Na gut, ich nehme zur Kenntnis, daß auch in der Süddeutschen Zeitung aufwendig wieder richtig geschrieben wird. Ob sich die Korrektur auch auf den eigentlich als Pflanzenteil bekannten Stängel auswirkt, konnte ich, trotz fleißiger Lektüre des Blattes, bisher nicht feststellen. Ist auch egal. Ich für meinen Teil habe jedenfalls beschlossen, auch für den Rest meines Erdenlebens die Regeln der bisherigen Rechtschreibung zu befolgen. Nicht zuletzt auch, weil ich mich an zahlreiche Wortbilder gewöhnt habe und gar nicht daran denke, die mit der Rechtschreibreform verfügten Mißbildungen zu übernehmen. Womit ich dann auch schon beim Thema bin.
Ich liebe das ß
Die bisherigen Dudenregeln 22 und 183 bis 188 sind kompliziert. Nutzer, dem selbstgeschriebenen Wort eher seltener verhaftet, sind da überfordert, wofür ich Verständnis habe, wenngleich ich die dank ß mögliche Nuancierung des Schriftbildes schätze. Nun, mit der Verbreitung von Schreibgeräten, die über kein ß verfügen, lockerte sich diese starre Regelung von selbst, womit eine Rechtschreibhürde beseitigt war.
Man hätte es dabei belassen und diese Wahlfreiheit aktenkundig machen können. Aber so bringt der verfügte Kahlschlag in Sachen ß eine Verarmung des Schriftbildes mit sich, die bei einigermaßen gutem Willen hätte vermieden werden können. Ein Kuß ist eine Liebkosung, ein Kuss man beachte das unterschiedliche Schriftbild ist ein phantasieloser Schmatz. An den durch befohlene Umwandlung des ß in ss entstandenen Wort-Ungetümen würge ich beim Lesen. Und wenn ich mir vor Augen führe, was die Anal-Phabeten an Kleingehacktem bei den Trennungsregeln angerichtet haben, dann vergeht mir der Appetit auf dergestalt gewürzte Lektüre nachhaltig.
Mein Sprachraum
Ja, warum bin ich eigentlich so gnatzig, wenn es um diese Sprachverstümmelung geht? Sie betrifft doch nur das geschriebene Wort. Eben, nur das geschriebene Wort. Im geschriebenen Wort mache ich all die Färbungen aktenkundig, die ich mündlich gar nicht in dieser Feinheit artikulieren kann. Im geschriebenen Wort vermittle ich Gedanken nachlesbar, denn sie sind nun nicht mehr nur Schall und Rauch. Mein Sprachraum, einst Behältnis für einige wenige Vokale, ist mit meiner Fähigkeit, mich zu artikulieren, gewachsen. Da sind sie alle gesammelt, die Worte, in die ich meine Gedanken kleide. Als Schriftbilder sind sie für mich das, was für den Maler die Farbe ist.
Da ist der Kuß, aus zwischenmenschlichen Beziehungen nicht wegzudenken. Das daß, wie ein Signal läutet es den Konjunktiv ein und unterscheidet sich nachdrücklich vom viel häufiger vorkommenden das, dem obendrein das mutwillig verordnete dass optisch gefährlich nahe steht. Armselig steht das neugeschaffene Wörtchen rau in der Sprachlandschaft herum, bisher nur als Familienname eines ehemaligen deutschen Bundespräsidenten ein Begriff. Von nun an wird es also außer Bruder Johannes auch Raureif, raue Hände, Winde, Stimmen und ähnliches geben, ganz zu schweigen von Rauigkeit und Aufrauen (was sind denn das für Frauen?).
Um noch einmal darauf zurückzukommen: an der Aussprache ändert sich bis auf die letztgenannten beiden Beispiele, da müssen wir wohl noch üben eigentlich nichts. Aber wenn ich rauh schreibe, dann vermittelt mir das h tatsächlich ein Gefühl von Rauheit. Beispielsweise bei einem Kuß auf rauhe Lippen, da spüre ich was, wenn ichs schreibe.
Ich lasse mir meinen Sprachraum nicht von Bürokraten, die offenbar den Bezug zur lebendigen Sprache verloren haben, verunstalten. Ich habe Schwierigkeiten, wenn ich sehe, wie die Sprachhilfslehrer der Nation den Wörtern die Wurzeln ausreißen. Am Ende einer Stange befindet sich keine lebende Gänseblümchenblüte. Auch wenn das Wörterbuch der XIX. Brockhaus-Enzyklopädie bei Stengel einen mißverständlichen Hinweis auf Stange bringt, besteht kein Grund aus einem Stengel einen Stängel zu machen. Was habe ich übrigens unter einer gräulichen Farbe zu verstehen? Hat die einen Stich ins Graue oder ist die entsetzlich oder wie oder was? Mir scheint, einen entsetzlichen Stich haben die Verantwortlichen, die solche Stilblüten durch Anordnung ermöglichen.
Verzeihung, aber ich habe kein Händie
Nun noch ein kurzer, aber wirklich ganz kurzer Ausflug in das von Fallgruben nur so strotzende Gelände, auf dem die Fremdwörter gedeihen. Auch das Portemonnaie, neben Trottoir, Parapluie und vielen anderen einst vom Alten Fritz in den deutschen Sprachgebrauch eingebrachten Wörtern längst voll integriert, wurde ein Opfer der Sprachregler. Niemand war bisher gezwungen, sich an diesem Fremdwort die Zähne auszubeißen, schließlich kann man die Euros und Cents auch in der Geldbörse horten. Doch nein, hemmungslos wurde per Lautsprache eingedeutscht: Portmonnee heißt es da, Fassette (svw. kleines Faß?), Katarr (männliche Katze?) und so weiter.
In der kurzgefaßten und wahrscheinlich schon wieder überholten Duden-Bedienungsanleitung zur Rechtschreibreform heißt es zu diesem Kapitel: „Bei manchen Fremdwörtern stehen die in der Fremdsprache üblichen Schreibweisen und eingedeutschte Schreibungen gleichberechtigt nebeneinander. Es darf gelacht werden, aber die künftigen PISA-Ergebnisse werden durch diese Hilfestellung wohl kaum beeinflußt oder etwa doch? Man hat ja schon Pferde kotzen sehen, direkt vor der Apotheke.
Aber, sieh an, von einem Fremdwort haben sie die Finger gelassen. Obwohl es kein handelsrechtlich geschütztes Wort ist, wie zum Beispiel Walkman. Allerdings ist es die heiligste aller Kühe, die je auf deutschen Sprachwiesen geweidet haben, weiden und in Zukunft weiden werden: das Handy. Mit Fug und Recht hätte der Reformeifer hier gnadenlos zuschlagen müssen, um dieser Vokabel, der in der englischen Originalfassung eine völlig andere Bedeutung zukommt, ein deutsches Outfit (Autfitt?) anzupassen: als Händie wäre das Teil auch sprachlich ins Deutsche eingebettet. Ist es doch, wie schon angedeutet, nur hierzulande das Synonym für ein Mobiltelefon. Ich habe übrigens tatsächlich keines, aber das nur nebenbei.
Dieter J. Baumgart ist Schriftsteller und lebt in Frankreich.
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