Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
mein Studium liegt zwar schon 60 Jahre zurück, dennoch haben die Studenten meine ganze Sympathie. Ich begrüße es auch, dass Sie zu den aktuellen Studienbedingungen an den deutschen Hochschulen Stellung genommen und die Qualität des Studiums gerügt haben. Allerdings ist Ihnen dabei ein sprachlich-säuerlicher Fehlgriff unterlaufen. Vielleicht spürten Sie den Drang, sich bei Ihrer Rede zur 600-Jahr-Feier der Universität Leipzig auf wissenschaftlicher Ebene zu bewegen. Nur so ist mir erklärlich, dass Sie in der Frage, wie wir unsere Hochschulen weiterentwickeln, auch einen Lackmus-Test sehen, wie ernst wir es wirklich meinen mit dem Ziel: der Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Eine ziemlich gewagte Aussage. Wer da von den Zuhörern gewusst hat, was ein Lackmustest ist, dem wird es sauer oder basisch aufgestoßen sein. So bezeichnet dieser Begriff einen in der Chemie gebräuchlichen Test des pH-Werts einer Substanz mit Hilfe des Farbstoffs Lackmus. Der pH-Wert ist ein Maß für die Stärke der sauren bzw. basischen Wirkung einer wässrigen Lösung. Der „Lackmustest ist hier eine typische Ignorantenmetapher. So nennen bspw. Physiker einen Quantensprung (kleinster und unvorstellbar kleiner Sprung in der Natur), wenn mit ihm ein großer Durchbruch, welcher Art auch immer, ein Meilenstein, ein großer Fortschritt, oder eine besondere, entwicklungsraffende, herausragende, sehr große, unerwartete Leistung bezeichnet wird.
Ich halte es für bedenklich, Spezialbegriffe aus der Naturwissenschaft für völlig sachfremde Situationen zu verwenden. Die Nachahmung ist garantiert. Meistens wissen die Wortumdeuter nicht, welchen semantischen Purzelbaum sie schlagen. Die Säurewirkung einer Substanz als Kriterium für die Zukunftseignung des Landes zu sehen ist mir sanft ausgedrückt - unverständlich. Analog könnte das Abitur als Lackmustest für die Hochschulreife und Löcher in Balken als Lackmustest für die Tätigkeit von Holzwürmern bezeichnet werden. Der Ausdruck Test klingt zwar banal, wäre aber eindeutig und richtig. Mit freundlichen Grüßen
Ulrich Werner München, den 4.12.2009
Am 14.12.09 zufällig entdeckt: Der kritische Brief, auch im Gästebuch des Bundespräsidenten von mir am 4.12.09 eingetragen, stand dort an oberster Stelle, weil als vorerst letzter eingetragen. Das hatte ich nicht erwartet und daher den Brief auch direkt an den Bundespräsidenten geschickt. Es spricht für ihn, dass er meine Kritik veröffentlichen lies.
Heute, am 19.12. stand mein Brief noch immer an oberster Stelle. U.W.
Der „Lackmustest im Sprachlabor der SZ
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