Wer ein Buch von Wolf Schneider zur Hand nimmt, erwartet schon von vornherein neben Wissenswertem, Belehrendem, Ermahnendem vor allem auch viel Lesevergnügen. So ist es auch bei diesem Buch, das keinen enttäuschen wird, der „Rezepte für besseres, verständliches, den Leser fesselndes Schreiben sucht, sei er ein Journalist oder Lektor, in der Öffentlichkeitsarbeit tätig, Schüler oder Student. „Rezept ist hier durchaus wörtlich zu nehmen. Nach einem einleitenden Teil, der sich „Kritische Diagnose nennt, präsentiert Schneider tatsächlich „44 Rezepte für die Therapie. Schon während des Lesens der Diagnose bekommt der Leser immer wieder Lust, nach hinten zu blättern, und liest sich dann in den Rezepten fest.
Doch zuerst zur Diagnose, die Wolf Schneider stellt. Er warnt vor Geschwätzigkeit, dem Zunftjargon, dem Desinteresse des Schreibers am Leser, wenn beispielsweise der Verfasser einer Gebrauchsanweisung sich nicht die Mühe macht, sich in den Leser hineinzuversetzen. Hochmut, Schönfärberei oder „freundliches Nichts: Das alles steht dem Informieren im Weg. Sei es die bei Politikern beliebte berechnete Irreführung, allen Personen imponieren zu wollen und den „gewöhnlichen Leser nicht wichtig zu nehmen, seien es schönfärberische Begriffe wie das „Nullwachstum der Politiker oder das „strandnah in Reiseprospekten.
Schneider bringt immer wieder sowohl positive als auch negative Beispiele und illustriert viele Thesen mit Zitaten. Es sollte zu denken geben, daß auch ein Georg Christoph Lichtenberg geschrieben hat: „Man hat den Deutschen vorgeworfen, daß sie bloß für die Gelehrten schrieben; ob nun dieses gleich ein höchst gesuchter Vorwurf ist, so habe ich mich doch danach gerichtet und überall für den geringen Mann mitgesorgt. Oder daß Johannes Rau in einer Rede sagte: „Was man nicht verstehen kann und vielleicht auch nicht verstehen soll, das schafft kein Vertrauen.
Schneider beleuchtet die Einflüsse, die jeweils neue Techniken nach sich zogen: das Telegramm den Telegrammstil, das Telefon eine überspitzte Artikulation (fünnef) und das Buchstabieralphabet, das Radio die Geschwätzigkeit, die Comics die Stummelsprache der Sprechblasen (seufz, krächz), das Diktiergerät längere Geschäftsbriefe.
Weiter warnt Schneider vor der Bequemlichkeit, zu der das Schreiben am Rechner verführt. Die optisch scheinbar einwandfreien Texte werden längst nicht mehr so sorgfältig redigiert wie ihre Vorgänger auf Papier, und da mit dem Einzug der Rechner die Korrektoren fast ausstarben, fehlt eine weitere Kontrollinstanz. Schneider führt die oft absurde Silbentrennung an, die früher „kein Klippschüler so vorgenommen hätte. Tran-sport läßt nach seiner Meinung an Leibesertüchtigung von Walfischen denken.
In diesem gewandelten Umfeld mit der Hektik, die elektronische Post, Telefontelegramme (SMS = Short Message Service) und Netzforen verbreiten, liegt Schneiders Meinung nach auch eine Chance. Ein makelloser Text, vom korrekten Komma über das treffende Wort bis zum eleganten Satz, fällt heute mehr auf als vor dreißig Jahren.
Immer wieder wird der Leser zum Nachdenken und Weiterdenken animiert. So plaudert Schneider über die verschiedenen Bedeutungen des Wortes „aufheben. Man kann ein Blatt Papier vom Boden aufheben, es aber auch aufbewahren, Vorschriften aufheben, womit sie nicht bewahrt, sondern im Gegenteil abgeschafft werden. Wer dagegen bei einem Freund gut aufgehoben ist, wird weder vom Boden aufgelesen noch in dessen Archiv gelegt. Ähnlich mehrdeutig sind Wörter mit der Vorsilbe un-. Worauf will Schneider mit diesen Beispielen hinaus? Auf ein „mißtrauisches Beäugen der Wörter, ob sie auch das sagen, was wir wollen. Er empfiehlt die Haltung von Franz Kafka: „Jedes Wort, bevor es sich von mir niederschreiben läßt, dreht sich zuerst nach allen Seiten um.
Die Gliederung des Hauptteils des Buches in 44 Rezepte für die Therapie und eine weitere Untergliederung in „Die Sätze, „Die Wörter, „Der Jargon, „Die Reize und „Probleme bieten dem Leser die Möglichkeit, es tatsächlich wie ein Kochbuch immer wieder zu Rate zu ziehen.
Das beginnt mit dem Rat eines kolumbianischen Philosophen: „Der Schriftsteller, der seine Sätze nicht foltert, foltert seine Leser. Es folgen Gedanken über Sätze und die Wichtigkeit von klug und richtig dosierten Satzzeichen. Ausführlich widmet er sich den „drei Sekunden, die nach Meinung des Humanwissenschaftlers Ernst Pöppel für unser Bewußtsein das Fenster der Gegenwart darstellen. Sie sollen für vieles gelten: für den Abstand zwischen zwei Tönen, damit sie noch als Melodie erkannt werden, für Tanzrhythmen, Winken, Händeschütteln und das Lesen einer Verszeile. Pöppel meint, daß auch Satzkonstruktionen in diesem Zeitbereich liegen müssen, um verstanden zu werden. Womit sich schon die Warnung vor allzu verschachtelten Sätzen ergibt.
Es gibt Rezepte zu Hauptsätzen, zur richtigen Anwendung von Nebensätzen, Zwischensätzen, Satzzeichen, bevor Schneider zu den „Wörtern in Rezept 16 bis 23 übergeht. Da kann man sich Rat holen, welche Wortungetüme zu meiden sind (Zielstellung, Maßnahmen-Umsetzung), man lernt, daß oft die Einsilber die kräftigsten Wörter sind: Wut, Zorn, Neid, Haß, Gram, Pein, Qual, Krieg, Gruft, Tod, oder positiv Stolz, Mut, Ruhm, Gott. Schneider mutmaßt, daß manche die Wahrhaftigkeit fürchten und lieber von Räumlichkeiten, Witterungsabläufen, Problemstellungen und Motivationsstrukturen schreiben als von Gründen, Problemen, Wetter und Räumen.
Nach den zu bevorzugenden Verben und den eher sparsam zu dosierenden Adjektiven widmet sich Schneider den Sprachtabus. Kafka machte sich darüber lustig, als er an seine Schwester schrieb, daß die Ärzte von Lungenspitzenkatarrh redeten: „Das ist das Wort! So wie man jemandem Ferkelchen sagt, wenn man Sau meint. Heute sitzen Verurteilte in einer Justizvollzugsanstalt statt im Gefängnis, die Neger (das galt bis weit in die sechziger Jahre als korrekt) heißen jetzt Schwarze.
Nicht fehlen darf die „Political Correctness, verursacht von der feministischen Bewegung, und die Berufsschreiber nun sklavisch befolgen: Aus einer hessischen Verordnung: „Sind die Schulleiterin oder der Schulleiter, ihre planmäßige Vertreterin oder ihr planmäßiger Vertreter oder seine planmäßige Vertreterin oder sein planmäßiger Vertreter und Abwesenheitsvertreterin oder der Abwesenheitsvertreter der planmäßigen Vertreterin oder des planmäßigen Vertreters gleichzeitig länger als drei Tage abwesend, so ist die Schulaufsichtsbehörde …
Schneider hält das entweder für den Einzug der Logarithmentafel in die deutsche Stilistik oder für eine perfide Karikatur von Macho-Hand, um den Feminismus durch Albernheit zu töten. Er erfindet reizvolle Beispiele, so die Hampelfrauen und Sündenziegen, das Nichtraucherinnenabteil, Hündinnen- und Hundesteuer. Aber lesen Sie selbst diese amüsanten, jedoch durchaus ernstzunehmenden Überlegungen.
Weitere sieben Rezepte widmen sich dem Jargon: dem der Wissenschaftler, der leider oft von der Art sei, wie ihn die Neue Zürcher Zeitung 1994 beschrieb: „Unverständlichkeit ist nicht selten ein fein zurechtgeschneidertes Kleid, das unter dem Signum der Wissenschaftlichkeit viel Leere und Bedeutungslosigkeit verbirgt ... Der Ausweis der Wissenschaftlichkeit erfolgt durch den Nachweis der Unverständlichkeit. Abschreckende Beispiele zitiert Schneider unter dem Titel „Orgasmen der Wortkunst. Er streift die Sprache der Bürokraten, warnt vor Sprachklischees (den „Pilzen, die aus dem Boden schießen oder auch der überstrapazierten „Nobelherberge des Nachrichtenmagazins „Spiegel, die ursprünglich mal witzig war) und bringt in einem weiteren Rezept alphabetisch geordnete Beispiele.
Grundsätzlich hält Schneider Importe aus anderen Sprachen nicht für schlecht, denn wer empfinde Keks und Test, Flirt, Sport und Drops noch als besonders fremd? Er verurteilt sie aber an den Stellen, wo sie unverständlich werden (equal pay, balanced scorecord, corporate citizenship). Nicht gelten läßt Schneider die angeblich prägnante Kürze des Englischen und bringt eine ganze Liste von Wörtern, in denen das deutsche Wort vom Ein- bis zum Dreisilber weniger Silben hat als seine englische Übersetzung (Geld money, Nachteil disadvantage, Trödler- second-hand-dealer, vorgestern the day before yesterday). Er plädiert für den Mut zur Übersetzung, denn sie sei anschaulicher, farbiger, und vor allem: Der Deutsche versteht sie. Luther hält er hier für ein ewiges Vorbild. Dieser habe sich vor keinem griechischen Wort gefürchtet. Es folgen 33 erfolgreiche Eindeutschungen und ihre Schöpfer. Reize (pars pro toto, Bilder finden, Wortwitz) und Probleme sind weitere Rezepte. Zu guter Letzt empfiehlt Schneider: Liebe deinen Leser wie dich selbst.
Stellenweise sehr ärgerlich ist der im Buch verwendete Reformschrieb. Es ist unklar, inwieweit der Rowohlt-Verlag sich mit seinem Autor in dieser Hinsicht abgesprochen hat. Die Kommasetzung ist erfreulicherweise traditionell, was auch konsequent ist, da Schneider immer wieder davor warnt, den Leser in die Irre zu führen, beispielsweise mit einer Verneinung am Ende eines Satzungetüms. Deswegen lobt Schneider die Nachrichtenagentur dpa, die die irritierende Kommasetzung der Reformregeln nicht befolgt. Andererseits erinnern wir uns, wie Wolf Schneider bei Sabine Christiansen klar und deutlich gegen den Reformschrieb wetterte. Da mutet es seltsam an, wenn sogar die Klassikerzitate in Reformschreibung umgewandelt werden.
Zwar werden die übelsten Auswüchse dieser Schreibung gemieden, wir finden aber doch immer wieder Schreibungen, die den Leser in die Irre führen wovor Schneider doch gerade so vehement warnt. Was soll der Leser denn davon halten, daß Zeitungen ihre Leser „im Großen und Ganzen informieren wollen? Was wollen sie denn „im Kleinen? Alles in allem sind wir jedoch dankbar für ein lesenswertes, praktisches, handhabbares Buch. Schneider beherzigt seine eigenen Rezepte und bietet eine spannende Lektüre.
Wolf Schneider, Deutsch! Das Handbuch für attraktive Texte, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2. Auflage 2005, 318 Seiten, gebunden, 19,90 Euro.
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