„Die semantischen Purzelbäume des Duden
Krieger hat mit Bezug auf die Rechtschreibreform und die von ihr ausgelösten Debatten und Gerichtsurteile die Frage erörtert, ob zum Besitzstand der Sprache auch die „Verschriftungsform gehört. Unter Hinweis auf das Zusammenschreiben von „wiedersehen hebt er hervor, wie wichtig die zur Zeit Goethes und Schiller noch unbekannte Schreibweise ist, um als Ergebnis sprachlichen Bedürfnisses zwischen unterschiedlichen Sachverhalten zu unterscheiden. Krieger bedauert, daß durch die Rechtschreibreform der inzwischen erreichte „Nuancierungsgewinn fahrlässig rückgängig gemacht wird. Die Preisgabe des Differenzierungsfortschrittes bedeute einen Kulturverlust. Die Klage über die verordnete Zusammenschreibung ist nicht neu. Die durch sie verursachten Mißverständnisse sind jedoch Lappalien gegenüber den seit vielen Jahren üblichen schreibungsunabhängigen Ausdrucksschlampereien beim Schreiben und Sprechen. Sprachbetroffene (Institute, Germanisten, Lehrer) nehmen sie ohne Murren hin, Sprachexperten beteiligen sich daran. Auch der Duden, allgemein als Nachfrageinstanz in Sachen Sprache angerufen und erst kürzlich von Prof. Ickler kritisiert (SZ vom 5. Aug. 1998), weil er sich mit der als falsch erkannten Zahl der geänderten Schreibregeln am Täuschungsmanöver der Kultusminister beteiligt, unterstützt sogar wider besseres Wissen das sprachliche Verschleiern von Sachverhalten, das wesentlich mehr Mißverständnisse verursacht als die Nuancierungsmöglichkeit bspw. zwischen „wiedersehen und „wieder sehen ausgleichen kann. Dabei schlägt er semantische Purzelbäume, um den auftragsgemäß registrierten sprachlichen Un- und Widersinn zu rechtfertigen.
So erläutert der Duden die oft gebrauchten Wörter mehrmals und mehrfach trotz ihrer völlig verschiedenen Bedeutung mit entsprechender Konsequenz für jedes Handeln und Erdulden, insb. in den Bereichen Technik, Medizin und Recht, als gleichbedeutend, und zwar mit widersinnigen Argumenten. Vom Duden wird ignoriert, daß mehrfache Ereignisse und Handlungen gleichzeitig stattfinden, mehrmalige dagegen nacheinander.
Beim Danken, um ein weiteres Beispiel zu nennen, bestätigt der Duden die volksmundliche Redewendung sich bedanken, indem er sie mit den Verben danken und sogar (jemanden) bedanken gleichsetzt. Analog bestände auch kein Unterschied, ob der Arzt sich oder einen Patienten behandelt. In keiner anderen Sprache als der deutschen sagt man also beim Danken das Gegenteil von dem, was man meint. Würde der Sich-Bedanker „sich behämmern würde er sofort merken, daß der Schlag den eigenen Kopf trifft.
Auch das Suffix fähig wurde im Duden außer für den ursprünglich alleinigen aktivischen Gebrauch (fähig zu tun) nun auch für den passivischen Gebrauch freigegeben, wobei fähig ausdrücken soll, daß etwas für etwas geeignet ist, daß etwas getan werden kann oder darf. Seine Begründung dafür:
Es stände kein anderes Suffix mit vergleichbarer Funktion zur Verfügung.
Es gibt jedoch eine Reihe von Adjektiven, die sich genauso wie fähig als Suffix verwenden lassen und die den Sachverhalt genauer treffen, z. B.
geeignet, tauglich, würdig, trächtig, pflichtig, bedürftig,
die also die von Krüger hochgehaltene Differenzierung ermöglichen. Verwundert es dann, wenn in der Umgangssprache weitere Anwendungsgebiete für das „nuancen-vernichtende fähig erschlossen werden? Nachdem bereits Konstruktionen wie
notstromfähig, medikamentenfähig, zukunftsfähig, bombenfähig, eurofähig
auf dem Sprachmarkt gehandelt werden, wird die deutsche Sprache ständig bereicherungsfähiger, z. B. mit küchenfähigen Hausfrauen und kinderfähigem Spielzeug.
Meinen an die Dudenredaktion gerichteten kritischen Hinweis auf ihre sinnwidrigen Erläuterungen beantwortete die Sprachberatungsstelle mit dem Eingeständnis:
"Entsprechend den Belegen in der Sprachkartei werden die Wörter mehrmals und mehrfach aus Unwissen, Ungenauigkeit oder Unverständnis für austauschbar, für synonym gehalten. Bei der Wahl zwischen dem Sprachgebrauch und dem Erfordernis, semantische Unterschiede hervorzuheben, die von den Sprechern kaum noch wahrgenommen werden, entscheidet sich der Lexigraph für den Sprachgebrauch. Er registriert dabei manche Bildung (z. B. sich bedanken), die er selbst vielleicht überflüssig findet, die aber dennoch lebendig ist, Teil des deutschen Wortschatzes ist und Eingang in ein Wörterbuch finden muß. Wir hoffen, daß Sie nun verstehen, warum manche Wörterbuchartikel widersprüchlich, ungenau oder "umgangssprachlich" formuliert scheinen mögen. In Wirklichkeit geben sie nämlich genau und konsequent einen Sprachzustand wieder, den als "verfallend" (!) zu kritisieren nicht unsere primäre Aufgabe ist."
Die Sprachberatungskompetenz des Dudenverlages basiert also auf dem statistischen Auswerten der Umgangssprache einschließlich des Unsinns, der sich in ihr ausbreitet. Wer klärt nun den Bürger auf, wenn seine Sprachschöpfungen (z. B.
die neue Modefloskel von etwas ausgehen statt
annehmen, erwarten, erhoffen, glauben, vermuten, voraussetzen, schätzen, betragen, unterstellen, voraussagen usw.)
die Ausdruckskraft der Sprache verringern oder gar unsinnig sind? Wer sorgt für eine klare Sprache in den Schulen, etwa die Kultusministerien? Im Bayerischen Finanzministerium kennt man nicht einmal den Unterschied zwischen den Formulierungen
(eine Erhöhung) um das Zweifache und auf das Zweifache
mit gravierenden Folgen für das Rechenergebnis. Je nachdem, welcher Wert richtig ist, der Unterschied zum anderen, d. h. der Fehler betragt im vorliegenden Fall 65 Mill. DM, was kaum mehr als „Nuance bezeichnet werden kann. Auch Wörterbuchverlage, Sprachinstitutionen und Sprachexperten halten sich offenbar nicht für zuständig, solange geregelt ist, wie daß geschrieben wird.
Ulrich Werner- am 6.12.2008
Im Dezember 2008 gilt noch jedes Wort des Leserbriefes. Die Rechenkünste im Finanzministerium erklären teilweise die Finanzpleite der Bayerischen Landesbank.
Links zur Sprache:
Offener Brief an den Dudenverlag
Die Favoriten der Sprachverhunzung
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