Das erste Mal
Was macht jemand, der regelmäßig um 12 Uhr sein wegen der Gewichtserhaltung nicht gerade opulentes Mittagsmahl einnimmt? Er schaltet das Radio ein. Wie erwartet werden die Nachrichten gesendet. Und danach, es muß ein Tag Anfang Oktober 1995 gewesen sein, hört "er", also ich eine mir bisher unbekannte Sendung, das "Tagesgespräch". Das Thema war aktuell, ein Experte war geladen, und die Hörer wurden aufgefordert, über die kostenfreie Nummer 0800 9495955 anzurufen, um Fragen zu stellen und ihre Meinung zum Thema zu äußern. Ich fand heraus, daß diese Sendung seit dem 2. Oktober jeweils Montag bis Freitag um 12 Uhr 05 von Bayern2Radio ausgestrahlt wurde. Den Sender ließ ich eingestellt und ich war ab sofort bis heute regelmäßiger Zuhörer und immer gespannt auf das Thema des nächsten Tages, das ich jeweils am Vortag über das Internet abfragen kann. Es gab von nun an keine Eile mehr beim Essen, denn die Sendung dauerte bis kurz vor 13 Uhr.
Das Thema der ersten Sendung lautete "Deutsche Einheit - ein Grund zum Feiern?" mit Klaus Bölling als Studiogast. Hier ein paar Themen, an denen ich mich durch Anruf und Zuschaltung beteiligte: Kirchenaustritte, Frauenquote, Magnetschwebebahn und Aids (weitere Themen). Anfangs waren meine häufigen Anrufe der Redaktion recht, denn der Bekanntheitsgrad der Sendung mußte sich erst aufbauen. Ich wurde sogar einmal angerufen, ob ich nichts zu fragen oder zu sagen hätte.
Zusätzlich im Fernsehen
Mit der Einrichtung des Bildungskanals alpha wurde der Rundfunk-Empfangsbereich der Sendung, also vorwiegend Süddeutschland, auf den Fernseh-Empfangsbereich erweitert. Der Telefonanruf führt nach wie vor zur Redaktion des Tagesgesprächs, auch aus dem näheren Ausland wie Österreich und der Schweiz. Seitdem ist die Moderatorin und ihr männlicher Kollege nicht nur über Rundfunk zu hören, sondern auch auf dem Bildschirm zu sehen, neben ihnen sitzt der Studiogast. Bei Zuschaltung des Experten aus einem anderen Studio wird sein Foto eingeblendet.
Das Tagesgesprächsfilter
Doch bevor der Anrufer oder die Anruferin an der Sendung teilnehmen kann, muß ein menschliches Filter überwunden werden. Einige Damen und Herren der Redaktion, die meistens auch an den Recherchen für die Sendung maßgebend mitwirken, nehmen den Anruf entgegen, je nach Thema erst nach mehreren oder vielen Versuchen. Sie fragen nach Namen, Telefonnummer, Ort und dem Grund des Anrufes. Dabei versuchen sie in einem kurzem Gespräch herauszufinden, ob sich der Anrufer als Gesprächspartner für die Sendung eignet. Bei guter Eignung wird die Verbindung zum Anrufer sofort "noch oben" gelegt, zum Moderator, der auf einem Monitor die Daten des Anrufers und Stichpunkte seines Vortrages oder seiner Fragen lesen kann. Der Anrufer befindet sich jetzt in der "Warteschleife". Über eine Tastatur ruft der Moderator nach Bedarf eine der angezeigten Leitungen auf - und schon ist der Anrufer "auf Sendung".
Ist die Warteschleife bereits voll, wird der Rückruf angekündigt. Der Anrufer wartet dann mehr oder weniger aufgeregt hoffnungsfroh auf das Klingeln des Telefons, manchmal bis kurz vor Ende der Sendung - oder vergebens. Hat eben (wieder) nicht geklappt.
Die 500. Sendung des Tagesgesprächs
In den ersten zwei Jahren erreichte ich bald 50 Zuschaltungen. Das war der Redaktion Anlaß genug mich einzuladen, um die 500. Sendung des Tagesgesprächs am 6. November 1997 im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks zu feiern. Hier lernte ich die Damen und Herren der Redaktion persönlich kennen, mit denen ich bisher nur telefonischen Kontakt hatte, auch Gäste der Sendungen, an die ich mich gut erinnern konnte. Beim letzten Programmpunkt, Tanz mit Discjockey Achim Bogdahn, einem der Moderatoren der Sendung, konnte ich manche Damen der Redaktion "in den Arm nehmen".
Vermehrung und Festigung von Wissen
Der Wert des Tagesgesprächs lag und liegt u. a. weiterhin in der Aktualität bei der Themenwahl. So wurde manches Mal sogar das vorgesehene Thema aus wichtigem Grund kurzfristig durch ein anderes, noch aktuelleres ersetzt. Für mich als vielseitig Interessierten gab es eigentlich immer etwas neues zu erfahren, was ich noch nicht wußte. Außerdem wurde und werde ich beim Zuhören veranlaßt, mich mit den Meinungen der Beteiligten zu befassen, was teils zu neuen Erkenntnissen, teils zur Festigung meiner eigenen Meinung führt. Die sich in der Moderation abwechselnden Damen und Herren sind inzwischen sehr versiert, Anrufer und Experten zielgerichtet zu beeinflussen. Da gilt es oft, Schwätzer und Wiederholungstäter (sie sagen dreimal dasselbe) auf der Anruferseite zu bremsen und den Experten die richtigen Informationen zu entlocken. Erstaunlich auch ihre Fähigkeit, die Aussagen der Gesprächspartner, für mich manchmal völlig unverständlich, zusammenfassend „auf den Punkt zu bringen.
Die deutsche Sprache
Das jahrelange Zuhören erhöhte allerdings auch meine Empfindlichkeit für sprachliche "Eigenheiten" der Beteiligten. Bei Anrufern gibt es kaum eine Möglichkeit, deren Sprachschlampereien zu verhindern. Sie lernen sie auch von den Prominenten und Moderatoren bei Funk und Fernsehen. Meine aktive Teilnahme beschränkte sich daher nicht auf die Wortmeldungen. Ich versuchte bei der Redaktion des Tagesgesprächs für klares und gutes Deutsch zu werben. Meine Hinweise auf Sprachschnitzer richteten sich auch an Studiogäste und Experten. Dabei nutzte ich die ausführlichen Darlegungen auf meiner Website zum Thema "deutsche Sprache". Manche dankten und versprachen Besserung, andere schwiegen. Dieses Verhalten kannte ich von den Redaktionen der Druckmedien. Höfliche und sachlich begründete Hinweise werden meistens als persönliche Kränkungen aufgefaßt.
Das Protokoll
Der Aktualität der Sendungen widersprach die namentliche Vorstellung der Studiogäste, meistens Prominente aus Politik und Wirtschaft sowie Fachleute aus der Wissenschaft. In mehreren Schreiben wies ich die Redaktion auf die Rechtsprechung des BGHs hin, wonach seit 1962 akademische Grade kein Bestandteil des Namens sind. Erst nach und nach trennten sich einige Moderatorinnen und Moderatoren von der ständigen Bedokterung der Promovierten. Jetzt ganz es nur noch einer trotz höflicher Briefe nicht mehr lassen.
Noch wichtiger scheint mir jedoch die noch immer allgemein verbreitete Angewohnheit, bei der Erwähnung des Doktorgrades das Fachgebiet der Dissertation zu verschweigen. Die Redaktion des Tagesgesprächs war nicht davon zu überzeugen, jeweils den vollständigen Grad, also mit der Fakultät anzugeben. Wie soll der Zuhörer beurteilen können, ob und daß der geladene Experte seiner akademischen Ausbildung gemäß tatsächlich als Experte zu gelten hat. Sicher kann anderes Fachwissen auch unabhängig von einem Studium erlangt werden. Aber auch das wäre anzugeben. Analoges gilt für den Professorentitel. Daß akademische Grade und Titel auf unreelle Weise erworben werden können, sei erwähnt. Resonanzen
Schweigen und Antworten erlebte ich auch bei den Damen und Herren des Tagesgesprächs. Mit Klaus Kastan, dem Leiter Bayern2Radio, hatte ich mehrere erfreuliche Briefwechsel.
Die Kurve der Zuschalthäufigkeit
führte in den vergangenen drei Jahren langsam aber stetig nach unten. Nicht jeder meiner Anrufe war schon in der ersten Jahren erfolgreich gewesen. Die Zahl der Anrufer stieg von Jahr zu Jahr und mit der Ausdehnung über das Fernsehen sank zwangsläufig die Wahrscheinlichkeit der Berücksichtigung. Aber seit einem Jahr etwa wurden meine Anrufe zwar höflich entgegengenommen; doch es folgte kein Rückruf, geschweige eine sofortige Weiterleitung in die Warteschleife. Das kann kein Zufall sein. Ich erlebe es ständig, daß Anrufer aus den früheren Jahren nach wie vor zugeschaltet werden, manche sogar zweimal innerhalb einer Woche. Ich habe mehr als zehnmal vergeblich Informationen angeboten. Das Ausbleiben eines Rückrufes erinnert mich immer wieder an die Anfänge der Sendung, als die Redaktion froh war, wenn ich angerufen hatte.
Themen der Sendungen
Zuschriften (Hörerbriefe) und Antworten
Gedicht zum Jahreswechsel 2000/2001
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