Bestimmt das Denken das Handeln oder nicht doch das Handeln das Denken? Neueste neurobiologische Erkenntnisse scheinen zu belegen, dass der freie Wille des Menschen bloß ein frommer Wunsch ist. Bedeutet dies das Ende des philosophischen Freiheitsbegriffes, wie ihn etwa Kant formuliert hat? Oder können wir doch frei sein, auch unter den Bedingungen des Determinismus? Der Philosoph Professor Thomas Buchheim hat sich der Frage angenommen.
Hirnforschung und Willensfreiheit: Unsere Verhaltensweisen, Gefühle und Gedanken, ob nun bewusst oder unbewusst, lassen sich auf neuronale Signale im Gehirn zurückführen. Grafik:: Hochschule Zittau/Görlitz Der Denker von Auguste Rodin (1840-1917).Die Freiheit des denkenden Menschen: Freiheit ist ein Phänomen, das sozial konstituiert ist. Menschen sind nicht schlechthin frei oder unfrei, sondern werden frei oder unfrei im Laufe ihrer Entwicklung. Dabei entfaltet sich höchste Freiheit in der künstlerischen Betätigung, so Thomas Buchheim. Bild: akg Freiheit ist ein Hirngespinst, denn „keiner kann anders, als er ist. Mit dieser provokanten These hat der Neurobiologe Professor Wolf Singer in einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Philosophie den Fehdehandschuh hingeworfen. „Freiheit ist die Freiheit, auch anders zu können. Man hat sie aber nicht, sondern erwirbt sie, hält der Münchener Philosoph Professor Thomas Buchheim dagegen. Unsere Verhaltensweisen, Gefühle und Gedanken, ob nun bewusst oder unbewusst, lassen sich auf neuronale Signale im Gehirn zurückführen, die festverschalteten Bahnen folgen. Darin sind sich Thomas Buchheim und Wolf Singer einig. Doch Wolf Singer zieht radikale Schlussfolgerungen. Bewusste, freie Handlungen unterscheiden sich in keiner Weise von automatisierten Tätigkeiten, so seine These. Ob der Mensch nun atmet, schwitzt oder nachdenkt, stets ist er nur eine Maschine, die ihrer Befehlszentrale im Kopf gehorcht. Die Aufsätze von Wolf Singer und Thomas Buchheim in der F.A.Z. sind Teil eines wissenschaftlichen Schlagabtauschs, der nun gesammelt unter dem Titel Hirnforschung und Willensfreiheit im Suhrkamp-Verlag erscheint. Großen Widerspruch hat Wolf Singers Position hervorgerufen. Viele Verteidiger der Freiheit berufen sich auf den Philosophen und Aufklärer Immanuel Kant, auf dessen Freiheitsbegriff letztlich die Idee der allgemeinen Menschenrechte gründet. Unsere Werte und unser ethisches Verhalten haben ihren Ursprung in der Freiheit, behauptet Immanuel Kant in der Kritik der praktischen Vernunft. Sich ethisch richtig zu verhalten sei nur der Mensch in der Lage, da er über einen freien Willen verfüge und somit frei sei von inneren und äußeren Zwängen. Die Philosophie bezeichnet diese Position als Indeterminismus. Die Freiheit des Willens wird freilich dadurch erkauft, dass Immanuel Kant die Natur zu einer „bloßen Erscheinung degradiert. Thomas Buchheim dagegen hält ebenso wie die Naturwissenschaften die Natur für genauso real wie den Menschen selbst.
Nietzsche: der freihandelnde Mensch ist eine Fiktion
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde der freie Wille von verschiedenen Seiten in die Zange genommen. Für Karl Marx stehen Entscheidungen immer im Zusammenhang mit ökonomischen Prozessen. Freiheit verspricht er sich erst durch die kommunistische Revolution. Sigmund Freud sieht allerlei Triebe und Zwänge im Inneren des Menschen wirken. Er entdeckt das Unbewusste und zerstört damit den Glauben an die freie und rationale Entscheidungsfähigkeit des Menschen. Am radikalsten hat Friedrich Nietzsche die Ideen von Freiheit und freiem Willen kritisiert.
Derart selektiv und gesteuert sei unsere Wahrnehmung, dass von rationalen oder gar freien Entscheidungen keinesfalls gesprochen werden könne. Als allenfalls instinktgesteuert seien menschliche Handlungen zu erklären, der freie Mensch somit eine Fiktion. Dies entspricht der philosophischen Position des Determinismus. Wolf Singers Thesen sind also nicht wirklich neu, sie bekommen nur ein neurobiologisches Fundament. Die Philosophie hat bisher mit zwei unterschiedlichen Ansätzen versucht, der Kritik des Determinismus zu begegnen. Der so genannte Kompatibilismus versucht, Determinismus und Freiheit zu versöhnen. Der Kompromiss geht jedoch zu Lasten der Freiheit, denn der Kompatibilismus negiert grundsätzlich die Möglichkeit alternativen Handelns. Hat aber ein Mensch in einer bestimmten Situation nicht die Wahl, sich anders zu entscheiden, dann hat er gar keine Wahl. Die Möglichkeit zu wählen ist ein entscheidendes Merkmal von Freiheit. Die Gegenposition zum Kompatibilismus vertritt der Libertarismus, der emphatisch die Wahlmöglichkeit bejaht. Doch kann der Libertarismus nicht erklären, warum Entscheidungen auch notwendig und nicht nur rein zufällig getroffen werden. Wenn Entscheidungen nicht gewissen Regeln folgen, sind sie zufällig. Zufall aber ist das Gegenteil von Freiheit, denn Zufall bedeutet Willkür. Eine freie Willensentscheidung erfolgt nicht aus purer Laune, sondern ist stets begründet.
Der „libertarische Kompatibilismus
Thomas Buchheim, Leiter einer von der Thyssen-Stiftung geförderten Forschergruppe, verfolgt in einer Reihe von Aufsätzen einen radikal neuen Ansatz, den er „Libertarischer Kompatibilismus nennt. Schon der Titel weist den Weg: Thomas Buchheim will Determinismus und Libertarismus vereinen. Nicht den Determinismus an sich bestreitet er, sehr wohl aber wendet er sich gegen den so genannten physiko-kausalen Determinismus. Diese rigide Form des Determinismus liegt dem Weltbild der modernen Naturwissenschaften zugrunde und behauptet die universelle Gültigkeit der Naturgesetze auch jenseits der Physik. Die Naturgesetze beschreiben das Verhalten von Körpern. Da sich aber alle Geschehnisse im Universum an Körpern vollziehen, seien die Naturgesetze gleichzeitig die Gesetze aller Geschehnisse. Jedes Ereignis und damit auch menschliche Entscheidungen und Handlungen seien durch allgemeingültige Gesetze bestimmt und entsprechend beschreibbar. Der physiko-kausale Determinismus zielt auf die Weltformel, die alle bekannten und bislang unbekannten Naturgesetze in sich vereine und die jeden Zustand und jedes Ereignis beschreiben könne. Dass alle Körper, auch die menschlichen, zum Beispiel dem Gesetz der Schwerkraft unterliegen, ist hinlänglich bekannt. Ein Astronaut kann die Folgen der Schwerkraft überwinden, das Gesetz der Schwerkraft jedoch niemals brechen. Dem strengen Determinismus zufolge unterliegt der Astronaut nicht nur der Schwerkraft, er hat auch keine Wahl, ob er die Rakete besteigt oder nicht. Sein Verhalten ist durch seine neuronalen Verknüpfungen im Gehirn bestimmt.
Auch Thomas Buchheim nimmt an, dass die Welt grundsätzlich determiniert ist. Dass jeder menschlichen Handlung irgendein Gesetz zugrunde liegt, ist durchaus möglich. Entscheidend ist nur, wie Gesetz definiert wird. Für die Naturwissenschaften gelten nur die Naturgesetze. Diese sind zu jeder Zeit und an jedem Ort für jeden und alles gültig. Für den Determinismus aber ist eine derart eingeengte Gesetzesdefinition gerade auch im Bereich des menschlichen Handelns weder nötig noch zutreffend. Denn Naturgesetze zwingen nicht, sie beschreiben lediglich, wie sich bestimmte Dinge verhalten. Anders als Vögel sind Menschen von Natur aus flugunfähig. Der Mensch kann aber Flugzeuge erfinden. Diese menschliche Eigenschaft wird von den Naturgesetzen überhaupt nicht erfasst. Der physiko-kausale Determinismus reduziert den Menschen auf seine physikalischen Aspekte. Freiheit jedoch ist keine physikalische Eigenschaft, so Thomas Buchheim. Menschliche Entscheidungen gründen in Gedanken, die neurobiologisch als elektrische Impulse des Gehirns beschrieben werden. Der physiko-kausale Determinismus schließt daraus die Gültigkeit der engen Naturgesetze auch für das Denken. Thomas Buchheim verweist jedoch darauf, dass die physikalische Bestimmtheit des Denkens eben keinen Rückschluss auf das Bestimmtsein der Gedanken erlaubt, denn Neuronenprozesse sind keine Gedanken. Diesem klassischen Denkfehler unterliege auch Wolf Singer.
„Denken und Handeln verhalten sich zueinander wie Ton und Melodie, veranschaulicht Thomas Buchheim seine These. Der Ton wird physikalischen Gesetzen gemäß erzeugt, die Melodie gehorcht kompositorischen Regeln. Die Regeln der Komposition kann die Physik allerdings nicht vollständig beschreiben, hebt der Münchener Philosoph hervor. Die Gesetze der Melodik beeinflussen beispielsweise auch Gewohnheiten und Erwartungen der Hörer. Jeder Ton einer Melodie wird immer eine Schallwelle bleiben und physikalischen Gesetzen gehorchen. Alle Melodien hingegen sind einzigartig und folgen ihren eigenen Gesetzen, so Thomas Buchheim weiter. Gesetze können also durchaus einmalig sein, denn auch ein Gesetz, das nur einen einzigen möglichen Fall regelt, ist ein Gesetz. Er plädiert daher für einen Gesetzesbegriff, wie ihn Franz Kafka in seiner berühmten Türhüter-Novelle beschrieben hat. Dort heißt es: „Alle streben doch nach dem Gesetz, sagte der Mann, „wie kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat? Der Türhüter antwortet ihm: „Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn. Dass allen Handlungen irgendein Gesetz zugrunde liegt, scheint Thomas Buchheim durchaus möglich, da potentiell unendlich viele Gesetze existieren. Diese sehr viel weiter gefasste Gesetzesdefinition erlaubt es auch, alternative Möglichkeiten zu denken. Melodien werden immer auf physikalisch beschreibbaren Tönen beruhen. Die Freiheit des Künstlers liegt dann darin, die Regel seiner einzigartigen Melodie zu finden.
Der Mensch ist in einem bestimmten Grade frei
Sinnvoll anwenden lässt sich der Begriff Freiheit laut Thomas Buchheim immer nur in Bezug auf menschliches Handeln. Ein abstürzender Komet könne ebenso wenig frei genannt werden wie ein jagender Löwe. Zur Bestimmung von Freiheit bedürfe es also einer weiteren Komponente. In den Blick komme hier der Träger der Freiheit, der Mensch, oder philosophisch gesprochen das Subjekt. Die Theorie vom freien Subjekt liefert klassischerweise der Indeterminismus. Determinismus und Indeterminismus in ihrer strengen Ausprägung schließen sich aber gegenseitig aus. Daher greift Thomas Buchheim auf einen alternativen Freiheitsbegriff zurück, der sich mit dem eingeschränkten Determinismus verbinden lässt. Er folgert daraus einen auf den ersten Blick irritierenden Begriff von Freiheit. Freiheit denkt der Münchener Philosoph, anders als etwa Immanuel Kant, nicht absolut. „Der Mensch ist nicht einfach frei, sondern er ist es mehr oder weniger, er ist in einem bestimmten Grade frei, erläutert er. Keine absolute Eigenschaft sei Freiheit, folgert Thomas Buchheim, sondern eine Qualität. Ein schwitzender Mensch zum Beispiel habe nicht die Freiheit, nicht zu schwitzen. Das Schwitzen als körperliche Reaktion könne der menschliche Wille nicht beeinflussen. Also müsse der Mensch in diesem Punkt unfrei genannt werden. Mit dem Träumen sehe es dagegen etwas anders aus. Zwar werde das Träumen nicht bewusst gesteuert, dennoch ist der Wille am Träumen beteiligt. Dem Träumen komme ein höherer Grad an Freiheit zu als dem Schwitzen. Wiederum etwas größerer Freiheit muss der Entscheidung, eine Weltraumrakete zu besteigen, zugesprochen werden. Höchste Freiheit aber entfalte sich in der künstlerischen Betätigung. Freiheit lässt sich also als steigerungsfähige Eigenschaft beschreiben, so der Münchener Philosoph, es ist ein qualitativer Freiheitsbegriff.
Um den möglichen Grad von Freiheit bestimmen zu können, legt er fünf Kriterien fest: Freie Handlungen müssen begangen, gekonnt und überlegt sein, außerdem müssen sie platziert und gebilligt werden. Das erste Kriterium erklärt sich von selbst. Handlungen, die nicht von einem Individuum begangen werden, sind keine Handlungen. Auch Handlungen, zu denen der Mensch nicht prinzipiell fähig ist, erfolgen nicht frei, da sie nur zufälligerweise glücken. Das gilt zum Beispiel für das Fliegen, bevor die Gebrüder Wright ihren Flugapparat erfanden. Auch unüberlegte und nicht platzierte Handlungen sind unfrei, denn ein möglicher Erfolg resultiert nicht aus dem freien Spiel, sondern aus purem Zufall. Schlussendlich müssen freie Handlungen auch gebilligt und das heißt gewollt sein. Höchste Freiheit beim Tanzen etwa erwirbt man nur freiwillig und nicht durch den Zwang von ehrgeizigen Eltern. Dabei spielt es interessanterweise keine Rolle, ob die Handlungen im vollen Sinne bewusst vollzogen werden. Je weniger der Tänzer über seine Schritte nachdenkt, desto vollendeter tanzt er und desto freier ist er in diesem Moment auch.
Auch wenn der Freiheitsbegriff des „Libertarischen Determinismus auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich erscheint, so eröffnet er doch große Chancen für die Geistes- wie für die Naturwissenschaften. Freiheit ist immer die Freiheit, auch anders zu können, so Thomas Buchheim. In einer Zeit, in der die Menschen Gesetzen, Zwängen und auch Ängsten zunehmend ohnmächtig gegenüberstehen, ist dies eine wichtige Erkenntnis. Die Erkenntnisse aus biologischer Forschung haben das Selbstbild des Menschen in den letzten 100 Jahren nachhaltig verändert. Dennoch können sie zentrale menschliche Vermögen und Eigenschaften wie Willen und Freiheit nicht erklären. Es bleibt die Aufgabe der Philosophie, menschliche Tugenden und Werte vor einer ‚feindlichen Übernahme durch ein mechanistisches Weltbild zu bewahren. Dies kann immer nur im interdisziplinären Gespräch mit den Human- und Naturwissenschaften erfolgen. Thomas Buchheim hat zu einem solchen Gespräch über Freiheit eingeladen. Ob die Forscher aus den angesprochenen Wissenschaftsfeldern der Einladung folgen oder nicht, bleibt ihnen überlassen. Sie haben schließlich die Wahl. Leserbrief
(Bild) Prof. Dr. Thomas Buchheim ist seit 2000 Professor für Philosophie an der LMU. Er ist Mitherausgeber des philosophischen Jahrbuchs der Görresgesellschaft und Mitglied der Kommission zur Herausgabe der Schriften Schellings. Seit 2004 ist er Dekan der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft. thomas.buchheim@lrz.uni-muenchen.de
http://www.thomas-buchheim.de/freiheit.htm
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