchverlag gefunden und zieht als „Opa Günta“ durch die Lande. Im Gepäck hat er eine Empfehlung der Regierung von Oberbayern: Regierungsschuldirektorin Eva Troßbach-Neuner lobt die „fachlich einwandfreie Konzeption“, die „eine ausgezeichnete Grundlage für das Orthographieverständnis“ schaffe.

Schweisthal stellte seine neuen Lehrmittel im Frühjahr dieses Jahres auf der Bildungsmesse Didacta in Köln und auf der Leipziger Buchmesse vor. Er will damit nicht nur Kinder im Vorschulalter erreichen, sondern auch ganz allgemein Einwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen, Legastheniker oder funktionale Analphabeten. Schulprobleme im Rechtschreiben führt er auf eine angeblich unbeachtete „phonetische Sprachlernphase“ zurück. Er verspricht sogar, daß mit seiner Methode die Probleme der Legasthenie (Lese-Rechtschreibschwäche) und der PISA-Pleite „weitestgehend vermindert“ werden können.

Dahinter steckt die Ideologie einer Erleichterungspädagogik und der Ichbezogenheit, wie sie auch für die Rechtschreibreform prägend war. Die Festlegungen der Rechtschreibwörterbücher und die Regeln der Grammatik werden bewußt außer acht gelassen. Dem Schreiber soll es so einfach wie möglich gemacht werden. Soll der Leser doch sehen, wo er bleibt. Den Irrsinn dieses Blickwinkels hat Jürgen Langhans in seinem kritisch-satirischen Aufsatz „Wir schreiben für die, die lesen“ gebrandmarkt. Und doch bedauert eine beflissene Grundschullehrerin, als sich mit der Zeit die freien Texte ihrer Schüler dem allgemeinen Sprachgebrauch annäherten, also für den Leser verständlicher wurden, daß die „Poesie der Falschheit“ verlorengehe. Eine schöne Umschreibung dafür, daß das Einüben von Fehlern nach dem phonetischen Schreiben in den ersten beiden Jahrgangsstufen in der dritten und vierten Klasse mühsam wieder rückgängig gemacht werden muß.

Schreiben nach Gehör ist wie Autofahren nach Gehör. Angela Enders, Grundschuldidaktikerin an der Universität Augsburg, warnt davor, daß vor allem in der Grundschule zunehmend die gesprochene Sprache vorherrsche. Die zunehmende Legasthenie sei die Nebenfolge einer Schuldidaktik, „die die Schrift zugunsten der gesprochenen Sprache völlig an den Rand gedrängt hat“. Doch die Schrift sei nicht nur das Festhalten des Gesprochenen, sondern ein eigenständiges Sprachsystem, dessen Regeln anderen Gesetzen folgen als die mündliche Sprache. „Die Art und Weise, in der Sachverhalte ausgedrückt, Emotionen mitgeteilt und Argumentationsgänge entwickelt werden“, sei völlig anders, so Enders. Dieser Unterschied werde zunehmend verwischt. Aus dieser Sicht stellt die Forderung nach lauttreuem Schreiben ein folgerichtiges Weiterbetreiben der Rechtschreibreform dar: Schikoree, Spagetti, Filosof.

Luc Ferry, ein Kenner Johann Gottlieb Fichtes, war von 2002 bis 2004 Bildungsminister Frankreichs. In dieser Zeit bekämpfte er erfolgreich Lese- und Rechtschreibschwäche unter französischen Jugendlichen. Ferry wirft der deutschen Grundschule vor, sie sei „extrem modernistisch“ und individualistisch. Sie verkenne die Bedeutung der Sprache als Kulturerbe. Diese sei nicht etwas, das ein Kind zu erfinden hätte. Die Schule habe in erster Linie die Aufgabe, Traditionen zu wahren und nicht ständig Neuerungen zu erzeugen. In diesem Sinne: Schickt Opa Günta bitte aufs Altenteil.

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