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Wörtliche Rede wörtlich genommen

7/2005 KulturSPIEGEL, Von Bastian Sick   

Ich stöbere leidenschaftlich gern in Buchhandlungen. Manche Läden haben eine geradezu inspirierende Ausstrahlung. Damit meine ich nicht allein die hübsch arrangierten Bücherstapel, die prall gefüllten Regalreihen oder den Geruch, den die vielen Bände verströmen - manchmal sind es auch die Verkäufer, die mich inspirieren. So wie vergangene Woche, als ich in meiner Lieblingsbuchhandlung stand und zufällig Zeuge eines Dialogs zwischen einem Kunden und dem Buchhändler meines Vertrauens wurde. „Entschuldigen sie, wo finde ich wohl Frank Schätzing?", fragte der Kunde, woraufhin der Buchhändler meines Vertrauens, den ich Andreas nennen darf, betont freundlich erwiderte: „Herrn Schätzing finden Sie vermutlich in Köln, meines Wissens wohnt er dort. Aber wenn Sie Bücher von ihm suchen: Die finden Sie auch hier, und zwar dort drüben bei den Bestsellern!" Der Kunde schaute verdutzt, murmelte ein „Ah ja, danke" und taperte in die ihm gewiesene Richtung davon.

Ich rückte an Andreas heran und raunte ihm zu: „Darf ich wagen, Sie zu fragen, ob Sie eigentlich alle Fragen immer derart wörtlich nehmen?" -„Selbstverständlich!", sagte er, „das bin ich meinen Kunden schuldig. Wenn nicht einmal wir Verkäufer ihre Fragen ernst nähmen, wer dann?" Sein maliziöses Lächeln verriet mir allerdings, dass er genau das Gegenteil meinte: Wer solche Fragen ernst nimmt, der hat nicht alle Bücher im Regal.

„Sie machen sich ja keine Vorstellung, mit welchen Fragen man als Buchhändler tagtäglich behelligt wird. Ich nenne mal ein Beispiel: Unser Geschäft öffnet um 9 Uhr, das steht für jedermann lesbar draußen an der Tür. Wenn dann um 4.15 Uhr ein Kunde durch die - wohlgemerkt: offene - Tür tritt und fragt: „Haben Sie geöffnet?“, dann kann es durchaus passieren, dass ich ihm antworte: „Nein, mein Herr, wir lüften nur!"` - „Fühlen sich die Kunden dann nicht auf den Arm genommen?" - „Die wenigsten", erwiderte Andreas. „Die meisten begreifen den Unsinn ihrer Frage und lachen. Normalerweise kommen die Leute hierher, um sich zu informieren und beraten zu lassen. Und das funktioniert erfahrungsgemäß am besten, wenn sie ihre Fragen klar formulieren können. Es fängt schon bei der ersten Ansprache an. Wenn jemand zu mir sagt: „Sie können mir nicht helfen?“, dann sage ich zu ihm: „nun ja, wenn Sie das ohnehin schon wissen ...?" – „Es stört Sie demnach, wenn jemand nicht gleich zur Sache kommt?" - „Mich stören überflüssige Floskeln. Anfangs habe ich noch alles klaglos geschluckt, aber nach der tausendsten Wiederholung bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Immer wieder höre ich auch die Bitte: „Können Sie's ein bisschen einpacken?“ Ich erlaube mir dann nachzufragen: „Was meinen Sie mit ein bisschen“? Nur die Vorderseite oder nur die Rückseite?"

„Das führt uns zu der Frage, wie wörtlich man wörtliche Rede nehmen darf“, sagte ich. „Bei der Kommunikation zwischen Kunden und Verkäufern spielt ja nicht nur der Informationsgehalt eine Rolle, sondern auch die Höflichkeit. Deshalb drückt sich manch einer etwas geziert aus." – „Höflichkeit ist ein gutes Stichwort", pflichtete Andreas mir bei, „leider ist sie alles andere als selbstverständlich. Schlimmer noch als Kunden, die sich nicht ausdrücken können, sind Kunden, die sich nicht benehmen können. Sie können sich denken, wie euphorisch es mich stimmt, wenn man mich fragt: „Sind Sie die Kasse?“ Ich antworte darauf dann gern mit einer Gegenfrage: „Habe ich Tasten auf der Stirn und eine Schublade im Bauch?“ In der Regel hilft das." – „Tatsächlich?" – „Es kommt natürlich auch auf den Tonfall an. Manche Kunden empfinden es sogar als befreiend, wenn man sie einlädt, den staubigen Mantel des floskelhaften Sprechens abzulegen und über den Sinn und Nutzen von Phrasen nachzudenken. So wird aus Förmlichkeit Verbindlichkeit." -„Das verbindet Ihren Beruf mit meinem", stellte ich fest. Dann tippte ich auf das Buch in meiner Hand und sagte: „Ich würde dieses Buch gern kaufen." – „Dann tun Sie es doch einfach!" entgegnete Andreas, „ich kann Sie nur dazu ermutigen!" – „Also gut, schon überredet, ich mach's" sagte ich, „kann ich bezahlen?" Andreas musterte mich von oben bis unten und sagte: „Na, das will ich doch hoffen!"

Bastian Sick, 39, ist Autor des Buches „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“. Seine Zwiebelfisch-Kolumne erscheint auch bei www.spiegel.de.


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