Man kann nicht immer davon ausgehen, eigentlich "erwarten, hoffen, wünschen oder dergl., ja vielleicht befürchten, daß ein Meinungsstreit über die Floskel "davon ausgehen" gut, d. h. einvernehmlich ausgeht. Im Jahr 2006 wird die Redewendung "davon ausgehen" bereits derart häufig verwendet, daß sich die Aussage aufdrängt,
wer ständig - von was auch immer - ausgeht, von dem geht eine Gefahr aus - für die deutsche Sprache.
Im August 2003:
Zum Gedankenaustausch zwischen Rechtschreibreformgegnern und Sprachliebhabern gehört auch das Übersenden von Kopien der Briefe an Sprachfrevler und verhunzer, so z. B. an einen Chefreporter des Bayerischen Rundfunks, den ich auf seine Vorbildfunktion beim Gebrauch der deutschen Sprache hinwies und bat, bestimmte unklare Floskeln wie z. B. „davon ausgehen nicht zu verwenden.
Daraufhin schrieb mir ein Professor für Deutsch als Fremdsprache am Institut für Germanistik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, im Jahre 2001 ausgezeichnet mit dem Deutschen Sprachpreis und Herausgeber des Buches „Das Rechtschreibwörterbuch:
Sehr geehrter Herr Werner, was haben Sie denn eigentlich gehen "ausgehen"? Ist denn "annehmen", "voraussetzen" usw., wenn Sie mal an den wörtlichen Sinn denken, in irgendeiner Weise "besser"? Ich verstehe diese ganze Sprachkritik nicht. Schöne Grüße, Ihr .....
Meine Antwort:
Sehr geehrter Herr ....., vielen Dank für Ihre Nachricht. Es freut mich, daß Sie mir die Gelegenheit geben, meine Meinung zu begründen.
Meine Sprachkritik an der sich ständig ausbreitenden Ausgeh-Floskel, die Sie nicht verstehen, betreiben ich deshalb, weil sie den Trend verstärkt, sich unklar (in Schwammdeutsch) auszudrücken. Mein Ziel ist es, die Ausdruckskraft und die Differenzierungsmöglichkeiten der deutschen Sprache zu erhalten. Ich sehe in der zur Floskel mutierten Redewendung "davon ausgehen" einen sprachlichen Flaschenbegriff, der bereits als Ersatz für folgende Verben verwendet worden ist, Häufigkeit und Anwendungsvielfalt zunehmend:
annehmen, erwarten, vermuten, glauben, meinen, hoffen, unterstellen, der Ansicht sein, die Meinung vertreten, wissen, voraussetzen, schätzen, betragen, damit rechnen, befürchten, behaupten, bekannt geben, sagen, mitteilen, vorhersehen, vorausblicken, zum Ergebnis kommen, sagen.
Die spezielle Sinngebung der Redewendung ist, wie Sie offenbar vermuten, keine Marotte von mir. Es war gerade der "wörtliche Sinn", an den zu denken Sie an mich appellieren, der mein Sprachgefühl alarmierte und mir bewußt machte, daß mit der ständigen Ausgeherei ein beliebig auslegbarer, oft sogar ein falscher Sachverhalt angedeutet, wenn nicht vorgetäuscht wird. Bestätigung meiner Meinung fand ich in den Wörterbüchern (Trübner, Wahrig, Duden), wo "davon ausgehen" als "seinen Ausgangspunkt, seine Ursache haben" erklärt wird, soweit nicht die örtliche Bedeutung (Gefahren, Düfte, Störungen gehen aus von ...) gemeint ist. Als Beispiel für die korrekte Anwendung der Wendung ist häufig angeführt: "Der Beweis geht von der Tatsache aus, daß ...". Die Wörterbuchdefinition beweist auch, daß gedankliches "Ausgehen" nicht mit "annehmen" gleichzusetzen ist.
Während nun der Ausgangspunkt einer Handlung oder eines Gedankenganges angibt oder mindestens den Anschein erweckt, es handele sich bei ihm um eine feste Größe, vermittelt bspw. das Ihrer Meinung nach synonyme Verb "annehmen" (ebenso erwarten, vermuten, glauben, schätzen, meinen, usw.) keine eindeutige Aussage, die als Grundlage für (notwendige) Folgerungen dienen könnte. Die Richtigkeit einer "Annahme" ist weder garantiert noch garantierbar, sie muß es auch nicht sein.
Daß die Verben "ausgehen" und "annehmen", um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, keine Synonyme sind, will ich an Beispielen erläutern.
1. Wenn es heißt, "Die Polizei geht von Brandstiftung aus", dann muß vermutet werden, sie habe entsprechende Spuren (Hinweise, sogar Beweise) dafür gefunden, die sie zu dem Schluß kommen lassen, daß keine andere Ursache (Kurzschluß, Blitzeinschlag, Zigarette, offenes Feuer) in Frage kommt. Die (notwendige und hoffentlich realisierte) Maßnahme (Folge): Sie sucht nach dem Brandstifter. Leider liegen der Polizei meistens keine derartigen Anhaltspunkte vor, sie vermutet nur Brandstiftung. Die Wendung "geht aus" ist daher falsch eingesetzt.
2. Die Meldung, "Die Polizei nimmt an (vermutet), es sei Brandstiftung gewesen.", bedeutet, die genaue Ursache des Brandes ist ihr nicht bekannt. Brandstiftung kann vorliegen, muß es aber nicht gewesen sein. Auch andere Ursachen sind möglich. Doch diese Meldung wird nicht verkündet. Es wird trendgemäß "ausgegangen".
Daß die Polizei Brandstiftung "voraussetzt", "erhofft", "damit rechnet" usw., um bspw. andere der verwendeten Ersatzverben zu benutzen, eine solche Meldung dürfte nicht zu erwarten sein. Weitere Beispiele für gedankenloses Ausgehen: "Schätzungen gehen von 5 % aus" (richtig wäre "betragen", "belaufen sich auf"). Oder: Die Sachverständigen gehen von 1 % Wachstum aus" (richtig: erwarten, rechnen mit , sagen voraus).
Das zweite (oben schon erwähnte) Kriterium für die richtiger Anwendung des "Ausgehens" (Start) ist die Angabe der Folgerung (Ziel), die meistens schon deshalb fehlt, weil es sich nicht um ein Ausgehen, sondern um eine Annahme, Erwartung etc. handelt.
Die häufige (falsche) Verwendung der Ausgeh-Floskel - sie steht auch im Wörterbuch "Dummdeutsch" von Reclam - ist ein weiteres Beispiel für das unkritische Übernehmen von Sprechblasen im Sprachgebrauch (siehe "sich bedanken", "ich würde sagen", "ich denke"). Unsere Registrierinstanz für Wortsinn und -unsinn, der Duden hat "davon ausgehen" auch schon in der von mir beanstandeten Bedeutung in seinem neuesten Wörterbuch aufgenommen, und damit meine vor zwei Jahren geäußerte Befürchtung bestätigt.
Vielleicht, sehr geehrter Herr ....., nehmen Sie sich mal die Zeit und lesen meine ausführlichen Darlegungen zum Thema "davon ausgehen" in meiner Homepage www.sprache-werner.info.
Ich würde mich freuen, wenn ich Sie etwas nachdenklich stimmen konnte. Schöne Grüße Ihr Ulrich Werner
Der Herr Professor erneut:
Lieber Herr Werner, natürlich bedeutet kein Verb dasselbe wie ein anderes. Aber wenn nun jemand sich gar nicht so genau festlegen will und gerade deshalb zu "ausgehen" greift? Das ist ja nicht verboten, oder?
Ich halte es so: Wenn mir ein Text nicht gefällt, lese ich ihn nicht. Es kommt mir aber nicht in den Sinn, dem Verfasser einen vorwurfsvollen Brief zu schreiben und ihn zu anderen Ausdrucksweisen bekehren zu wollen. Dafür fehlen mir Lust und Zeit, denn ich habe ja schließlich genug damit zu tun, meine eigenen Gedanken voranzutreiben und auszudrücken. (Das hatte ich Ihnen schon einmal geschrieben, wenn ich mich recht erinnere.)
Vielleicht verstehen Sie, daß mir das sprachkritische Geschäft, wie Sie es betreiben, ganz fremd ist.
Mit schönen Grüßen, Ihr .....
Meine Antwort:
Lieber Herr ....., Sie mögen es ja nicht so gemeint haben, doch Ihr Schreiben fiel - trotz Ihrer herzlichen Anrede - wie ein Hammer auf meinen Kopf. Diesen Schlag hätte ich mir mit Ihrer für mich neuartigen Methode ersparen können, das Lesen von Briefen zu beenden, wenn der Text nicht gefällt - offenbar meinen Sie, sobald Mißfallen entsteht. Denn die Bewertung im Gehirn beginnt erst nach Dateneingang, also zuerst lesen und dann empfinden. Oder Sie verfügen über einen Trick, den Sinn eines Schreibens bereits zu erkennen, bevor sie es gelesen haben.
Außerdem bewegte mich die Frage, soll ich überhaupt weiterschreiben, wenn "er" es wahrscheinlich doch nicht liest? Also, ich riskiere mal die Luftnummer und schreibe weiter, um meine Gedanken, um das auszudrücken, was mich bewegt.
Offenbar hat Ihnen also mein Text (etwa schon von Beginn an?) nicht gefallen und Sie lasen ihn nicht zu Ende. Ich muß einräumen, diese Methode mag für manche Menschen vorteilhaft sein. Ich möchte sie jedoch nicht übernehmen und auch nicht empfehlen. Dann müßte ich oft den Artikel weglegen, weil er mit einer der vielen Floskeln (Ich würde sagen, Ich denke) beginnt, ebenso mein Ohr ausschalten, die Oper verlassen, weil mir der Sopran nicht gefällt, eine Diskussion verlassen usw. Ein solcher Sprachfilter verhindert jeden Gedankenaustausch, er kapselt mich aber auch von Erkenntnissen und Vergnügen ab, Bereicherungen, die erst später im Text geboten werden.
Warum haben Sie, lieber Herr ..... , eigentlich das Rechtschreibwörterbuch verfaßt? Ich benutze es wegen der konzentrierten Form oft und habe es schon mehrmals weiterempfohlen. Hätte ich es nach der ersten Entdeckung einer Schreibweise, die mir nicht gefällt, nicht mehr benutzen sollen?
Ich käme auch nie auf den Gedanken, Ihnen mit dem Buch zu unterstellen, Sie wollten die Leute zu der von Ihnen empfohlenen Schreibweise "bekehren". Was würden Sie einem Verfechter der Reform entgegnen, wenn er gerade dieses Bestreben Ihnen vorwerfen würde?
Die gleiche "Lust und Zeit" wie Sie der Schreibreform widme ich dem klaren Ausdruck beim Sprechen und Schreiben. Sollte dieses Motiv, nämlich die Ausdruckskraft und die Differenzierungsmöglichkeiten der deutschen Sprache zu erhalten, weniger wichtig sein als das Ihre? Profitieren Sie denn nicht auch davon, so wie ich von Ihrem Wörterbuch? Wie wehren Sie sich, wenn Sie Ihre (eigenen) Gedanken nicht im erstrebten Maße vorantreiben können, weil sie nicht verstanden werden? Nennen Sie bitte eine andere, bessere Methode als die meine, um Journalisten und Autoren darauf hinzuweisen, daß bspw. das immer wieder verwendete Wort "mehrfach" einen Sachverhalt beschreibt, der nicht vorliegt, weil die Handlung, der das Wort zugeordnet wird, nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt stattgefunden hat? Wer liest denn schon von denen die "Sprachwelt", worin Sprachkritik zu lesen ist?
Wozu mir Lust und Zeit fehlen ist das Wiederholen von Argumenten in einer Diskussionen um die Sprache, weil nicht zugehört wird, oder weil meine ausführlichen Darlegungen z. B. in der Homepage, auf die ich verwiesen und die ich mit viel Zeitaufwand und Engagement verfaßt habe, nicht, nur teilweise oder oberflächlich gelesen werden.
Sind Sie noch im Text? Ihr Einwand, jemand wolle sich nicht so genau festlegen, trifft nicht die Sache, um die es geht. Nochmals: Die Wendung "davon ausgehen" ist kein Synonym für Verben wie "annehmen", "erwarten", "glauben" usw., sondern hat eine völlig andere Bedeutung. Sicher ist es nicht verboten, sich falsch und unklar auszudrücken, was ja auch für die Schreibung gilt. Allerdings, gemessen an der Häufigkeit, scheint mir beim Ausgehen stets mehr ein semantisches Defizit vorzuliegen als der Verzicht auf Klarheit des Ausdrucks. Die Leute glauben, mit der Floskel modern zu sprechen und bedenken nicht was sie reden. Sie kennen den Sinn ihrer Rede nicht.
Meine Briefe beginnen jeweils mit der Anerkennung der Leistung des Empfängers und richten sich dann auf sprachliche Unebenheiten mit dem Hinweis auf die ausführlichen Erläuterungen zu dem betreffenden Thema in meiner Homepage. Ihnen mag dieses sprachkritische Geschäft ganz fremd sein; es ist eben meine (spezielle und gezielte) Art, um die von vielen Sprachbewußten beklagte Verhunzung der deutschen Sprache zu verringern und bei der ich mich so ziemlich allein auf weiter Flur sehe.
Ihre Abwertung meines Einsatzes enttäuscht mich vor allem deshalb, weil ich Sie als Sprachwissenschaftler sehr schätze und eine andere Art der Beurteilung meiner Tätigkeit in Erinnerung habe. Am 9.2.1999 schrieben Sie mir u. a.:
"Besten Dank für Ihren Brief. Ich habe übrigens Ihre Leserbriefe in der SZ sehr wohl gelesen und alle aufgehoben!
....... Mir selbst geht es ähnlich (gemeint ist die Überlastung von Herrn R.), zumal ich neben allem anderen auch noch ein alternatives Rechtschreibwörterbuch von 500 Seiten schreibe, das in Kürze erscheinen und zeigen soll, daß wir überhaupt keine Reform brauchen.
.... Ihre Gedanken zur Sprachpflege werde ich gelegentlich aufgreifen.
Nochmals vielen Dank für Ihre Anregungen und freundliche Grüße."
Anerkennung meiner Bemühungen um die deutsche Sprache erhalte ich von namhaften Journalisten und Wissenschaftlern. So schrieb mir fast zeitgleich mit Ihnen Prof. Wolfgang Seiler vom Forschungszentrum Karlsruhe, Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-IFU), den ich auf die Ausgehfloskel hingewiesen hatte:
"Sehr geehrter Herr Werner,
vielen Dank für Ihr Fax vom 28.Juli 2003. Es hat mich gefreut zu hören, dass Ihnen das Tagesgespräch zum Thema "Rekordsommer 2003" gefallen hat.
Aufgrund Ihrer Anmerkungen habe ich Ihre Homepage studiert und mich entschlossen, Besserung zu geloben. Eine Garantie wage ich aber nicht zu geben. Rückfälle sind mit Sicherheit in der Hitze der Diskussion nicht zu vermeiden. Mit freundlichen Grüßen W. Seiler"
Ich muß bedauern, lieber Herr ....., daß Sie jetzt meinen Bemühungen um Sprachaufklärung einen so geringen Stellenwert geben.
Dennoch mit herzlichen Grüßen Ihr Ulrich Werner
Seitdem besteht "Funkstille" zwischen einem Wissenschaftler, den ich wegen seiner sprachlichen Sachkenntnis schätze. Wie die Hirnforschung festgestellt hat, gibt es auch oder gerade bei Spezialisten weiße Flecken, in die logisches Denken nicht eindringen kann. |