Wie einer zum Sprachschützer, Sprachfreund, Sprachpionier wird, ist so unergründlich wie die Entstehung der Sprache selbst. Thomas Paulwitz entstammt einer Försterfamilie. Und man könnte spekulieren, ob die Faszination des Dunklen, Geheimnisvollen, Urtümlichen für die Berufsfindung, im Falle von Paulwitz muß man von Berufungsfindung sprechen, eine Rolle gespielt hat. Den Familientraditionen treu, studierte der 1973 geborene Paulwitz zuerst Biologie und engagierte sich im Naturschutz, ehe er sich noch immer nicht der deutschen Sprache, sondern der nicht minder dunklen unergründlichen deutschen Geschichte zuwandte. Im Fach Geschichte und in der Politischen Wissenschaft machte er, es war 2001 an der Universität Erlangen, seinen Magisterabschluß.
Von sich selbst sagt Paulwitz, die Erfahrung des Mauerfalls 1989 habe sein „Verhältnis zur Nation und zur Freiheit stark geprägt, und er fügt hinzu: „Wie einen Schatz bewahre ich den kleinen grauen Brocken auf, den ich selbst aus der Mauer geschlagen habe. Die kurze Autobiographie enthält keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, wie der junge Historiker zum Sprachverteidiger wurde, aber die Erzählung vom Mauerbrocken könnte ein Schlüssel dazu sein. In nichts kristallisiert das Wesen und Weltverständnis einer Nation so rein, wie in ihrer Sprache. Sprachdienst, das hat Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung gezeigt, ist in hohem Maße Dienst an der Nationwerdung, an der Selbstfindung, an der Selbsterfahrung eines Volkes.
Die entscheidende Weiche für seine Laufbahn stellte Paulwitz bereits ein Jahr vor dem Studienabschluß. Da brachte der 26jährige, der eigentlich für das Examen hätte büffeln sollen, ein wie er heute selbst sagt „recht erfolgreiches Wörterbuch heraus und wurde zum Mitbegründer der noch viel erfolgreicheren Sprachzeitung, die er seitdem leitet. Mit ihr, der DEUTSCHEN SPRACHWELT, hat er der Verteidigung des Deutschen eine weithin sichtbare Plattform geschaffen.
Paulwitz Stimme ist aus den Debatten um Bewahrung und Entwicklung eines guten Deutsch nicht mehr wegzudenken. Wenn er und hier sind mir zwei Worte wichtig: unbeirrbar und konsequent gegen dessen Verluderung durch Anglizismen, seine Verdrängung aus Wissenschaft und Weltkommunikation, seine Entstellung durch eine Rechtschreibreform, die den Namen Rechtschreibung nicht verdient, wenn er gegen all das Front macht, dann ficht er nicht nur sehr treffsicher mit dem Säbel, sondern fast gewandter noch mit dem Florett. Kampf für die deutsche Sprache das war bis dahin eine Sache der gewiß weisen, aber doch auch von vielen nicht für voll genommenen notorisch nörgelnden Greise. Paulwitz hat daraus eine Passion der Jungen gemacht. Daß er in so kurzer Zeit eine führende Rolle in diesem Kampf übernehmen konnte, das ist das eigentlich Erstaunliche, nachgerade Verblüffende.
Ich traue mir nicht zu, eine komplette Vorstellung von dem zu vermitteln, was alles er hier angestoßen oder gar erreicht hat. Der rühmenswerten Aktionen, Vorstöße, Initiativen allein im Rahmen der DEUTSCHEN SPRACHWELT sind so viele, daß sie unmöglich alle aufgeführt werden können. Gewonnen ist mit der SPRACHWELT vor allem eins: Der Isolation und Sektiererei, der oft belächelten Schrulligkeit und Erbsenzählerei der Sprachfexe seit der seligen Opitz und Gottsched Zeiten ist ein Ende bereitet. Der Einsatz für gutes Deutsch ist auf ein sachliches, vernunftbasiertes Niveau gehoben. Besonders hinweisen möchte ich hier auf den erstklassigen Internetauftritt www.deutsche-sprachwelt.de, der Hilfreiches, Unterhaltsames, Amüsantes und Empörendes thematisiert und damit öffentlich macht. […]
Mit ihren bisher 26 Nummern und einer ausgewiesenen Auflage von 25.000 Exemplaren ist die DEUTSCHE SPRACHWELT zu einem der wichtigsten, längst unentbehrlichen Organe der Sprachhüter geworden. Mißstände, Sprachskandale, Entgleisungen, was in der sprachlichen Rüpelszene auch immer verbrochen wird sie läßt den Tätern nichts durchgehen und ahndet Untaten mit Schlagfertigkeit, Witz und gnadenlos zwickendem Juckpulver. Auch der Laudator kann sich vor diesem unerbittlichen Zensor nicht sicher fühlen, am wenigsten, was seinen opulenten Fremdwortgebrauch betrifft.
Die Frage bleibt: Kann ein solcher Kampf für das Wort in einer Zeit, die bildsüchtig geworden ist, gewonnen werden? Kann er unter dem Diktat einer Beschleunigung, die nur noch den oberflächlichen Sprachgebrauch zuzulassen scheint, mit Optimismus geführt werden? Vermag er eine Gesellschaft mitzureißen, die dem Comic, dem Computerspiel, dem Internet verfallen ist, also Medien, die die Sprache zu Brei zermahlen, auf Kürzel reduzieren, vernutzen? […] Hat der fünf Jahre währende Kampf der DEUTSCHEN SPRACHWELT, haben die vielen Mahnungen, Warnungen, Proteste aus Ihren und Ihrer Mitstreiter Reihen nichts gebracht? Die immer breiter werdende Abwehrfront legt eine andere Deutung nahe.
In der jüngsten, der Herbstausgabe 2006 der DEUTSCHEN SPRACHWELT gibt Paulwitz die Losung aus: „Deutsch eine starke Sprache. Ich habe das mit großem Interesse und lebhafter Zustimmung gelesen. Jeder vierte Europäer spricht die Sprache Goethes als Muttersprache insgesamt sind es 101 Millionen. Keine zweite Sprache der Alten Welt hat in Europa eine so breite Basis. […] Müssen wir das Schlechtreden unserer Sprache unter unsere Nationalgebrechen rechnen? Die Neigung, ja Beflissenheit, uns fremdsprachlicher Ausdrücke zu bedienen ist sie krankhaft oder verbirgt sich in ihr eine Begabung zur Anpassung und Anverwandlung, wie sie für das Volk in der Mitte Europas lebenswichtig ist? Wir sind versucht, die Manie der Anglifizierung als ein endzeitliches Verfallssymptom unserer Sprache zu deuten. Da muß ich an Lessings bewegte Klage in der Hamburgischen Dramaturgie also vor mehr als 200 Jahren erinnern:
„ ... daß wir Deutsche noch keine Nation sind! Ich rede nicht von der politischen Verfassung, sondern blos von dem sittlichen Charakter. Fast sollte man sagen, dieser sey: keinen eigenen haben zu wollen. Wir sind noch immer die geschworenen Nachahmer alles Ausländischen […]; alles was uns von jenseit dem Rheine kömmt, ist schön, reitzend, allerliebst, göttlich; lieber […] wollen wir Plumpheit für Ungezwungenheit, Frechheit für Grazie, Grimasse für Ausdruck, ein Geklingle von Reimen für Poesie, Geheule für Musik, uns einreden lassen, als im geringsten an der Superiorität zweifeln, welches dieses liebenswürdige Volk [Lessing spricht von den zu seiner Zeit in der deutschen Gesellschaft tonangebenden Franzosen], dieses erste Volk in der Welt, wie es sich selbst sehr bescheiden zu nennen pflegt […], von dem gerechten Schicksale zu seinem Antheile erhalten hat.
Unsere Sprache, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat diese Fremdtümelei so wie einst den wohlfeilen Latinismus zu verarbeiten und zu verdauen vermocht. So fürchterlich aussichtslos, so dürfen wir hoffen, mag es auch heute nicht um sie bestellt sein. Vielleicht machen wir uns sogar ein seitenverkehrtes Bild davon. Wenn Sie alle Sprachvereine, die sich neben und mit Paulwitz „Verein für Sprachpflege aufgestellt haben, in allen deutschsprachigen Ländern und dazu noch im Ausland (wo es sie auch gibt) zusammennehmen, kommt eine Phalanx zustande, wie es sie noch nie in der Geschichte, erst recht nicht in den Zeiten der Fruchtbringenden Gesellschaft, in dieser Breite und Einsatzfreude gegeben hat. Es ist auch sehr die Frage, ob es jemals so viele Deutsche gab, die das Hochdeutsche so gut verstanden und gesprochen haben wie heute […].
Viel schwerer wiegt ein anderes: Das Deutsche wird wie übrigens auch die Fremdsprachen auf ein bloßes Verständigungsmittel reduziert. Damit aber käme uns, je mehr sich dieser oberflächliche Begriff von Sprache einbürgerte, der Kosmos unserer geistigen Überlieferung, ja die Fähigkeit zu differenziertem Denken überhaupt abhanden.
Schon heute haben Lehrer Schwierigkeiten, die klassische Literatur zu vermitteln nicht wegen ihrer komplizierten Inhalte, sondern wegen des Verlustes der Sprachkompetenz der Kinder. Das Hochdeutsch von Funk und Fernsehen, der Elternhäuser, aber eben auch der Schulen, erst recht des Internets und der Jugendszene, ist ein ausgedünntes, schludriges, nuancenarmes, verwahrlostes Umgangsdeutsch, ein hastig heruntergehaspelter Mc-Donald-Verschnitt unserer Sprache, der kein Eindringen in die Feinheiten der Argumentation, in die Sphären der Poesie, der Philosophie, in die vertiefende, anspruchsvolle Debatte mehr erlaubt.
Unsere Kinder kennen die Vokabeln nicht mehr, die es ihnen ermöglichen würden, die strotzende Bildkraft der Lutherbibel, die sinnliche Leidenschaft der Briefe des jungen Goethe, die atemlose Wucht auch nur der Anekdoten eines Heinrich von Kleist, das Pathos und die Dramatik der Balladen Schillers, die Nachthimmelklarheit und Unauslotbarkeit der Fragmente des Novalis zu verstehen. Geben wir viel zu viel auf Verständigung, viel zu wenig auf Verstehen?
Niemand hat bisher untersucht, ob etwa das so schwärmerisch bewunderte und zum Idealziel auch des Schulunterrichts erhobene Aufwachsen in Zweisprachigkeit nicht geradezu das Eindringen in die Tiefe der Texte verbaut. Muß man nicht erst die eigene Sprache beherrschen und sich in ihr heimisch machen, ehe man sich die Vorstellungswelten einer zweiten und dritten erschließt? Wer nur noch eine Bedeutung des Wortes „aufheben kennt, braucht gar nicht den Versuch zu machen, einen Text von Hegel zu verstehen. Wer mit dem Konjunktiv nichts anzufangen weiß und von Satzarchitektonik nichts versteht, dem bleibt der Reichtum dessen verschlossen, was da zitiere ich Wolf Biermann gern die deutsche Sprache, den deutschen Geist im eigentlichen ausmacht, „das Beste was unser Volk der Menschheit überhaupt geben kann.
Der Einsatz von Paulwitz und seinen Freunden er kann nur Erfolg haben, wenn wir wieder Deutsch lernen. Wenn wir begreifen, daß Goethes und Lessings, Schillers und Kleists, Brentanos und Grillparzers Sprache nicht altertümlich, sondern nur reicher sind als das Fernseh- und Ämterdeutsch unendlich reicher und ausdrucksstärker als das platte Umgangs-, das umständliche Behörden- und das strohtrockene Fachdeutsch. Wir können von Menschen, die nicht mehr Goethe lesen können, nicht verlangen, daß sie Goethes Sprache verteidigen. Wer es ernst meint mit Integration, wem bewußt ist, das sich in zwei Generationen die Bevölkerungsmehrheiten in Deutschland umkehren werden, auch die Mehrheiten der Religionszugehörigen, der wird in solchem Dienst für die deutsche Sprache eine nationale Lebens-, eine Überlebensfrage sehen.
„Sprache als Heimat ist der Titel eines Buches, das die Internationale Assoziation deutschsprachiger Medien, ein um die deutsche Presse im Ausland bemühter Verein, 1981 für die Auslandsdeutschen herausgebracht hat. Zur Heimat kann die Sprache nur werden, wenn wir in der Kindheit zu ihr hingeführt werden. „Wo spräche das Herz deutlicher als zum eigenen Kinde? fragt Schalom Ben Chorin, der jüdische Denker, in seinem Beitrag zu diesem Buch. Und er fährt fort:
„Kann man ihm (dem Kind) die kleinen Verse, die uns selbst im Dämmer des erwachenden Verstandes entzückten, ihm den Märchengarten verschließen, in dem wir uns einmal verloren hatten wie Hänsel und Gretel im Walde? Wenn dies alles verstummen sollte, würde uns nicht der Mund versiegelt, würde nicht das Herz taub?
Ben Chorin, der emigrierte Jude, konnte nach der Rückkehr nach Deutschland sagen: „War die Sprachheimat für uns wie das versunkene Atlantis, so gleicht sie jetzt dem Gipfel des Ararat. Die Wasser der Sintflut haben sich verlaufen und aus ihnen ist die Sprache als der gerettete Gipfel der Heimat neu aufgetaucht. Es mag eine Bürde sein, lieber Thomas Paulwitz, meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Rettung wenn auch unter ganz anderen Rahmenbedingungen gegen alle Resignation und alle widerstrebenden Tendenzen noch einmal vollbringen zu sollen. Mehr noch aber ist es eine Auszeichnung, dazu berufen zu sein. Ich beglückwünsche Thomas Paulwitz, der schon soviel dazu beitragen durfte, an diesem Ort zu dieser Stunde durch die Auszeichnung mit dem Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalisten dazu ermutigt zu werden!
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