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Duden / Dudenverlaß
 

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Möge sich niemand mehr auf den Duden verlassen

Interview mit Helmut Glück in den VDS Sprachnachrichten. Die Fragen stellte Max Behland

VDS Sprachnachrichten Nr. 37/März 2008, S. 3,4

In einem Offenen Brief an die Dudenredaktion im Jahre 2001 wies ich nach dass und wie sich der „Duden“ seit 1934 an der Verhunzung der deutschen Sprache beteiligte. Im Verlauf der wenig erfolgreichen Rechtschreibreform wurde mehrmals +) kritisiert, dass sein Verhalten weniger der Sache diente als viel mehr anderen, beispielsweise wirtschaftlichen Interessen untergeordnet war.

Nun beanstandete einer der renomiertesten deutschen Linguisten, Helmut Glück (Prof. Dr.) in einem Gespräch mit dem Verein Deutsche Sprache e. V. die Schreibempfehlungen im Duden für Wörter, die von der Reform betroffen sind. Auf die Frage, wo Glück Zweifelsfällen nachschlagen würde, im Duden oder im Wahrig, und wie er sich in entscheiden würde, wenn beide voneinander abwichen, wies Glück zunächst auf die Ursache diese lästigen Problems hin.

So sei bei vielen problematischen oder offensichtlich falschen „Reform“-Schreibungen inzwischen wieder die strukturell richtige alte Schreibung zugelassen, aber eben nur als Variante. Die falsche „Reform“-Schreibung gelte leider meist weiterhin. Der Duden stelle stets die „Reform“-Schreibung an die erste Stelle und die „alte“ Schreibung dahinter. Auf diese Weise versuche die Duden-Redaktion, die selbst an den mißratenen „Reformen“ beteiligt war, die „Reform“ doch noch unter die Leute zu bringen. Der Wahrig sei Glück an diesem Punkt sympathischer, dort finde man die richtige Schreibung leichter. Im Wahrig stehe zwar die „Reform“-Schreibung auch als Leitvariante, aber dann komme ein „auch“, und dahinter stehe dann die richtige Schreibung. Beim Duden heiße sie, wenn sie überhaupt vorkommt, „alte Schreibung“, und sie stehe in eckigen Klammern. Ein Beispiel: der Duden habe „selig sprechen“ und „selig preisen“ und danach „[alte Schreibung: seligsprechen, seligpreisen]“. Der Wahrig verzeichne nur die beiden richtigen Schreibungen „seligsprechen“ und „seligpreisen“. Deshalb schaue er (Glück) eher im Wahrig nach, wenn es einmal nötig sei.
 
„Orthographie ist keineswegs etwas Willkürliches.“ So Glück weiter. „Sie ist historisch gewachsen und hat Strukturen entwickelt, die man rekonstruieren und in Form von Regeln darstellen kann, und zwar für alle betroffenen Bereiche. Orthographie hängt in wesentlichen Punkten nicht an den einzelnen Wörtern, wie viele glauben, sondern wird von der Grammatik gesteuert, namentlich von der Syntax und der Wortbildung. Willkürlich war – jedenfalls an zentralen Punkten – die „Reform“ von 1996. Die seither vorgenommenen Modifikationen des Rechtschreibdiktats von 1996 galten seiner Entschärfung und Glättung und der Korrektur einiger offensichtlicher Fehler. Die „Reformer“ waren zum großen Teil keine Wissenschaftler, sondern Funktionäre aus Gewerkschaften und Schulbuchverlagen sowie Sprachdidaktiker. Nachdem sie sich einmal warmreformiert hatten, waren sie nicht mehr zu bändigen. Sie hielten zäh an ihren Irrtümern fest und tun das bis heute. Deshalb haben wir heute so viele Varianten. Das ist ein Fortschritt, weil wir sonst nur die falschen Schreibungen von 1996 hätten. Es ist gleichzeitig ein Problem, weil die vielen Varianten die Einheitlichkeit der Rechtschreibung stören und weil die „Reformer“ alles tun, ihre falschen Schreibungen zu erhalten und zu verbreiten, etwa über den Duden, den viele Menschen immer noch für maßgeblich in Rechtschreibdingen halten. Das ist er längst nicht mehr. …..

Auch die Eintragungen im Duden aufgrund der „reformierten“ Orthographie führen laut Glück zu falschen, weil systemwidrigen Schreibungen. „Man muß schon zwischen einem  vielversprechen-den“ und einem „viel versprechenden“ Politiker unterscheiden können, auch orthographisch. Daß Wörter wie „lieb“, „weh“ oder „leid“ längst Adjektive sind und als Adjektive klein geschrieben werden müssen, ist auch keine sensationelle Erkenntnis. Oder auch „feind“. Der Duden teilt mit, daß man schreiben solle „jemandem Feind [alte Schreibung: feind] bleiben, sein werden (veraltend)“. Jemandem „spinnefeind sein“ soll man aber klein schreiben. Der Duden schreibt vor: Das tut mir Leid [alte Schreibung: leid]. Das ist falsch, weil systemwidrig. Die Schreibung von "Das ist mir lieb" regelt er auf den ersten Blick gar nicht. Man findet sie versteckt in einem Beispiel, nämlich "das Liebste" groß zu schreiben. Bei "weh" hat er dann die richtige Schreibung: "Das tut mir weh.“

Zur Frage, ob man im Deutschen nicht alles so schreiben sollte wie es gesprochen werde, meinte Glück, „Seit über die deutsche Rechtschreibung nachgedacht und debattiert wird, wird gefordert, sie phonetisch zu begründen, nämlich seit dem 17. Jahrhundert. Das beruht auf einem Mißverständnis: Die Schrift ist nicht dazu da, das Gesprochene direkt, Laute in den Buchstaben „eins zu eins“ abzubilden, sondern sie soll die Sprache insgesamt repräsentieren. Die Groß- und die Kleinschreibung hat im Gesprochenen kein Äquivalent, die Getrennt- und Zusammenschreibung auch nicht, und die Interpunktion kann man ebenfalls meistens nicht hören. Dieses Mißverständnis scheint vor allem bei Deutschdidaktikern unausrottbar zu sein.

Für den Unsinn der „Reform“ von 1996 könne der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ nicht pauschal verantwortlich gemacht werden, denn ihm gehörten einige der Rechtschreib-Rowdys von damals nicht mehr an. Glück hofft, daß er verantwortungsvoller mit seinen Aufgaben umgeht als sein Vorgänger.

Glück empfiehl auch allen, denen kein öffentlichrechtlicher Arbeitgeber die kryptischen Neuregel-ungen vorschreibt, niemand möge sich mehr auf den Duden verlassen. Es sei sinnvoll, generell nur diejenigen der neuen Regeln zu übernehmen, die allgemein verständlich oder sogar vernünftig sind, und den Rest unbeachtet zu lassen – wie es große Zeitungsverlage mit ihrer individuellen Hausorthographie tun. Er selbst bleibe im wesentlichen bei der „alten“ Rechtschreibung, weil sie in vielen Fällen die richtige ist, den strukturellen Regeln entspricht. Wenn es sein müsse, schreibe er muss oder dass, niemals allerdings selbstständig oder allgemein bildende Schule oder jemanden zufrieden stellen.

+) laut Duden müsste es „mehrfach“ heißen, was nicht nur missverständlich wäre, sondern auch den von ihm dokumentierten Regeln widerspräche. Zum Unterschied zwischen „mehrmals“ und „mehrfach“

Ulrich Werner am 22.3.2008

 



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