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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 24. Schwammwörter
 

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Über das Wort "interessant"
von Gustav Adolf Bischoff

 

aus der Zeitschrift "Denkendes Volk" 1948, H. 9 
   
Im allgemeinen ist der Deutsche wählerisch und anspruchsvoll - auch in seiner Ausdrucksweise, in seinem Schreibstil. Nur wenn es sich um bestimmte Fremdwörter handelt, herrscht oft eine rätselhafte Befangenheit vor. Es ist dann, als ob jede Selbstkritik ausgeschaltet wäre. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um jene vieldeutigen Fremdwörter handelt, die vielleicht Richtungen andeuten oder Sammelbegriffe kennzeichnen, im einzelnen aber jede Zielsicherheit vermissen lassen.

Um nur eines dieser Wörter herauszugreifen: "interessant". Du lieber Himmel - was kann dieses Wort nicht alles bedeuten! In wörtlicher Übersetzung heißt "Interesse" bekanntlich so viel wie "dazwischen sein", "beteiligt sein". Eine derartige Kennzeichnung hervorzubringen, kann natürlich aus sehr verschiedene Weise geschehen. Man braucht nur an unsere fünf Sinne zu denken, von denen wieder jeder einzelne einen Ausgangspunkt darstellen kann. Mit "interessant" aber ist wirklich nicht viel gesagt. Oder vielmehr: es bedeutet zu viel!

Wie ein Schwamm ganze Feuchtigkeitsfelder in sich aufnehmen kann, so hat auch dieses interessante" Wort ganze Begriffsebenen in sich ver-schluckt. Fast zu einem Zauberwort ist es geworden, mit dem sich denkfaule Skribenten das Leben zu erleichtern suchen. Aber zum guten Schreiben gehören in erster Linie nun einmal Treffsicherheit und unermüdliche Selbstkritik! Kein Geringerer als Goethe lieferte uns ein "interessantes" Beispiel, als er dieses unklare Wort kurzerhand aus seinem "Goetz" fortstrich. Doch es gibt auch ein Gegenbeispiel aus berühmter Feder: es stammt von Kant. Wo er sich um die Erklä-rung des Schönheitsbegriffes bemühte, schrieb er: "Schön ist, was uns ohne alles Interesse gefällt". Uns scheint, daß sich der berühmte Schreiber hier ein wenig vergaloppiert hat. Denn kein Mensch kann wissen, was Kant sich gerade hier vorgestellt haben mag. Wenn "Interesse" zum Beispiel lebhafte Anteilnahme bedeutet, so wäre die Erklärung schon grundfalsch, weil niemals etwas "schön" sein kann, da uns nicht fesselt oder packt.

Jedenfalls scheint das gefährliche Wort bis in unsere Tage hinein seine Lebenskraft bewahren zu wollen; im Gegensatz zu manchen anderen Fremdwörtern, die wohl eine Zeitlang in flottem Gebrauch blieben, um sich dann nach übertriebener Anwendung aber wieder zu verflüchtigen.

Doch zurück noch einmal zu unserem "interessant". Überlegen wir einmal, was das Wort alles bedeuten kann, wenn man es in seiner Grundbedeutung schärfer faßt. Und halten wir uns dabei an die alte Erkenntnis, daß jedes Wort seine eigene "Farbe" hat - oder wie Nietzsche es sogar ausdrückte: seinen besonderen "Geruch".

Je nach seiner Umwelt (um nicht zu sagen "Milieu") kann "interessant" folgendes bedeuten: wertvoll - merkwürdig - beachtenswert - bedeutungsvoll -reizvoll - reizend - prickelnd - entzückend - anziehend - fesselnd - spannend - packend - anregend - ansprechend - unterhaltend - vergnüglich - ergötzlich - lehrreich - inhaltreich - umfassend - belehrend - willkommen - angenehm - eigenartig - hübsch - nett - eigentümlich - liebenswürdig - ungewöhnlich - sehenswert - hörenswert - duftig - geschmackvoll - gefühlvoll - zart - usw. usw. Dabei sind diese Wörter nur eine kleine Auswahl aus der Fülle der deutschen Begriffswelt. Unschwer ließe sich jeder genannte Ausdruck noch weiter auflösen.

Doch halten wir uns nicht weiter mit einzelnen Worterklärungen auf, sondern laßt uns nur öfter daran denken, daß auch dem beliebtesten und bequemsten, zeitweise für unersetzbar gehaltenen Schwammwort meistens viel Ausdrücke an die Seite gestellt werden können, die nicht nur schärfer zupacken, sondern gleichzeitig auch - deutsch sind.

Keineswegs soll damit behauptet werden, andere Sprachen führten keine Fremdwörter in ihrem Wortschatz. Auch das englische "interest" ist ein vieldeutiges Schwammwort. Es kann heißen "Teilnahme", "Vorteil", "Nutzen", es kann bedeuten "das Beste" oder "Einfluß" oder "Macht", "Beteiligung", "Zinsen" oder "Zinseszins" oder noch vieles andere. Einerlei, - wir wollen und müssen uns jedenfalls bemühen, dem Wort jeweils die Deutung zu geben, die auf den Sonderfall am genauesten paßt.

Ja, es ist ein eigen Ding um die angebliche Unentbehrlichkeit bestimmter Fremdwörter. Leider ist mit ihrer bevorzugten Anwendung oft eine gewisse Unredlichkeit verbunden. Man greift etwas wahllos ein Buch heraus und liest gleich auf der aufgeschlagenen Seite "imitatorisch darstellender Konstruktion". Wie großartig das klingt! Und doch ist das, was hier kenntlich gemacht werden soll, weiter nicht als die bekannte Nachahmung von Naturlauten durch sprachliche Mittel, wie etwas "miauen", "blaffen", "sausen" oder "zischen".

Es ist noch gar nicht lange her, da hielt man auch das Schwammwort "Nuance" für unentbehrlich, - ganz ähnlich wie heute noch unser "Interesse". Nun, die Entwicklung ist darüber hinweggegangen, wenn es auch merkwürdig ist, daß sich das eine im Strom der Entwicklung trotz aller Mängel hält, während anderes einfach verschwindet. Wenn sich ein Mann wie Goethe von gewissen Fremdwörtern nur schwer trennen konnte, so ist das begreiflich, weil er noch viel tiefer im Humanismus wurzelte und dichter an die französischen Spracheinflüsse herangerückt war, als unsereiner. Er konnte zum Beispiel nicht von seiner "Apprehension" lassen; oder von seinem "Esprit"; oder von seinem "sekretieren", und so fort. Aber ist das Grund genug, daß auch wir uns so krampfhaft an unser "Interesse" klammern? Wo unser Wörterbuch so wunderbar erweitert werden konnte, um die schönsten Ausdrücke für alles und jedes? Brauchen wir durchaus noch die "Individualität", die "Aktivität", die "Qualität", die "Exponenten", die "Faktoren" oder die "Momente"? Die Reihe ist überlang. Aber in jedem Falle bestehen Möglichkeiten, durch gutdeutsche Wörter eine viel schärfere Begriffseinkreisung vorzunehmen, als es durch verwaschene Fremdwörter geschehen kann.

Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß auch so manches deutsche Wort ins Schwammige abgleiten kann. Vielleicht droht hier die Gefahr weniger von einzelnen Haupt- oder Beiwörtern, als von Redensarten und Sprachbildern. Ist es zum Beispiel nicht fast wie eine Sucht geworden, alles und jedes "in den Rahmen" zu stellen? "Im Rahmen des Programms", "im Rahmen seiner Zeit", "im Rahmen des Möglichen", - es geht, um es einmal derb auszudrücken, "auf keine Kuhhaut", wie der "Rahmen" herhalten muß. Oder was unendlich vieles wird jetzt "am Rande" vermerkt! Und so fort.

Schade drum! Alle diese Wortbilder waren einmal ausgezeichnet, als sie eines Tages wie zufällig von einem feinfühligen Schriftsteller zum ersten Mal angewandt wurden. Aber wenn sich erst der "Schwamm" ihrer bemächtigt und auf breitem Felde alles aufgesogen hat, was nur annähernd an den Urbegriff erinnert, - dann hört die Gemütlichkeit auf. Dann hören solche Wörter auch bestimmt auf, noch "interessant" zu sein.

Ich glaube, daß die Ungeduld, womit man seinem Zwecke zueilt, die Klippe ist, woran gerade oft die besten Menschen scheitern. Hölderlin

 



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