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Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / Ickler u. Denk müsen
 

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Ickler und Denk müssen sich entschuldigen!
Ein Rechtschreibreformer antwortet den Kritikern
Von Hermann Zabel

Deutsche Sprachwelt Ausgabe 21 Herbst 2005

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden mehr als einhundert Reformforderungen erhoben und entsprechende Reformvorschläge ausgearbeitet. Sie alle scheiterten aufgrund verschiedener Umstände. Die Gegner der Reform schreckten vor keinem Mittel zurück. So wurden zum Beispiel die Mitglieder des Internationalen Arbeitskreises beschuldigt, Vorstellungen zur Reform der deutschen Rechtschreibung aufzugreifen und weiterzuführen, die von den Nationalsozialisten erarbeitet worden waren. Nichts ist falscher als eine derartig diskriminierende Behauptung! Der Weilheimer Studiendirektor Friedrich Denk, der im Zusammenhang der Frankfurter Buchmesse 1996 gemeinsam mit anderen eine groß angelegte Kampagne gegen die reformierte Schreibung ins Leben gerufen hatte, beklagte öffentlich, daß die Reformer die zwei Buchstaben, die in der Geschichte Deutschlands so viel Unrecht und Leid verursacht hätten, besonders hervorgehoben hätten. Gemeint waren die Buchstaben: SS! Kommentar überflüssig.

Das neue Teekesselspiel

„Ein Teekessel ist ein Wort mit zwei (oder sogar drei) Bedeutungen", heißt es im „Großen Buch der Spiele. 1000 Spiele für jung und alt". Bei diesem Spiel einigen sich ein oder zwei Spieler darauf, welches Teekesselwort sie „durchspielen", also von den übrigen Mitspielern erraten lassen wollen. Seit 1996 gibt es ein neues Teekesselspiel. Sie kennen das neue Spiel noch nicht? Dann wird es Zeit, daß Sie es kennenlernen:

Was ist das: Es ist überflüssig, konfus, zum Teil falsch, absurd, verwirrend, schädlich, häßlich, ein Unsinn. - Es hat einschneidende, negative, katastrophale Folgen, wird allen aufgezwungen, ist eine Zwangsmaßnahme. - Man vergreift sich, eliminiert, benachteiligt die sozial Schwachen. Man fühlt sich betrogen oder vergewaltigt, wird gequält. Wovon ist die Rede? Was wird hier angeprangert?

Nein, die Rede ist nicht von „ethnischen Säuberungen", von Aids, vom sexuellen Vergehen an Kindern, von sozialem Elend, vom Hunger in der Welt. Nein, von all dem anderen Elend ist nicht die Rede. Die Rede ist vielmehr von der Rechtschreibreform, gegen die unter anderem mit den oben zitierten Passagen in einem Flugblatt Stimmung gemacht wurde. Auf dem Niveau dieses Flugblattes haben seitdem Pressemitteilungen, Leserbriefe und Berichte über die angeblich gescheiterte Reform bei vielen Bürgern und Bürgerinnen den Eindruck entstehen lassen, als sei die beschlossene Reform ein Horrorgebilde.

Welche Schuld trifft George Orwell?

Wer das Flugblatt aus der Feder von Studiendirektor Friedrich Denk zum ersten Mal zur Kenntnis nimmt, fragt sich, welche Gründe den Autor veranlaßt haben könnten, die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung als Horrorgebilde zu beschreiben. Ein Spiegel-Bericht enthält die Antwort: „George Orwell ist an allem schuld. Als der 20jährige Sohn des Weilheimer Deutschlehrers Friedrich Denk Ende September aus dem Urlaub kam, hatte er den Roman „1984“ gelesen. Der Maschinenbau-Student öffnete dem Vater die Augen. Du mußt etwas unternehmen. So begann eine Attacke auf die Rechtschreibreform. Um den „Terror durch Orthographie“ (Denk) noch aufzuhalten, setzte er eine Protestresolution mit zehn Argumenten auf und verschickte 50 Briefe.

Denk bleibt rationalen Argumenten verschlossen Der Maschinenbau-Student öffnete dem Deutschlehrer nicht nur die Augen, sondern schickte den Vater auch in die Irre. In Orwells Roman wird eine Kunstsprache gewaltsam eingeführt, und zwar dadurch, daß Bestandteile der bisher geltenden natürlichen Sprache eliminiert, ausgeschieden oder umgedeutet werden. Es ist schon bemerkenswert, daß der Deutschlehrer Friedrich Denk, der Germanistik studiert hat und sich Philologe nennt, das neue Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung aus der Perspektive der Orwellschen Neusprache deuten zu können glaubt. Denk hat das Regelwerk nie mit der Absicht, es zu verstehen, gelesen und anscheinend bis heute auch nicht vollständig. Er beweist mit seiner Polemik zugleich, daß er den Text von Orwell nicht verstanden hat! Der absurde Denkansatz erklärt zugleich die Tatsache, daß Denk rationalen Gegenargumenten gegenüber verschlossen bleibt. Er scheut sich nicht, längst widerlegte Argumente gebetsmühlenartig zu wiederholen, zum Beispiel, daß die gesamte Literatur neu gedruckt werden müsse.

Ickler verwechselt Kritik mit Beschimpfung

Es ist verständlich, daß die Reformkritiker durch pointierte und zugespitzte Darstellungen die Öffentlichkeit auf ihre Anliegen aufmerksam machen wollen. Sie greifen daher auch auf Mittel der Polemik und Ironie zurück. Doch überschreitet der Reformgegner Theodor Ickler das Maß des Zumutbaren und Erlaubten. In seiner Schrift „Die Rechtschreibreform auf dem Prüfstand" verunglimpft er die Reformer fortlaufend. Dieser Reformgegner verwechselt Auseinandersetzung und Kritik mit Beschimpfung. Die Reformer machen angeblich „wissenschaftlichen Unsinn" (Seite 8), produzieren „Dummitäten" und „linkische Umschreibungen" (Seite 20), arbeiten mit „Taschenspielertricks" (Seite 43); ihre „reaktionäre Reform" (Seite 30) verrät einen „unreifen Schülerstandpunkt" (Seite 34).

In dem Buch „Die Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich" fragt Ickler: „Wer hatte die neuen Regeln überhaupt ausgeheckt? Eine Presseerklärung des Instituts für deutsche Sprache (IdS) Mannheim ist „von beispielloser Arroganz" (Seite 23). Ein Mitarbeiter des IdS sei „in letzter Zeit durch unqualifizierte Äußerungen zur Reform auffällig geworden" (Seite 121). In einer Zwischenbilanz behauptet Ickler: „Statt dessen enthält das Regelwerk allerlei Firlefanz in Randbereichen, vor allem durch die mehr oder weniger lächerlichen Volksetymologien, die das Steckenpferd eines einzelnen Reformers waren, nun aber einer Sprachgemeinschaft von neunzig Millionen aufgenötigt werden" (Seite 127). Ickler wirft den Reformern „irreführende Machenschaften" (Seite 166) vor. Weitere Beschimpfungen lauten: „kulturfeindliche Vernichtung von spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten" und „irreführendes Etikett einer liberalen Deregulierung" (Seite 181).

Kein „menschenverachtendes Massenexperiment"

Das Bemühen, die Reformer in die Nähe der NS-Politik zu rücken und sie dadurch zu disqualifizieren, dokumentiert sich auch in dem an den Vorsitzenden der neuen Rechtschreib-Kommission schriftlich vorgetragenen Ziel Icklers, „das menschenverachtende Massenexperiment" Rechtschreibreform endlich zu stoppen. Eine solche Formulierung soll in manipulativer Absicht ganz bestimmte Assoziationen wecken und geht über das Maß üblicher Polemik und sogar über das Maß üblicher Beschimpfungen weit hinaus. Es ist ungeheuerlich, alle an der Rechtschreibreform Beteiligten (einschließlich der Kultusminister, die immerhin den Auftrag erteilten) als solche zu bezeichnen, die ein „menschenverachtendes Massenexperiment" veranlaßt oder sich an ihm beteiligt haben. Das führte dazu, daß einige Reformer eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit Ickler ablehnen. Alle Leser und Hörer von Augst bis Zehetmair waren über diese Formulierung schockiert.

Im Rahmen der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 2. Juni 1997 in Bonn machte der Erlanger Hochschullehrer noch den Versuch einer Entschuldigung. indem er sinngemäß erklärte, die Formulierung sei wohl etwas zu hart ausgefallen. Inzwischen hat der Autor diesbezügliche Skrupel längst überwunden: „Die Rechtschreibreform ist ein menschenverachtendes Massenexperiment. Ich sehe in dieser Behauptung ... keineswegs eine mißglückte Formulierung, für die ich mich entschuldigen müßte ... Nicht ich will bestimmte Assoziationen wecken, sondern Augst wollte und will das, was man schon daran sehen kann, daß die Nazis, auf die ich angeblich anspiele (mir war das ganz neu!), nicht für menschenverachtende Massenexperimente bekannt sind. Welche sollten das denn sein?" (Brief vom 18. Juli 1997)

Man fragt sich, worüber man sich als Leser dieser Erklärung mehr wundern soll - über die gespielte Naivität oder die offensichtlich fehlenden Geschichtskenntnisse des Erlanger Hochschullehrers. Wann werden sich die Reformkritiker Denk und Ickler für ihre sprachlichen Entgleisungen endlich einmal entschuldigen'?

Hermann Zabel wurde 1935 in Hagen geboren. Er ist emeritierter Professor der deutschen Sprache und ihrer Didaktik an der Universität Dortmund. Zabel begleitete wissenschaftlich den Gesamtschulversuch Nordrhein-Westfalens. Seit 1974 setzte er sich für die Einführung der gemäßigten Kleinschreibung ein. Von 1980 bis 1996 war er für die Gesellschaft für deutsche Sprache Mitglied der Kommission für Rechtschreibfragen am Institut für deutsche Sprache in Mannheim; außerdem Mitglied des Internationalen Arbeitskreises für Orthographie. Neben seiner Hochschultätigkeit hat sich Hermann Zabel in der Region Hagen jahrelang ehrenamtlich für die Erforschung und Erhaltung des jüdischen Erbes eingesetzt. Dafür erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Ausgewählte Schriften

Hermann Zabel (Hrg.), Keine Wüteriche am Werk. Berichte und Dokumente zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, Reiner-Padligur-Verlag, Hagen 1996, 448 Seiten, Tb., 19,90 Euro.

Hermann Zabel, Widerworte -„Lieber Herr Grass, Ihre Aufregung ist unbegründet". Antworten an Gegner und Kritiker der Rechtschreibreform, Shaker-Verlag, Aachen 1997, 184 Seiten, 12,45 Euro.

Alexander Siegner (Hrg.), Rechtschreibreform auf dem Prüfstand. Beiträge von Reiner Kunze, Stephanus Peil und Theodor Ickler, Leibniz-Verlag, St. Goar 1997, 56 Seiten, kart., 2,00 Euro.

Theodor Ickler, Die Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich, Leibniz-Verlag, St. Goar 1997, 200 Seiten, kart., 9,90 Euro.

Theodor Ickler, Rechtschreibreform in der Sackgasse. Neue Dokumente und Kommentare, Leibniz-Verlag, St. Goar 2004, 276 Seiten, kart., 18,00 Euro.

Die Bücher können über den Buchdienst der DEUTSCHEN SPRACHWELT bestellt werden.

 

 



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