Süddeutsche Zeitung Hultschiner Straße 8 81677 München Erlangen, 31. März 2010
„Affensprache
Sehr geehrte Damen und Herren Herausgeber,
gegen das Wort von der „Affensprache wettert Thomas Steinfeld am 29. März auf der Titelseite des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung. Bezugspunkt seiner Brandrede gegen Sprachschützer ist mein Leitartikel „Wird Deutsch zur Affensprache?, erschienen in der aktuellen Ausgabe der Deutschen Sprachwelt (Frühling 2010). Dabei unterlaufen Steinfeld einige Fehler, die richtigzustellen sind. Als Leiter der Deutschen Sprachwelt und Verfasser des von ihm beanstandeten Beitrags sei mir daher eine Entgegnung gestattet. Es wäre anständig von Ihnen, sie abzudrucken. Wenn nämlich Steinfeld behauptet, „eine pöbelhafte Lust am Vergröbern, am Denunzieren und Herabsetzen, tobt sich in der Rede von der ‚Affensprache aus, dann muß ich diesen Vorwurf spiegeln und an den Urheber zurückgeben.
Zunächst gilt es, ein Mißverständnis auszuräumen. Die Deutsche Sprachwelt ist nicht die Zeitschrift des „Vereins Deutsche Sprache (VDS). Vielmehr wird sie vom „Verein für Sprachpflege herausgegeben. Dieses Mißverständnis entstand möglicherweise dadurch, daß ich zur Eröffnung meines Artikels den VDS-Vorsitzenden Walter Krämer zitiert hatte. Der hat in der Tat des öfteren behauptet, Deutsch verkomme zur „Schimpansensprache.
Die Deutsche Sprachwelt selbst hatte jedoch nicht „Deutsch wird zur Affensprache! verkündet, sondern gefragt: „Wird Deutsch zur Affensprache? Ein Unterschied! Einer Frage nachzugehen ist doch etwas anderes, als eine Behauptung aufzustellen. Wenn Steinfeld meinen Beitrag vollständig wahrgenommen hätte, dann wäre ihm sicher aufgefallen, daß ich die Frage gegen Ende des Artikels folgendermaßen beantworte: „Es muß sich weiter herumsprechen, daß Deutsch nicht [!] affig ist. Statt dessen phantasiert er, daß „das Schimpfwort [„Affensprache], ohne Unterscheidung, allem entgegengeschleudert wird, was sich nicht dem Wunsch nach Reinigung der deutschen Sprache im Sinne ihrer selbsternannten Schützer fügt. Das ist einfach nicht wahr!
Wenn Steinfeld bei dem Wort „Affensprache auch noch an „Negerkultur denkt und uns damit in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken versucht, dann bestätigt er nicht nur das sogenannte Godwinsche Gesetz, das besagt, daß bei einer Diskussion ein Nazivergleich als Totschlagargument mit der Zeit immer wahrscheinlicher wird. Es läßt auch tief blicken, wenn sein Gedanke vom Affen zum Neger springt. Unser Autor, der Schriftsteller Luc Degla, ein Afrikaner aus Benin, der in der aktuellen Deutschen Sprachwelt die deutsche Politik dazu auffordert, die deutsche Sprache zu verteidigen, wird über diesen Diskreditierungsversuch sicher herzlich lachen.
Doch Steinfeld macht nicht nur aus einer Frage eine Behauptung. Es gelingt ihm auch das Kunststück, die Zukunft in die Gegenwart zu holen. Wir machen auf Fehlentwicklungen aufmerksam, die unserer Ansicht nach aufzuhalten sind. Ich hatte geschrieben, mit Blick auf das Bild von der „Affensprache, daß es „noch lange [!] nicht [!] so weit [ist], daß sich die Deutschen allein durch Gestik und Grunzen verständigen können wie es eben Affen tun.
Allerdings gab ich auch die Aussage eines Sprachwissenschaftlers wieder, der in der Februar-Nummer von „bild der wissenschaft Vorhersagen für die deutsche Sprache getroffen hatte. Seinen Worten zufolge wird in der Zukunft „eine Kreolisierung, eine Durchmischung stattfinden, die unregelmäßigen Verben, die Umlaute „ä, „ö und „ü, die flexible Satzstellung, die Großschreibung, der Genitiv und der Akkusativ würden verschwinden. Der Sprachwissenschaftler selbst findet diese Aussichten übrigens nicht besorgniserregend. Was aber anderes wäre diese Entwicklung als eine Verflachung der Sprache, eine Verringerung der Ausdrucksmöglichkeiten?
Laut Steinfeld sehen wir die Vorhersagen des Sprachwissenschaftlers, die dieser für die nächsten Jahrhunderte gemacht hat, bereits heute eingetroffen. Außerdem würden wir behaupten, „all diese Erscheinungen seien Zeichen einer Entwicklung hin zu ‚Gestik und Grunzen, die eben unter diesem Titel ‚Affensprache gefasst werden müsse. Das hat Steinfeld erfunden. An keiner Stelle haben wir gefordert, daß etwas unter den Titel „Affensprache gefaßt werden muß.
Dieser Taschenspielertrick, Aussagen von Dritten als unsere Aussagen zu kennzeichnen und eine Vorhersage für die Zukunft als Beschreibung der Gegenwart hinzustellen, bildet das Vorspiel für Steinfelds Bezichtigung, die Deutsche Sprachwelt lüge. Er schreibt: „Es ist eine Lüge, wenn die Deutsche Sprachwelt behauptet, die deutsche Sprache verflache zusehends. Tatsächlich stellen wir eine Sprachverdrängung und Sprachverflachung fest. Ist die Allgegenwart von „SALE eine Lüge? Ist das Stammeldeutsch vieler Großstadtjugendlicher eine Lüge? Ist die Verdrängung der deutschen Sprache aus den Universitäten eine Lüge? Ist die doppelte Halbsprachigkeit vieler Einwanderer eine Lüge?
Log Horst Dieter Schlosser? Denn der Sprecher der „Sprachkritischen Aktion Unwort des Jahres erklärte am 28. November 2003 gegenüber dpa: „Ich habe es an der Universität mit angehenden Deutschlehrern zu tun, die reihenweise Rechtschreibfehler machen und beispielsweise noch nie etwas von der Vorvergangenheit (Plusquamperfekt) gehört haben. Schlosser plante damals ein Buch „Deutsch für Deutschlehrer. Log Ulrich Wickert? Er schrieb nämlich am 19. November 2009 in der Frankfurter Allgemeinen: „Wenn es um die Sprache geht, bedauere ich, daß nur noch wenige Autoren von Stücken für ‚Tagesschau und ‚Tagesthemen oder für ‚heute und ‚heute-journal den Satzbau beherrschen.
Während ich diesen Brief schreibe, erreicht mich die folgende Zuschrift: „Ich bin Pragerin, spreche das bekannte ‚Bühnendeutsch und lebe erst das siebente Jahr in Deutschland bin Deutschböhmin, war Fremdsprachenlehrerin für Deutsch in Prag und habe als Zweitberuf sehr viel aus dem Tschechischen ins Deutsche übersetzt. Ich bin sehr erstaunt darüber, daß Deutsche/ heute in der Artikelverwendung oder bei der Wahl von Präpositionen (zum Beispiel: sich interessieren für, bitten um, Angst haben vor und so weiter) Fehler machen, das war in meiner Jugend nicht so. Mich schockierte jetzt neulich ein Vater, der zu seinem kleinen Sohn sagte: ‚Wir gehen nach Mutti. Das hätte keiner meiner tschechischen Hörer gesagt, ich war vierzig Jahre als Professorin an der Sprachschule Prag tätig. Ihr Brief eine Lüge?
Es ist die Frage, worauf wir den Blick richten. Es gibt Orte, an denen die deutsche Sprache blüht und Orte, an denen sie verkümmert. Steinfeld selbst hat am 26. Mai 2008 in der Süddeutschen eine „zunehmende Unfähigkeit, sich auf Deutsch auszudrücken beobachtet und festgestellt, daß „in der Öffentlichkeit immer weniger und immer schlechteres Deutsch gesprochen wird. Am 3. Dezember desselben Jahres schrieb Steinfeld ebendort: „Die Wahrheit über die deutsche Sprache aber ist, dass viele Deutsche schon lange nicht mehr auf Deutsch sagen, geschweige denn schreiben können, was sie sagen oder schreiben wollen. Und das ist bei weitem nicht nur ein Phänomen von Unterschichten, sondern auch und gerade der Eliten. Meint er etwa heute, er habe damals gelogen?
Steinfeld unterstellt uns jedoch, wir würden behaupten, es werde überhaupt kein gutes Deutsch mehr geschrieben und ruft: „Wer so etwas sagt, offenbart nur, dass er nichts liest. Als Gegenbeweis führt er dann an, daß es auch heute noch Autoren gibt, die Bücher in gutem Deutsch schreiben. Wer hätte das bestritten! Steinfeld nennt als Gewährsmann ausgerechnet Martin Mosebach, den die Leser der Deutschen Sprachwelt wegen seiner Sprachkunst vor einigen Jahren zum „Sprachwahrer des Jahres wählten. Er liefert damit selbst den besten Beweis dafür, daß er im Unrecht ist, wenn er meint, wir würden die gegenwärtigen Leistungen deutscher Sprachkünstler nicht zur Kenntnis nehmen.
Steinfeld möge aber einmal seine Bücher aus der Hand legen und sich dorthin begeben, wo das Volk lebt. Dann müßte er zum Beispiel sein Fehlurteil von der für ihn nur „scheinbare[n] Anglifizierung der Eisenbahn berichtigen. Vielleicht könnte er auch über seinen Schatten springen, die Nazikeule in den Schrank stellen und die Sprachkritik ernstnehmen. Ich habe noch Hoffnung nicht nur für die deutsche Sprache.
Bitte teilen Sie mir mit, wann Sie meine Entgegnung abdrucken werden. Vielen Dank!
Mit freundlichen Grüßen
gez.Thomas Paulwitz
DEUTSCHE SPRACHWELT Chefredakteur
|