Die gegenwärtige Integrationsdebatte, die Diskussion um die beste „Verinlandung wie Ilija Trojanow in der „tageszeitung am 1. Juni dieses Jahres in einer meisterhaften Glosse schrieb von Einwanderern in Deutschland, ist den einzubürgernden Menschen gegenüber in dreierlei Hinsicht zutiefst unehrlich und anmaßend: sprachpolitisch, verfassungspolitisch und bildungspolitisch. Sie wird zu keiner für das Land und die Betroffenen annehmbaren Lösung führen, solange sie so unehrlich und anmaßend bleibt, wie sie ist.
Überspitzt gefragt: Hoffen unsere Debattenführer, aus den Neubürgern Deutschlands tatsächlich bessere Deutsche zu machen als sie es selbst sind? Sollten sie damit nicht besser zunächst bei sich selbst anfangen?
Natürlich ist es richtig, unseren Neubürgern die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift abzuverlangen. Dieses Verlangen wirkt jedoch zutiefst unehrlich und anmaßend in einem Land, dessen Schulen immer mehr Kindern ohne Wenn und Aber, aber mit den tollsten Versprechungen, einen Immersionsunterricht aufdrücken, mit dem Englisch zur Unterrichtssprache für fast alle Fächer wird. Die föderale Kultusbürokratie ermuntert sie sogar dazu. Nur Deutsch ist vorerst ausgenommen. Warum bloß? Ein süddeutscher Föderalfürst hat es doch bereits zur Feierabend-, Freizeit- und Familiensprache erklärt! Warum verfügt er, wenn Deutsch zu nichts wirklich Wichtigem mehr taugt, Englisch nicht gleich als Familien-, Schulhof-, Ländles- und Landessprache? Weil er unehrlich ist. Er hat Angst davor, den Menschen zu sagen, was er wirklich denkt oder unter welchen Zwängen er steht.
Die Mehrzahl unserer öffentlichen Integrationsdebattanten hält Englisch längst für die einzig gewinnbringende Sprache. Allein ihre Beherrschung verspreche rentable Völker, Menschen und Warenströme. Aus dieser Sicht ist es natürlich reinster Zynismus, Menschen nichtdeutscher Muttersprache in Deutschland einen unrentablen Umweg in die sprachliche Integration, das heißt die deutsche Sprache, anzupreisen.
Glücklicherweise ist aber Zynismus in einer Demokratie kein akzeptables Handlungsprinzip. Die Glaubwürdigkeit dieser Debattanten gewänne deshalb wesentlich, wenn sie zunächst ihr eigenes Verhältnis zu unserer Landes- und ihrer Muttersprache klärten. Sie sollten sich zu unserer Landessprache nicht nur in Worten, sondern auch durch Taten loyal verhalten, bevor sie unseren Neubürgern empfehlen, zunächst die deutsche statt der englischen Sprache zu erlernen.
Zum anderen ist da die Forderung an die einbürgerungsbereiten Menschen, einen Eid auf unsere Verfassung das Grundgesetz abzulegen. Auch diese Forderung ist im Grunde völlig in Ordnung. Doch angesichts der Tatsache, daß wir Deutschen selbst zur Wendezeit nicht in der Lage waren, uns gegenseitig eine Volksabstimmung über die oder eine gemeinsame Verfassung abzuverlangen, ist die Forderung gegenüber möglichen Neubürgern, einen Eid auf unser Grundgesetz abzulegen, unglaubwürdig und abwegig. Das Fehlen eines Bekenntnisses aller oder einer überwältigenden Mehrheit aller Deutschen zu ihrer Verfassung, das gedankenlose Ausschlagen einer solchen Volksabstimmung seitens unserer „Wende-Macher, ist ein übler Geburtsfehler der Berliner Republik. Noch 1994 wäre er ohne weiteres zu heilen gewesen, jetzt kaum mehr. Schon gar nicht durch Ersatzforderungen wie die jetzt erhobene, wenigstens den neuen Deutschen ein ausdrückliches Verfassungsbekenntnis abzuverlangen.
Zum dritten gibt es da noch die „Stadt-Land-Fluß-Ebene. Natürlich ist es erfreulich, wenn einbürgerungsbereite Einwanderer möglichst nicht nur die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrschen, sondern auch viel über unser schönes Land wissen. Die kursierenden Fragebögen fragen jedoch eine Wissensmenge ab, die auch bei „echten Deutschen, selbst bei den besonders echten, die sich die Mühe gemacht haben, die Kataloge zu erstellen, nur sehr lückenhaft abrufbar sein dürfte. Diese Lücken werden sich mit der Zunahme des Immersionsunterrichts (Unterrichtssprache Englisch) weiter verbreitern und vervielfachen, denn der soll ja selbst die Geographie Deutschlands nur noch auf englisch vermitteln.
Ergebnis: Unsere heißgelaufene, da kreisläufige Integrationsdebatte ist in dreifacher Hinsicht unehrlich und ziellos. Das erwünschte Ziel, einen einfachen und doch nachhaltig integrativ wirksamen Kriterienkatalog zu schaffen, werden wir solange nicht erreichen, wie diese Debatte nicht persönlich glaubwürdig und mit ehrlichen Argumenten geführt wird. Um zu mehr Ehrlichkeit zu kommen, müßten wir Deutschen über einen solchen Kriterienkatalog erst einmal definieren, wer wir selbst sind, was wir von uns wissen möchten und was uns in sprachlich-kultureller Hinsicht künftig besonders wichtig ist. So entpuppt sich die Einbürgerungsfrage als die Frage nach unserem Selbstverständnis und danach, wie wir von anderen gesehen werden möchten. Es ist höchste Zeit, daß wir uns zu beidem äußern, bevor dies andere für uns tun und für uns handeln.
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