Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Zur deutschen Sprache
Die Sprache ist ein Bild der Seele ...
www.sprache-werner.info
Sprache / Deutsche Sprachwelt DSW / D.Die Spirale der Entsprachlichung
 

  < zurück erweiterte Suche Seite drucken
 

Die Spirale der Entsprachlichung
 Warum wir nicht mehr mit dem Strom schwimmen sollten
Von Klaus Däßler

Deutsche Sprachwelt AUSGABE 25 Herbst 2006, S. 11
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der DEUTSCHEN SPRACHWELT

 

Wodurch werden Sprache und Musik eines deutschsprachigen Privatsenders bestimmt? Erhellende, aber auch besorgniserregende Äußerungen zu dieser Frage machte der Geschäftsführer des privaten hessischen Hörfunksenders „Skyradio“, Thomas Adams. Auf einem Diskussionsforum des Dresdner Zweiges der Gesellschaft für deutsche Sprache am 23. Juni dieses Jahres zum Thema „Deutsch in den Medien“ legte Adams eine Haltung an den Tag, wie sie für die deutsche Sprache gefährlicher nicht sein könnte.

 

Wie verhalten sich Menschen zu offensichtlichen, alle Bürger betreffenden, das heißt in ihr Leben eingreifenden, gesellschaftlichen Fehlentwicklungen, wenn die Beteiligung daran kurzfristige Vorteile, der Kampf dagegen jedoch geringste Nachteile verspricht? Dazu könnte ich folgendes Fazit aus meiner persönlichen Lebenserfahrung, besonders aus der Zeit der untergehenden DDR, ziehen, die – in ihrer Agoniephase und nach der Wiedervereinigung – viele, viele Menschen ins Unglück gebracht hat.

 

Der Haupttenor der meisten ist: „Man kann nichts machen. Man ist in ein System eingebunden, das sich wohl in einer Abwärtsspirale bewegt, aber wenn man dagegen ankämpft, ist man verloren. Man muß also immer mit dem Strom schwimmen, vielleicht sogar ein bißchen verantwortungsloser sein, um kurzfristig Erfolg zu haben. Die anderen machen es ja auch so.“

 

Meine Erfahrung aber ist: Wenn alle Menschen gemeinschaftlich auf einem gesellschaftlichen System herumtreten, so geht dieses System unweigerlich zugrunde, manchmal schneller, als man denkt, mit viel, viel schlimmeren Nachteilen für alle, als wenn man die kurzfristigen Nachteile der Verantwortung in Kauf genommen hätte. „Man kann nichts machen“ ist eine gefährliche Ausrede, mit der die Menschen ihr eigenes Unglück erst hervorrufen, weil sie immer ein bißchen mehr zur Abwärtsspirale beitragen, als sie eigentlich müßten.

 

Zurück zu Thomas Adams. Seine Kernaussagen waren: Ausschließlich die Ökonomie bestimme das Verhalten eines Privatsenders, also die Einschaltquoten in Verbindung mit den Werbeaufträgen aus der Wirtschaft. Wenn nicht alles, auch kulturell Fragwürdiges, versucht werde, um hohe Einschaltquoten für die Werbung zu erzielen, so machten es die anderen. Dann sei es besser, es selbst zu tun, um noch einen letzten Rest Verantwortungsgefühl aufzubringen, der bei den anderen nicht immer erwarten werden könne.

 

Deswegen müsse der Sender versuchen, die größtmögliche Zielgruppe mit den Mitteln anzusprechen, die sie am ehesten veranlassen, diesen Sender anzustellen und seine Werbung zu hören. Die entscheidende Zielgruppe sei im Alter von 14 bis 49. Ihr Bildungsgrad liege im allgemeinen unter dem Durchschnitt – Gebildete seien weniger bereit, sich durch Werbung zum Kauf verleiten zu lassen.

 

Die Entscheidungen würden durch strikte, ständig verfeinerte Methoden der Kundenbefragung und -analyse betrieben. So werden zum Beispiel mehrere Personen der typischen Zielgruppe in einen Raum gesetzt, jeder mit einem Drehknopf. Dann werden ihnen verschiedene Musikstücke und verschiedene Sprechersequenzen vorgeführt. Bei Gefallen drehen sie nach rechts, bei Mißfallen nach links. So bekommt man heraus, was gespielt werden muß.

 

Die gesamtgesellschaftliche Entwicklung bedingt also, daß die sprachlich und kulturell weniger Gebildeten das Programm bestimmen, denn die bilden nun einmal die große Mehrzahl der Zielgruppe. Die Bildungsfernen streben nicht nach immer differenzierterer Sprache und besserer Musik, sondern wollen genau das hören, was sie wiedererkennen, was ihnen daher gefällt. Wenn es ein wenig unter ihrem Niveau ist, so freuen sie sich, weil sie darin die Bestätigung ihrer eigenen Überlegenheit finden. Sie handeln gemäß der neolibertären Freiheitsdefinition: Freiheit ist, wenn ich tun und lassen kann, was ich will (Sie glauben, das zu tun, was sie wollen).

 

Es findet automatisch eine Justierung der Sprache und des Kulturprogramms (der Musik) nach unten statt. Da das Programm aber auch von einem gewissen Prozentsatz offenerer oder gebildeterer Menschen gehört wird, führt das naturgemäß, weil man ja durch Medien unbewußt immer beeinflußt wird, nach unten, zum Kompetenz- und Kulturverlust des Volkes. Personen, die noch unter dem Niveau auch dieses Senders liegen, stellen ihn gar nicht erst an, weil es massenweise schlimmere Konkurrenz gibt, das heißt die Gegenströmung, Bildung der noch weniger Gebildeten, die man erwarten könnte, findet nicht statt.

 

Das Senderpersonal versucht nach Aussage von Adams, dem ein wenig gegenzusteuern, um auch ein gewisses sprachlich-kulturelles Ethos zu erfüllen, das Ergebnis ist aber – in Anbetracht der harten Konkurrenz nach unten – zu vernachlässigen. Folgerichtig wich er auch einer zentralen Frage genauso zentral aus, die von einem besonders hartnäckigen Zuhörer gestellt wurde – nach seinem eigenen seelischen Gleichgewicht bei dieser Sache – schließlich gehört er zur Elite, die das alles durchschaut. Bei ihm könnte man die zynische Freiheitsdefinition der Analytiker anwenden: Einsicht in die Notwendigkeit – wobei die „Notwendigkeit“ erst durch diese Analytiker geschaffen wird – aber das verdrängen sie.

 

Diese Effekte, die schon vor Jahrzehnten in den USA zu verzeichnen waren, folgen bei uns mit gewisser Verzögerung. Durch die Privatsender findet ein Wettlauf zu einer allgemeinen Entbildung und Entsprachlichung statt, den derjenige vorübergehend gewinnt, der bei Entbildung und Entsprachlichung voraus ist. Dies bedeutet gleichzeitig eine Gegenaufklärung. Dieser Begriff ist entscheidend: Er bedeutet, daß das Volk allmählich seine Kompetenz verliert in Richtung eines dumpfen, dem geistigen Mittelalter entsprechenden Zustandes, jeder Art organisierter Manipulation für oder gegen etwas oder wen auch immer, willig ausgeliefert.

 

Da auch die Führungselite „aus dem Volk“ stammt und sich selbstverständlich auch aus dessen Medien nährt, bedeutet das für die führenden Atombomben-Nationen dieser Welt, daß sie in Anbetracht heraufziehender Weltkonflikte um die natürlichen Ressourcen in hohem Maße anfällig für fatale Fehlhandlungen sein werden. Die ständig tiefere Verstrickung der westlichen Führungsmacht in Konflikte mit der islamischen Weltkultur ist ein Beispiel hierfür. Sie läßt sich bald nicht mehr kontrollieren.

 

Das alles bedeutet für uns Deutsche eine hohe Verantwortung. Wir durchschauen die Lage aufgrund vergangener „fetter Jahre kultureller Bildung“, bringen aber bisher nicht die Kraft für befreiende Impulse auf, weil wir uns zu sehr in materielle Gier verstrickt haben. Und statt bei der Wiedervereinigung das gewaltige Freiheitspotential der Ostbürger (immerhin sind genau sie vor die Automatikwaffen der Stasi getreten) für uns alle zur Explosion zu bringen, haben wir sie genau wie uns selbst in das Brot-und-Spiele-Spinnengewebe materieller Fettleibigkeit und Abhängigkeit eingewoben und lernen lieber von der Stasi als von ihren Besiegern.

 

Ich spreche hier insbesondere die Älteren unter uns an, die sich gern mit dem Hinweis auf überstandene Lebenskämpfe in ihrem verdienten Ruhestand ausruhen: In unserer Generation haben sich diese gesellschaftlichen Fehlentwicklungen in Westdeutschland unnötig eingenistet. Heraus aus dem Dämmerschlaf vor dem Fernseher, auf schönen Auslandsreisen! Die Jungen haben wir mit tausenderlei Sorgen und Nöten befrachtet. Wer soll es tun, wenn nicht wir?

Kostenloses Probeexemplar der Zeitschrift

zum Buchdienst der Deutschen Sprachwelt

 



zum Seitenanfang < zurück Seite drucken