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Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / Wie die Passion zur Leidenschaft
 

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Wie die Passion zur Leidenschaft wurde
 „Reinerhaltung" und Pflege der deutschen Sprache im 17. Jahrhundert
Zur Geschichte und Bedeutung der deutschen Sprachgesellschaften
Von Andreas Ehmer

Deutsche Sprachwelt Ausgabe 20

Dem Reformator Martin Luther (1483 bis 1546) galt das Deutsche als heilige Sprache. Mit seiner Bibelübersetzung wurde die deutsche Volkssprache erstmals zur Sprache der Bibel und damit den traditionell heiligen Sprachen - Hebräisch, Griechisch, Latein - gleichgestellt. Ungeachtet dieser beachtlichen Aufwertung im Zuge der Reformation war das Deutsche im deutschen Sprachraum des 17. Jahrhunderts weder angesehen noch in aller Munde. In zahlreichen Lebensbereichen verständigte man sich nicht auf deutsch, sondern in anderen Sprachen. Die Wissenschaft bediente sich nach wie vor des Lateinischen. Dies hatte den Vorteil, daß sich Wissenschaftler unterschiedlicher sprachlicher Herkunft mittels dieser „Muttersprache aller Gelehrten" austauschen konnten. Auch bei Hofe wurde nicht deutsch, sondern französisch gesprochen. Das Hofleben und die adlige Standeskultur überhaupt waren französisch geprägt. Der Grund hierfür lag in der Vorbildwirkung des absolutistischen Königtums Frankreichs auf ganz Europa, die unter der Herrschaft des „Sonnenkönigs" Ludwig XIV. besonders stark war.

Dieser Zustand galt vielen im 17. Jahrhundert als ein Zustand der Überfremdung. Sprachlich drückte er sich in den vielen aus dem Französischen und Lateinischen übernommenen Fremdwörtern aus. Daß es in dieser Zeit besonders viele Fremdwörter gab, deren Bedeutung nicht ohne weiteres einleuchtete, zeigt die Tatsache, daß bereits 1571 das erste deutsche Fremdwörterbuch erschienen war. Aber auch die Literatur der Zeit offenbart dies: Ein anonymes „Klaglied" der Zeit wendet sich „wider alle Sprachverderber" und nimmt das Fremdwort-Unwesen in insgesamt 55 Strophen aufs Korn: „Der Knecht Matthies / spricht bonae dies // Wan er gut morgen sagt / vnd grüst die Magd; // Die wend den Kragen, / thut ihm danck sagen, // Spricht Deo gratias / Herr Hippocras."

Der Durchmengung der deutschen Sprache vor allem mit lateinischen und französischen „Brocken" wollten Personen wie Fürst Ludwig von AnhaltKöthen (1579 bis 1650) Einhalt gebieten. Er hatte die Absicht, der Sorglosigkeit im Umgang mit der Sprache ein Ende zu bereiten und die deutsche Sprache bewußt zu pflegen. Darum gründete er 1617, am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges, in Weimar die erste und bedeutendste Sprachgesellschaft auf deutschem Boden, die sogenannte „Fruchtbringende Gesellschaft".

Die Gründung einer Gesellschaft war im 17. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches. Damals wurden zahlreiche Orden, Geheimbünde und Logen ins Leben gerufen. Zudem gab es in Italien bereits seit dem 16. Jahrhundert Sprachgesellschaften, die sich Fürst Ludwig zum Vorbild genommen hatte. Auch blieb die Gesellschaft Ludwigs nicht die einzige Sprachgesellschaft. 1642 gründete Philipp von Zesen in Hamburg die sogenannte „Deutschgesinnte Genossenschaften. Im Jahre 1644 entstand auf Betreiben Georg Philipp Harsdörffers und Johann Klajs in Nürnberg der sogenannte „Pegnesische Blumenorden", um nur einige wenige zu nennen. Die letztgenannte Gesellschaft ist die einzige, die die Zeiten überdauert hat - sie besteht bis heute.

Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts hatten es sich zum Ziel gesetzt, die deutsche Sprache zu „erhalten", zu „verbessern" und ihre „Fortpflanzung zu befördern". Über diese eher abstrakten Forderungen hinaus ging es ihnen im Praktischen darum, „sich so wol der besten aussprache im reden als der reinesten im schreiben und Reime=dichten [zu] befleissigen". Die poetische Produktion wird hierbei nicht zu Unrecht erwähnt. Namhafte deutsche Barockdichter zählten zu den Mitgliedern der Sprachgesellschaften, unter ihnen Andreas Gryphius (1616 - 1664), Martin Opitz (1597 - 1639) und Georg Rodolf Weckherlin (1584 - 1653).

Zweck der Sprachgesellschaften war auch, die deutsche Sprache, die damals in zahlreiche Dialekte zerfiel, zu vereinheitlichen und zu normieren. Im Auftrag von Fürst Ludwig verfaßte Christian Gueintz eine „Deutsche Rechtschreibung", die 1645 publiziert wurde, nachdem die „Fruchtbringende Gesellschaft" sie geprüft hatte. 1663 veröffentlichte der Grammatiker Schottelius, der derselben Gesellschaft angehörte, seine „Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache".

Dem Ziel der Ausbreitung der deutschen Sprache diente die überwältigende Übersetzungstätigkeit der Gesellschaftsmitglieder. Hierbei ging es darum, die deutsche Sprache literaturfähig zu machen. Übersetzungen aus dem Französischen und anderen modernen Fremdsprachen sowie aus dem Lateinischen und Griechischen wurden oft allein darum angefertigt, um als Mitglied in eine Sprachgesellschaft aufgenommen zu werden.

Mehr als ein Nebenprodukt des Übersetzens war die Bemühung, der „Einmischung fremder ausheimischer Wörter" entgegenzuwirken, indem zahlreiche Fremdwörter verdeutscht wurden. Hierbei zeichnete sich vor allem Philipp von Zesen, der Gründer der „Deutschgesinnten Genossenschaft", aus. Die deutsche Sprache verdankt ihm die Übertragung vieler Fremd- und Lehnwörter, wie zum Beispiel die Übersetzung des lateinischen Wortes „Passion" in das deutsche „Leidenschaft" oder des griechischen Wortes „Tragödie" in „Trauerspiel". Die „Bibliothek" verwandelte er in die „Bücherei", die „Konfession" in das „Glaubensbekenntnis" und den „Moment" in den „Augenblick". Einige seiner Eindeutschungen haben sich hingegen nicht durchgesetzt: Statt beispielsweise „Nonnenkloster" schlug er vor, „Jungfernzwinger" zu gebrauchen. Auch der „Krautbeschreiber anstelle des Botanikers" überlebte nicht die Zeiten, geschweige denn die Eindeutschung „Zeugemutter" für das Wort „Natur", das ursprünglich lateinischer Herkunft ist.

Der Einfluß der Sprachgesellschaften auf die Entwicklung der deutschen Sprache zeigt sich aber nicht nur an den Auswirkungen des sprachpuristischen Gedankens. Da die Mitglieder fast ausnahmslos Protestanten waren, setzte das Lutherdeutsch seinen Siegeszug fort. Die Sprachgesellschaften waren außerdem ihrer Zeit voraus und bei der Aufnahme ihrer Mitglieder um ständische Offenheit bemüht. Überhaupt trugen sie wesentlich zur Entwicklung bildungsbürgerlicher Öffentlichkeit bei: Sie stellen eine Vorform der wissenschaftlichen Akademien dar.

Die historische Bedeutung der Sprachgesellschaften ist also unbestritten. Aber auch ihre Ziele sind von bestechender Aktualität. Denn Sprachkontakt, also wechselseitiger sprachlicher Austausch oder einseitige Beeinflussung, hat es schon immer gegeben - und wird es immer geben. Darum wird man auch die Fremdwörter so schnell nicht loswerden. Die vielen Anglizismen heutzutage zeigen dies. Wo Fremdwörter in ihrer Bedeutung nicht unmittelbar einleuchten, könnten Übersetzungen gefunden werden. Frankreich hat hierfür eigens eine Institution eingerichtet, die Academie francaise.

Aber nicht immer kann das sprachlich Fremde dem Eigenen anverwandelt werden. Irgendwann geht man dann mit dem Fremden so selbstverständlich um, als sei es das Eigene. Daß unser Joghurt zum Beispiel, den wir täglich essen, sprachlich aus dem türkischen Wort für Dickmilch entlehnt wurde, dürfte wenigen bewußt sein. Als solches ist fremdes Sprachgut also nichts Schlechtes. Es ist immer auch ein Ausweis von fremden Kulturen. Zudem spielen Fremdwörter bei der Begriffsbildung in den Fachsprachen eine wichtige Rolle. Die Wissenschaft des Abendlands kommt ohne den griechischrömischen Bodensatz ihrer Begrifflichkeit nicht aus.

Dennoch geht es im Hinblick auf Fremdwörter auch um einen bewußten und überlegten Umgang mit der eigenen Sprache (man will ja schließlich verstanden werden!). Diesem Ziel waren die Sprachgesellschaften letztlich verpflichtet.

Andreas Ehmer studiert Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Tübingen.

 

 



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