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-fähig (fähig / Fähigkeit / -fähig / -bar)
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Übersicht
Zusammenfassung Definitionen Sprachgebrauch Suffixoide Semantische Irrweg Die "bar"-Phobie Scheinfähigkeiten
Zu den Affixoiden
Zusammenfassung
Das ursprünglich ausschließlich aktivisch benutzte Suffix "fähig" im Sinne von "fähig, etwas zu tun" (in "arbeitsfähig", "lernfähig", "fahrfähig, "lauffähig", "sehfähig") wird seit einigen Jahren immer öfter - vom Duden empfohlen - passivisch eingesetzt. Es soll damit ausgedrückt werden, daß etwas für etwas geeignet sei. Die vorhandene Suffixe zum Bilden von Eignungsadjektiven wie "bar", "lich" und "abel" (in "lenkbar", "erträglich", spendabel) werden mit dieser Be-fähig-ung" nicht nur ignoriert, sondern sogar ersetzt, was zu Mißverständnissen führt.
Beispiel für die Verwechslung von "bar" und "fähig": Der Fahrer sitzt nicht im "lenkfähigen" Auto; er ist es selbst, der (hoffentlich) die Fähigkeit zum Lenken besitzt. Das Auto ist "lenkbar".
Das Ergebnis der mißverständlichen, oft falschen Wortwahl besteht in einer Flut von schwammigen, praktisch mit jedem Hauptwort als Bestimmungswort bildbaren Wortkonstruktionen, die nicht mehr erkennen lassen, ob aktivischer oder passivischer Sinn gemeint ist.
Häuig werden auch Hauptwörter (Substantive) als Grundlage (Bestimmungswort) für die Wortbildungen mit "fähig" verwendet, besser gesagt mißbraucht, in denen die Eignung für etwas (Funktion, Tätigkeit usw.) durch das Suffix "fähig" ausgedrückt werden soll. Damit versteckt sich die Eignung in einer Scheinfähigkeit, was zum Verschmelzen von Aktivität und Passivität führt. Eine Differenzierung wird unmöglich.
Aktuelle Beispiele: regierungsfähig, mehrheitsfähig, abzugsfähig, genußfähig, schuldfähig, waffenfähig, versandfähig, medikamentenfähig, eurofähig, BTX-fähig, internetfähig, PC-fähig, steuerungsfähig, friedensfähig, notstromfähig und verschreibungsfähig, verbesserungsfähig, neuerdings auch mißbrauchsfähig und abluftfähig.
"zukunftsfähig": ist damit gemeint, die Zukunft zu gestalten, zu beeinflussen, zu verändern, zu ertragen, zu deuten usw.?
"mehrheitsfähig": ist damit gemeint, die Mehrheit herbeizuführen, zu gestalten, zu begründen, zu beeinflussen, zu verändern, zu ertragen, zu usw.?
Der ständig zunehmende Trend, in Eignungen Pseudofähigkeiten zu sehen, wo keine sind, trägt nicht nur zum Verhunzen der Sprache bei, sondern verwischt auch den Unterschied zwischen den aktivischen und den "dudenfähigen" passivischen Auslegungen. Die Neigung, sich unklar auszudrücken, wird unterstützt. Der häufige Gebrauch in der Umgangssprache läßt annehmen, das sei gutes Deutsch.
Beispiele für richtiges, allerdings dudenwidriges Deutsch: statt
abzugsfähig (Steuern): abziehbar, abzugsgeeignet genußfähig: genießbar, genießerisch, genußverheißend, schuldfähig: schuldeinsichtig, schulderkennend, schuldbewirkend usw., waffenfähig: waffentauglich, waffengeeignet, versandfähig: versendbar, versandgeignet,
Die spezielle Rolle des Duden bei dieser für die deutsche Sprache mindestens ungünstigen Entwicklung, insb. durch die von ihm sanktionierte passivische Verwendung von fähig erschwert jede Art von Sprachaufklärung.
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Definitionen
1a. fähig Trübners Deutsches Wörterbuch, 8 Bde. 1940: In der heutigen Verwendung, die im Gegensatz zur Sprache noch des 18. Jh. ganz auf lebende Personen eingeschränkt ist, heben sich drei Möglichkeiten ab:
1. Einmal drückt "fähig" ganz neutral das Imstandesein zu einer Handlung aus: ich bin fähig wieder aufzustehen; unfähig etwas zu erwidern.
2. Sodann besagt das Adj., daß man einem eine besondere Handlung zutraut: er ist jedes Verbrechens fähig; umgangssprachlich: der ist fähig und macht seine Drohung war.
3. Ohne jeden Zusatz bezeichnet "fähig" gute Anlagen, Leistungen, überhaupt Begabung: "Er hat einen fähigen Kopf". ...
Duden "Richtiges und gutes Deutsch" und "Das Bedeutungswörterbuch", je 1985: Es wird unterschieden zwischen dem Adjektiv "fähig", wie es Trübner im Prinzip erläutert hat, und dem Suffix "fähig", das der Duden in ein aktivisches und ein passivisches Adjektiv unterteilt (und damit ein heiloses Durcheinander verursacht). Duden "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", 10 Bde., 1999, Version 2.01: (Adjektiv) imstande, etwas zu empfangen oder aufzunehmen:
1. begabt, tüchtig, geschickt u. daher gestellten Aufgaben gewachsen; befähigt: ein überaus fähigerer Mann, Jurist; auch die regionalen Verbände müssen fähige Trainer anstellen.
2. zu etwas fähig sein (zu etwas in der Lage, imstande sein): sie war zu keinem Gedanken, keines Gedankens fähig; diese Burschen sind zu allem fähig; Zu jenen Beziehungen, die man gemeinhin als Freundschaft bezeichnet, war er wohl fähig, indes kaum bereit; ich meine, du bist noch lange fähig, das Hotel zu leiten; ich wäre jetzt zu einem Schnaps fähig (scherzhaft; würde jetzt gern einen Schnaps trinken); ein zu dieser Aufgabe durchaus, ein zu großen Leistungen fähiger Mann.
1b. Fähigkeit Duden "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", 10 Bde., 1999, Version 2.01:
1. geistige, praktische Anlage, die zu etwas befähigt, Wissen, Können, Tüchtigkeit: jmds. geistige, menschliche Fähigkeiten; Fähigkeiten in jmdm. wecken; künstlerische Fähigkeiten haben; seine Fähigkeiten für etwas einsetzen; an jmds., den eigenen Fähigkeiten zweifeln; Ich werde auf jeden Fall meine juristischen Fähigkeiten nutzen.
2. (nur in der Einzahl) das Imstandesein, In-der-Lage-Sein, das Befähigtsein zu etwas, Vermögen, etw. zu tun: In ihr müsste die Fähigkeit zum Frieden... wachsen; Woher kommt ihr diese staunenswerte Fähigkeit zur Geometrie ...?. 1c. -fähig Duden "Richtiges und gutes Deutsch" und "Das Bedeutungswörterbuch", je 1985
1. aktivisches Adjektiv: Bildungen mit "fähig" drücken aus, daß jemand über eine Fähigkeit verfügt: arbeitsfähig "fähig zu arbeiten", gehfähig "fähig zu gehen" usw.
2. passivisches Adjektiv: Bildungen mit einem Substantiv als Bestimmungswort, in denen "fähig" ausdrückt, etwas für etwas geeignet ist, daß etwas getan werden kann oder darf: anbaufähig "zum Anbau geeignet", dehnfähig "kann gedehnt werden" usw. (richtig wäre: "anbaubar", "dehnbar")
Duden "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", 10 Bde., 1999, Version 2.01:
1. drückt in Bildungen mit Substantiven oder Verben (Verbstämmen) aus, dass die beschriebene Person oder Sache etw. machen kann, zu etw. in der Lage ist: aufnahme-, bindungs-, explodierfähig.
2. drückt in Bildungen mit Substantiven oder Verben (Verbstämmen) aus, dass etw. gemacht werden kann: sende-, zitierfähig (richtig wäre "sendbar" und "zitierbar").
3. drückt in Bildungen mit Substantiven aus, dass die beschriebene Person oder Sache für etw. geeignet ist, die erforderlichen Eigenschaften für etw. besitzt: abrüstungs-, mehrheits-, politik-, wettbewerbsfähig. (geeignet oder fähig, das ist die Frage.)
1d. verhandlungsfähig Duden "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", 10 Bde., 1999, Version 2.01:1. (Rechtsspr.) in der Lage, in einer Verhandlung seine Interessen wahrzunehmen: dass der ... Ehemann eingeschränkt und dessen ... Frau nur für vier Stunden täglich v. sind.
2. so beschaffen, dass darüber verhandelt werden kann: dieser Punkt, diese Forderung ist nicht verhandlungsfähig (richtig wäre "verhandelbar", allenfalls "verhandlungsgeeignet"). 1e. -bar Duden "Das große Wörterbuch der deutschen Sprache", 10 Bde., 1999, Version 2.01:
ursprünglich nur in Zusammensetzungen vorkommendes Adjektiv mit der Bedeutung tragend, fähig zu tragen: drückt in Bildungen mit Verben (Verbstämmen) aus, dass
1. mit der beschriebenen Person oder Sache etw. gemacht werden kann: bebaubar, heizbar.
2. die beschriebene Person oder Sache etw. machen kann: a) brennbar, haftbar; b) (verneint in Verbindungen mit un-) unverwechselbar, unverwitterbar und
3. die beschriebene Sache zu etwas geeignet ist: badebar, tanzbar, wanderbar.
1f. Beispiel verhandelbar (Adjektiv) sich verhandeln lassend, verhandlungsfähig (?): mit verhandelbaren und nicht verhandelbaren Positionen; der Preis ist verhandelbar; die Sache werde wohl schwer verhandelbar sein; Er wiederholte noch einmal, dass zwar alles verhandelbar, aber ... nicht alles abschließbar sei.
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Der Sprachgebrauch
Vor ca. 50 Jahren gab es noch kein BTX, aber auch kein Wort wie "BTX-fähig". Das Adjektiv "fähig" wurde vorwiegend im aktivischen Sinn gebraucht, indem es ausdrücken soll, daß jemand imstande zu einer Handlung ist (arbeitsfähig). Sodann besagt es, daß man einem eine besondere Handlung zutraut (des Verbrechens fähig). Und schließlich bezeichnet "fähig" gute Anlagen, Leistung und Begabung (Er ist ein fähiger Mensch). Erste Versuche, "fähig" auch personenunabhängig einzusetzen, indem es mit einem Hauptwort kombiniert wird, z. B. "salonfähig", "hoffähig" und "gesellschaftsfähig" gefielen offenbar auch dem nicht zur "Gesellschaft" gehörenden Volk so gut, daß sich diese Begriffe bald allgemein durchsetzten. Die Zahl der neuen Wortkombinationen mit dem jetzt zum Suffix gewordenen "-fähig" nahm von Jahr zu Jahr zu. Es wurden weitere Anwendungsgebiete für die Fähigkeiten entdeckt, nun auch für den passivischen Gebrauch.
Mit "fähig" gebildete Suffixoide
Ein Suffixoid ist laut Duden ein Wortbildungsmittel, das sich aus einem selbstständigen Lexem zu einer Art Suffix entwickelt hat und sich vom selbstständigen Lexem durch Reihenbildung und Entkonkretisierung unterscheidet (z.B. -papst in Literaturpapst).
Die mit dem Suffix "-fähig" gebildeten (adjektivischen) Suffixoide sind sprachliche Neuschöpfungen, die sich allenfalls zum Verhunzen der Sprache eignen, weniger dazu, als Zeichen einer natürlichen Sprachentwicklung zu gelten. Neuerster Begriff ist "paßfähig" im Zusammenhang mit akademischen Graden.
Es gibt bereits eine lange Liste der gängigen Suffixoide, von deren Verbreitung zum Wohl der Sprache abzuraten ist. Die Beurteilungen darüber, welche Ausdrücke gutes, falsches oder schlechtes Deutsch sind, gehen auch unter Fachleuten auseinander. Ich schlage daher drei Gruppen vor, durch die sich die Suffixoide voneinander unterscheiden lassen. Vielleicht wird es dann leichter zu beurteilen, ob sie den gängigen Regeln der Sprache entsprechen oder nur Ausdruck von schlampigem Deutsch sind.
Gruppe 1: Verb-Suffixoide, Suffixoide, die von Verben abgeleitet sind, ("dehnfähig" von dehnen, "explodierfähig" von explodieren, "lernfähig" von lernen, "fahrfähig" von fahren, "zitierfähig" von zitieren usw.),
Hier ist "fähig" jeweils durch "bar" ersetzbar. Dabei wird aus dem aktivischen ein passivischer Sinn ("dehnfähig" zu "dehnbar", "fahrfähig" zu "fahrbar"). Das Unterscheiden zwischen "fähig" und "bar" fällt sogar dem Duden schwer. Er sieht bspw. in der Butter einen "streichfähigen" Aufstrich.
Gruppe 2: Verbalsubstantiv-Suffixoide, Suffixoide, die von Verbalsubstantiven abgeleitet sind, ("abstimmungsfähig" von abstimmen/Abstimmung, "anrechnungsfähig" von anrechnen/Anrechnung, "aufnahmefähig" von aufnehmen/Aufnahme usw).
Bei diesen Wörtern kann die passivische Form nicht mit "bar", sondern allenfalls mit Adjektiven wie "geeignet", "tauglich", "würdig" etc. (abstimmungsgeeignet, aufnahmetauglich) gebildet werden. Eine Möglichkeit, die der Duden wegen angeblichen Fehlens geeigneter Adjektive nicht sieht und damit den Irrweg mit "fähig" empfiehlt, der die Pseudofähigkeiten schafft. Eine andere Form ist ratsamer, nämlich die gemäß Gruppe 1, indem auf das Verb zurückgegriffen wird (statt "abstimmungsgeeignet" wird "abstimmbar", statt "anrechnungsfähig" wird "anrechenbar" gesetzt).
Gruppe 3: Substantiv-Suffixoide, Suffixoide, die ausschließlich von Hauptwörtern abgeleitet sind, ("amtsfähig" von Amt, "atomwaffenfähig" von Atomwaffen, "beihilfefähig" von Beihilfe, "börsenfähig" von Börse, "kabarettfähig" von Kabarett, "friedensfähig" von Frieden usw.
Mit ihren Formen ist eine unermeßliche "Bereicherung" der deutschen Sprache zu erwarten. Denn praktisch kann je nach Laune und Einfallsreichtum jedes in der deutschen Sprache verfügbare Hauptwort zum Ausdruck einer "Fähigkeit" benutzt werden.
Hier einige besonders absurde Fälle: Der küchenfähige Kühlschrank, das spielzeugfähige Kind, die kannenfähige Milch, das metzgerfähige Fleisch, der wohnungsfähige Mieter, das handwerkerfähige Werkzeug, straßenfähige Autos, die zimmerfähige Blume usw. usw.
Diese Begriffe haben den Nebeneffekt, daß sich jeweils reziproke Ausdrücke bilden lassen. So der kühlschrankfähige Wohnwagen, das kindfähige Spielzeug, der fleischfähige Metzger, die mieterfähige Wohnung, der werkzeugfähige Handwerker, autofähige Straßen und das blumenfähige Zimmer. Auf diese dudenfähige Weise kann die deutsche Sprache mit beliebig vielen Kombinationen verhunzt werden.
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Der semantische Irrweg
Die Fähigkeit wird zur Eignung
Der Duden als scharfer Beobachter des Sprachgeschehens brauchte nicht lange, um für diese Sinnausdehnung eine Begründung zu finden, ohne jedoch zu erkennen, daß mit ihr das Tor zum Sprachmüllsammelplatz weit aufgesperrt wurde und welches Potential zum Verhunzen der Sprache in ihm steckt. So folgte schnell das grammatikalische Dudenplazet für das Suffix mit dem Satz:
"Daneben gibt es Bildungen mit einem Substantiv als Bestimmungswort, in denen "fähig" ausdrücken soll, daß etwas für etwas geeignet ist, daß etwas getan werden kann oder darf. Dazu setzte er die angeblich passenden, jedoch falschen Beispiele: anbaufähig - zum Anbau geeignet, ausbaufähig - zum Ausbau geeignet, abzugsfähig- abgezogen werden dürfend oder könnend usw."
Doch ein Jahr später heißt es im Grammatikband von 1966 unter "Adjektive in der Rolle von Suffixen" etwas vorsichtiger: Auch Adjektive können allmählich (!) zu Suffixen werden. Das betrifft vor allem Adjektive ohne festen Inhalt (?) wie .... "fähig", ...". Beispiele mit "fähig" fehlen eigenartigerweise. Hier leistet sich der Duden eine unverständliche Feinheit der Sprachpolitik. Im Ergebnis ist das großzügige Angebot des Dudens an die Sprachpanscher geradezu ideal zum Vergrößern des triefenden Schwamms, aus dem sich immer neue Wortschöpfungen zu einem "Fähigkeits"-Brei herauspressen lassen. In ihm lagern nun und vermehren sich täglich die Pseudofähigkeiten alle Art. Seit 1985 wirkt der Duden in strikter Beachtung seiner eigenen Genehmigung zum Verhunzen der Sprache fleißig mit.
Die "ratefähigen" Bilder
Im Bedeutungswörterbuch (1985) hat er die ersten kuriosen Wortbildungen mit "fähig" angeführt: ratefähige Bilder, beleidigungsfähige Katzen, ersatz-, bündnis-, vorladungs-, mehrheits-, recyclier-, kabarett-, kino-, endlager-, friedens-, lexikon- recyling-, steigerungs-, team-, urlaubs- und weltmarktfähig. Sein Vorbild schuf weitere Schwammwörter: Hier einige Kostproben aus dem inzwischen angereicherten Vorrat der vergangenen Jahre: regierungsfähig, abzugsfähig, genußfähig, schuldfähig, waffenfähig,versandfähig, medikamentenfähig, eurofähig, BTX-fähig, internetfähig, PC-fähig, steuerungsfähig, notstromfähig und verschreibungsfähig (das Medikament), mißbrauchsfähig, um nur einige zu nennen.
Wie wenig ausdruckskräftig derartige Schwammwörter sind, zeigen die offenen Fragen, die sie zwangsläufig aufwerfen: Bedeutet z. B. mehrheitsfähig die Mehrheit anzustreben, sie zu erringen, sie zu bilden, sie zu ertragen, sie zu gestalten oder sie zu erweitern? Die Vielzahl der möglichen Antworten lädt geradezu ein, dem Trend der Zeit folgend die Verschleierung zu nutzen, wenn der Sprechende oder Schreibende die Antwort selbst nicht kennt, sie nicht preisgeben will oder es anderen überläßt, sie herauszufinden.
Immerhin räumt der Duden in den "Hauptschwierigkeiten ..." (1965)ein: Obwohl häufig der Einwand erhoben wird, daß in diesen Bildungen "fähig" keine (menschliche) Fähigkeit, kein Vermögen ausdrückt und daß diese Bildungen im Widerspruch zu der Bedeutung von "fähig" stehen, so muß man (wer ist "man", der Duden?) sie doch anerkennen, denn bei diesen Bildungen handelt es sich ja kaum noch um Zusammensetzungen, sondern um Ableitungen. Aha! (Wer sich mit den Ableitungen beschäftigen will, sollte sich einen Tag frei nehmen.) Kurz danach folgt die eigentliche ziemlich fadenscheinige Begründung, mit der der Duden den Freibrief für das universelle, völlig überflüssige und die Verständlichkeit erschwerende Be-"fähig"-en ausstellt. Mit dieser Erklärungsmethode kommt der Duden schnell zum Ergebnis. Er nimmt des Volkes Stimme wahr, und wenn sie nicht den Regeln entspricht, dann denkt er sich eine passende Erklärung dafür aus, die wie eine Regel aussieht.
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Die "bar"-Phobie des Duden
In den "Hauptschwierigkeiten" heißt es
"Das Adjektiv "fähig" ist zum Suffix verblaßt und seine Funktion hat sich gewandelt. Außerdem steht kein anderes Suffix mit vergleichbarer Funktion zur Verfügung, denn mit dem Suffix "-bar" können Adjektive dieser Art nur zu Verben gebildet werden. Wirklich? Warum kann denn z. B. "ausbaubar " (Verb "ausbauen") nicht für die Wendung zum Ausbau geeignet verwendet werden? Auch die weiteren Beispiele sind ungeeignet, die These des Duden zu stützen, sie sind stützungsunfähig! Was hat der Duden eigentlich gegen das Suffix "-bar"? So stellt er doch fest, Die zahlreichen von Verben (also doch) abgeleiteten Adjektive mit dem Suffix "-bar" haben passivischen Sinn. Das Suffix "-bar" drückt aus, daß die durch das Verb bezeichnete Handlung an einem Wesen oder Ding vollzogen werden kann: lieferbar. Warum will er aber "-bar" nicht im aktivischen Fällen durch "-fähig" ersetzen z. B. lenkbar durch lenkfähig? Soll demnach der Fahrer eines Fahrzeuges ebenso lenkbar sein wie das Fahrzeug selbst? Warum wäre das nicht korrekt? Brauchen wir die lieferungsfähige Ware, nachdem sie allgemein (noch) üblich als lieferbar bezeichnet wird? Die Beispiele lassen sich mit fast allen Verben bilden.
Der Duden sieht in den "Hauptschwierigkeiten ...." Schwierigkeiten, wo es keine gibt. So soll die Frage schwierig sein, ob man auch Bildungen (mit "-fähig") mit einem Verb als Bestimmungswort gelten lassen darf, die ausgesprochen passivischen Sinn haben und die die Bildungen mit dem Suffix "-bar" verdrängen: taxierfähig "taxiert werden könnend", beeinflußfähig "beeinflußt werden könnend. Laut Duden sind einige wenige (es werden immer mehr!) bereits üblich, und es ist müßig, "streichfähig" durch "streichbar" ersetzen zu wollen. Im Gegenteil, diese doppeldeutigen Begriffe erhöhen die Zahl der Schwammwörter. Nur das strikte Unterscheiden zwischen taxierbar (kann taxiert werden) und taxierfähig (kann taxieren) läßt sofort erkennen, welcher Sachverhalt vorliegt. Dasselbe gilt für streichbar, das gemäß Dudenempfehlung durch streichfähig und für strapazierbar, das durch strapazierfähig ersetzt bleiben soll. Warum? Der Maler wäre streichfähig, die Farbe streichbar; ein Ausbilder ist strapazierfähig, der Auszubildende strapazierbar; ein Mann ist streichelfähig, seine Ehefrau streichelbar. Der Duden rotiert mit den Suffixen "-bar" und "-fähig" in einem Erklärungsnebel, aus dem er nicht mehr herausfindet. Das zeigt sich am Ende des Eintrags erneut. Danach sei es nicht korrekt, allgemein übliche Bildungen mit "-bar" durch Bildungen mit "fähig" zu ersetzen, wie z. B. lenkbar durch lenkfähig. Es ist gerade umgekehrt. Auf der Woge der "Fähigkeitsinflation" wurde aus dem lenkbaren Auto das lenkfähige Auto.
Im neuen 10-bändigen Wörterbuch von 1999 bestätigen die Erläuterungen zum Eintrag "-fähig" die seit Jahrzehnten unveränderte "schwammfähige" Situation. Indem aktuellen Eintrag unter "-fähig" drückt das Suffix in Bildungen mit Substantiven oder Verben (Verbstämmen) aus, daß etw. gemacht werden kann: sende-, zitierfähig. Abgesehen davon, daß für das Bilden mit einem Substantiv kein Beispiel gegeben wird, wäre nach dieser Definition sendefähig etwas, was gesendet, und zitierfähig etwas, was zitiert werden kann. Das ist starrfähiger Unsinn! Mit den Erklärungen aus den "Hauptschwierigkeiten ..." sind Sendungen sendbar und Texte zitierbar. Der Duden hat offenbar eine "bar"-Phobie, die ihn hindert, die Realität zu erkennen. Gegenüber der Schwammwörteransammlung im Bedeutungswörterbuch von 1985 erscheinen die Angaben im Wörterbuch von 1999 ja noch harmlos: "-fähig" drückt in Bildungen mit Substantiven aus, daß die beschriebene Person oder Sache für etwas geeignet ist, die erforderlichen Eigenschaften für etwas besitzt: abrüstungs-, mehrheits-, politik-, wettbewerbsfähig." Abrüstung und Wettbewerb sind von Verben abgeleitet, die Wörter Mehrheit und Politik nicht.
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Die Scheinfähigkeiten
Eine schlüssige Begründung wenigstens im Zusammenhang mit dem Gesamttext zu erwarten erscheint unmöglich. Denn die zuständigen Dudenredakteure kennen offenbar den eigenen Text auf derselben Seite nicht. Schon im ersten Erläuterungssatz zum passivischen Gebrauch von "-fähig" (Hauptschwierigkeiten ...), daß etwas für etwas geeignet ist) steht ein Adjektiv, nämlich "geeignet", das sich ebenso wie viele andere Adjektive grundsätzlich als Suffix verwenden läßt. Sie alle könnten eine klare, mindestens keine verwässerte Information liefern, die dem Leser oder Hörer das Deuten des Textes ersparen. In der, Grammatik von 1998 sind unter "Adjektive in der Rolle von Suffixen" Adjektive aufgeführt, z. B. los, voll, reich; aber auch tauglich, würdig, trächtig, pflichtig, bedürftig, kräftig, steigend und viele andere könnten angefügt werden. Außerdem ignoriert der Duden im eben genannten Buch den Text, den er eine Spalte vorher auf der selben Seite, verfaßt hat. Mit den Beispielen eßbar, lieferbar und tragbar versucht er zu begründen, mit dem Suffix "-bar" könnten Adjektive (dieser Art ?) nur zu Verben gebildet werden. Sind in den Beispielen arbeitsfähig, lebensfähig und gehfähig die jeweils abgeleiteten Verben arbeiten, leben und gehen etwa keine Verben? In den Nachfolgewerken des Duden "Richtiges und gutes Deutsch" von 1985 und dem Bedeutungswörterbuch von 1985 werden die sachwidrigen Erläuterungen zum Suffix "-fähig" fortgesetzt. Bemerkenswert (bemerkungsfähig) sind die im Bedeutungswörterbuch (1985) neu aufgenommene Beispiele, die das Absurde des passivischen Gebrauchs von "-fähig" deutlich machen. Wenn das Material als dehnfähig (kann gedehnt werden) an gesehen wird, wie bezeichnet man denjenigen, der es dehnen kann? Dehnbar? Wenn Kräuter streufähig sind, wie nennt man dann den Bauern, der Samen streut? Streubar? Mit dieser Methode wird das als Suffix zu verwendende "-bar" auf den Index unerwünschter Wörter gesetzt, vielleicht sogar in der Sprachsünderkartei aufgenommen. Der Duden müßte sich eigentlich dort selbst eintragen! Wenn man im aktuellen Grammatikband (1998) die Beispiele im Zusammenhang mit dem Verb "fahren" entdeckt hat, keimt leise Hoffnung auf. Stehen dort doch tatsächlich die Bildungen fahrbar, fahrbereit, -kundig, -tauglich und tüchtig.
Auch ein Duden kommt nicht ohne Anpassung an die aktuelle Technik aus, besonders wenn es sich um ein Medium handelt, das weltweit verbreitet und ansteuerbar (dudenmäßig: ansteuerungsfähig) ist. Auf seiner Homepage ist unter "Duden - Grammatische Fachbegriffe" das Suffix "-fähig" als synonym im aktivischen wie im passivischen Sinn erläutert, also wie gehabt. Das dort sowohl bei "aktivisch" als auch bei "passivisch" angeführte Beispiel verhandlungsfähig (= kann verhandeln) bzw. (das Angebot ist verhandlungsfähig = darüber kann verhandelt werden) bietet schon keine Überraschung mehr. Warum läßt der Duden das Suffix "-bar" nicht einfach aussterben? Dann wären alle Sterne, die wir gerade noch optisch orten können, sehfähig. Die weiter entfernten Himmelskörper müßten konsequenterweise als sehunfähig eingestuft werden, eine Eigenschaft, die schon ein Volksschüler allenfalls einem Blinden zuordnen würde.
Mit der (verhunzungsfähigen) Dudenlizenz, die Sprache zu vergewaltigen, wird die Möglichkeit genutzt, ohne nachzudenken "Fähigkeiten" dort zu sehen, wo sie semantisch betrachtet nicht sein können. Die Phantasie des Volkes schießt ins Uferlose und erschließt unaufhörlich förderungsfähige Gebiete. Steuerzahler und das Finanzamt sprechen nur noch von den abzugsfähigen Steuern, obwohl Steuern allenfalls abziehbar sind. Abzugsfähig, besser abziehfähig (abziehberechtigt, meinetwegen abzugsberechtigt) wäre das Finanzamt. Es wird nicht allzu lange dauern, bis der wörterbuchfähige Duden, den hütungsfähigen Sprachschatz erweiternd, nicht nur die küchenfähige Hausfrau, die autofähige Straße und das kinderfähige Spielzeug im Wörterbuch dokumentieren wird, sondern auch alle weiteren Konstruktionen, die sich mit Hauptwörtern und dem Suffix "-fähig" bilden lassen. Die Hauptwörter sind jeweils vertauschungsfähig (vertauschbar), wodurch die Anzahl der Kombinationen verdopplungsfähig (verdoppelbar) wird, zur hausfraufähigen Küche, zu straßenfähigen Autos und zum spielzeugfähigen Kind, auch zum dudenfähigen Wörterbuch und zur sprachschatzfähigen Hütung. Gibt es eine bessere Methode, mit der die deutsche Sprache noch bereicherungsfähiger und verhunzungsfähiger werden könnte? Jeder Deutsche wird fähigkeitsfähig. Der Umfang eines Wörterbuches wird zunehmen, d. h. es wird zunehmungsfähig. Ein finanziell (finanzfähig) nicht unwesentlicher, also ein wesentlichkeitsfähiger) Aspekt.
Insgesamt gesehen ist der Beitrag des Duden, jedenfalls bezüglich des passivischen Gebrauchs des Suffixes fähig, zum Erhalten der Ausdrucksfähigkeit und der Differenzierungsmöglichkeit der deutschen Sprache "würdigungsunfähig".
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