Rudolf Walter Leonhardt bespricht ein Buch über Arthur Schopenhauer:
Über die, seit einigen Jahren, methodisch betriebene Verhunzung der Deutschen Sprache Auch wer Schopenhauers Metaphysik vom Leiden der Welt am alles beherrschenden Willen wenig abzugewinnen vermag, ist gern bereit, sich dem Diktum von Friedrich Dürrenmatt anzuschließen: „Ich halte Schopenhauer für einen der größten deutschen Prosa-Schreiber."
So kam der Freiburger Gelehrte und Schriftsteller Ludger Lütkehaus auf den Gedanken, aus dem von Eduard Grisebach edierten „handschriftlichen Nachlaß" (1892) noch einmal die Polemik „Über die, seit einigen Jahren, methodisch betriebene Verhunzung der Deutschen Sprache" in einem handlichen Bändchen drucken zu lassen. „Der Satz wurde heutigen Standards geringfügig angepaßt." Ich habe es vorgezogen, ihn völlig anzupassen; denn Orthographie und Interpunktion, wie sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts üblich waren, lenken ja nur ab von dem, worum es eigentlich geht.
Da gebe es einige Perlen, so Leonhardt, die manchen gefallen und die es wohl wert sind, noch einmal vorgezeigt zu werden: „Ihren letzten Grund aber hat (die deutsche Sprachverhunzung) in der mehr und mehr einreißenden Unkenntnis der alten Sprachen. Durch diese nämlich lernt man, es mit dem Wort und der Geltung jedes Wortes scharf und genau zunehmen." -Unseren Sprachverbesserern fehle es an Kenntnissen, an Geschmack und Schönheitssinn." - „Man sollte bedenken, daß die Sprache ein von den Vorfahren überkommenes und den Nachkommen zu hinterlassendes Erbstück ist, welches man daher in Ehren halten und nicht mutwillig antasten solle.
Wer seien alle diese bösen Sprachverhunzer? Schopenhauer habe für sie eine beachtenswert breite Palette von Schimpfwörtern: „die politischen Zeitungen, diese niedrigsten Zweige der Literatur; „Skribler"; „die Herren Schmierax"; „die niedrigsten Lohnschreiber der Journäle"; „die impotenten Langbärte"; „tintenklexende Lohnbuben".
Dieser erschreckenden Versammlung der Inkompetenz mute er freilich einiges zu, zum Beispiel, wenn er ihr erkläre: „Einfach ist Adjektiv, nicht Adverb. Was würde man sagen, wenn einer schriebe simplex statt simpliciter, simple statt simplement, simple statt simply, semplice statt semplicemente!"
Unter den vielen Beispielen, die Schopenhauer angebe für falschen Sprachgebrauch, leuchteten einige ein, andere seien fragwürdig, manche unbrauchbar. Gewiß sei die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gerade eine Blütezeit der deutschen Literatur; aber es gehe dann doch zu weit, wenn Schopenhauer behaupte, „daß unter allen jetzigen deutschen Schriftstellern kein einziger ist, dessen Schriften sich eine Dauer von auch nur fünfzig Jahren versprechen können". Heine, Nietzsche, Eichendorff widerlegten ihn. Er habe von ihnen vermutlich nie etwas gelesen. Auch von Jean Paul nicht, obwohl doch der als erster seiner Bewunderung für Schopenhauer Ausdruck gegeben hätte.
Zu alldem habe Schopenhauer zwei sonderbare Einfälle. Mit dem einen fange das opusculum gleich an: „Eine fixe Idee hat sich aller deutschen Schriftsteller und Schreiber jeder Art . . . bemächtigt. Sie wollen die deutsche Sprache zusammenziehen, sie abkürzen, sie kompakter, konziser machen. Zu diesem Ende ist ihr oberster Grundsatz, überall das kürzere Wort dem gehörigen oder passenden vorzuziehen." Das sei gewiß eine Idée fixe - aber von Schopenhauer.
Der Telegraph, der einen Telegrammstil fordere („ankomme morgen"), sei noch nicht im Verkehr gewesen. Und die „Lohnschreiber", die ja oft pro Zeile honoriert wurden, hätten es lieber etwas länger.
Und schließlich habe Schopenhauer geglaubt, Sprachen entwickelten sich, wenn überhaupt, nach den Gesetzen der Logik. Sie täten nichts dergleichen. Wir würden sagen: „Trotz des schlechten Wetters war es trotzdem schön" und demnächst wohl auch: „Dank deines Geschenks will ich dir danken".
Veröffentlichungen aus dem Nachlaß seien ein spannendes Abenteuer für Spezialisten. Als solches dürften auch die „Senilia" gelten, die Schopenhauer von 1852 bis zu seinem Tode 1860 geschrieben habe. Er hätte sie so nie drucken lassen. Freunde seiner Sprache sollten sich daher doch lieber an Texte halten, die er noch korrigieren konnte (eine seiner Lieblingsbeschäftigungen), ehe sie in Druck gingen - also zum Beispiel an einen Satz wie diesen: „Den deutschen Schriftstellern würde durchgängig die Einsicht zustatten kommen, daß man zwar, wo möglich, denken soll wie ein großer Geist, hingegen dieselbe Sprache reden wie jeder andere. Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge: Aber sie machen es umgekehrt."
Das besprochene Buch wurde Herausgegeben von Ludger Lütkehaus: Kore Verlag, Freiburg 1997; 137 S.
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