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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Zuschriften - Kritik / Titeldiskussion
 

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Akademische Titel - ein Pläsierchen?

Kritik an der Kritik des deutschen Titelwesens

Febr. 2010

U.W aus Kandel schrieb:

Sehr geehrter Herr Werner,

Sie betreiben eine interessante und tiefgründige homepage.

Auffälig ist jedoch Ihre strikte Ablehnung mehr oder weniger üblicher Gepflogenheiten beim Umgang mit akademischen Graden. Ich würde hier für eine größere Gelassenheit plädieren nach dem Motto, jedem Tierchen sein Pläsierchen.

Sie erschweren meiner Ansicht nach die Diskussion über das Thema mit Ihrer harschen Position. Dies führt meines Erachtens auch zu einer Relativierung einer akademischen Ausbildung generell, was ich für die Zukunft unseres Landes als kontraproduktiv ansehe.

Mit freundlichen Grüßen,
U. W.

Meine Antwort:

Sehr geehrter Herr W.,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Das Lob freut mich, die Kritik nehme ich ernst.

Jede Ausbildung, ob wissenschaftlich oder handwerklich, bildet die Grundlage für den (späteren) „Fachmann“ und „Spezialisten“. Bezogen auf den Akademiker ist der erfolgreiche Abschluss als Promovierter nur der Nachweis der Fähigkeit, wissenschaftlich arbeiten zu können, und allzu häufig nicht einmal das.

Die „üblichen Gepflogenheiten“, die Sie als „Pläsierchen“ offenbar tolerieren wollen, passen nicht mehr in die Gegenwart. Seit fast 50 Jahren ist gerichtlich festgestellt, dass akademische Grade kein Bestandteil des Namens sind. Dennoch wird dies von den meisten Promovierten ignoriert. Sie genießen den Status eines besonders geachteten Standes, gekennzeichnet durch die akademische Verzierung. Wer will, kann ja seinen Doktor angeben. Dann aber bitte nicht verschleiert vor dem Namen, sondern hinter dem Namen, und zwar vollständig mit Angabe der Fakultät. Und da mit den Fortschritten in Wissenschaft und Technik der einstige Leistungsnachweis von Jahr zu Jahr relativiert wird, sollte auch Jahr und Ort der Dissertation angegeben werden.

Die immer noch übliche Überbewertung des Titels festigt das Vorurteil, der Herr Dr. Meier weiß, kann und leistet mehr als der Herr Meier, bis der Herr Meier bewiesen hat, mindestens gleichwertig zu sein. Wir haben genügend Vorurteile in der Gesellschaft. Akademiker ohne Promotion müssen sich ihr Ansehen erst erarbeiten. Der Diplomgrad wird als Berufsbezeichnung abgewertet. Der „Gesundheits-Professor“ Bankhofer benutzt den Titel, der überhaupt keinen Bezug zu irgendeiner akademischen Ausbildung hat, um akademisches Wissen vorzutäuschen. Sogar im Bundestag werden immer noch die Abgeordneten mit Doktortitel aufgerufen und im Protokoll damit verziert.

Sogar leistungsstarke Bürger erstarren oft in Ehrfurcht, nur weil die ihnen vorgestellte Person die zwei Buchstaben „Dr.“ vor dem Namen führt. Haben Sie gelesen, mit welcher Begründung der ehemalige Ministerpräsident von Bayern Günther Beckstein verhindert hat, dass der Doktorgrad nicht mehr in der Namenszeile des Passes eingetragen wird? Schäuble, damals Innenminister, hatte die Änderung vorbereiten lassen und scheiterte im Bundesrat. So wird weiterhin der Pass höchst offiziell als Visitenkarte missbraucht. Der Staat hilft mit, mit der lebenslangen akademischen Verzierung Eitelkeiten zu befriedigen und Leistungsdefizite einzelner Bürger auszugleichen. Damit unterstützt er den Titelhandel, den er missbilligt. Eine Diskussion über das Titelwesen findet kaum statt, allenfalls kurz und knapp nach Bekanntwerden eines groben Verstoßes gegen das Gesetz.

Dies sind nur ein paar Beispiele für das Unwesen mit Titeln in Deutschland. Deshalb, sehr geehrter Herr Wagner, scheint mir Ihre Einordnung der Titelei unter den Begriff Pläsierchen allzu großzügig zu sein und die negative Wirkung auf die titellosen Bürger zu verharmlosen. Es stimmt mich hoffnungsfroh, dass immer mehr und öfter in den Medien die akademischen Grade und Titel unerwähnt bleiben. Mit zunehmender Nähe zum einzelnen Bürger, also z. B. in Provinzblättern und natürlich im persönlichen Verkehr mit einander wird immer noch in kleinkarierter und penetranter Weise getitelt
 
Auf meinen Seiten möchte ich informieren und zu einem sachgerechten Umgang mit akademischen Graden hinführen. Das schließt eine Relativierung der akademischen Ausbildung schon deshalb ein, weil sie je nach Universität und Fakultät unterschiedliche Leistungsanforderungen stellt. Das aktuelle System der Namensverzierung gaukelt die Gleichwertigkeit der Leistungen vor. Und gerade das ist „kontraproduktiv für die Zukunft unseres Landes“. Für die Zukunft kann es nur nützlich sein, wenn der allgemeinen Tendenz entsprechend die nachgewiesene Leistung des Menschen mehr zählt als eine durch einen Titel angedeutete, die nicht erbracht worden ist. 

Vielleicht lesen sie noch weitere Seiten über das Thema auf meiner Webseite, besonders „Macht und Schein der Titel“.
 
Alles Gute und freundliche Grüße
Ulrich Werner
28.2.2010

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