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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Drosdowski an Ickler
 

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„In der Rechtschreibkommission und in den Arbeitsgruppen herrschten mafiaähnliche Zustände“
 Brief des Leiters der Dudenredaktion an Theodor Ickler am 10. Nov. 1996

 

Vorbemerkng von Theodor Ickler: 
 
Ein Jahr nach dem Tode des früheren Dudenchefs Günther Drosdowski scheint mir die Zeit gekommen, seinen handschriftlichen Brief an mich der Öffentlichkeit in voller Länge zugänglich zu machen. Es handelt sich meiner Ansicht nach um ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument, das für ein volles Verständnis der Rechtschreibreform unentbehrlich ist. Die Abschrift ist buchstabengetreu und vollständig.
Theodor Ickler, 12. März 2002

                                                                                           Mannheim, 10. November 1996
Lieber Herr Ickler,

entschuldigen Sie bitte, daß ich erst heute dazu komme, Ihnen zu schreiben und mich für Ihre Post zu bedanken, aber mein 70. Geburtstag zwang mich, aus Mannheim zu flüchten.

Auf Zypern, der Insel der Aphrodite, hatte ich mich verkrochen, um Altersplissierungen zu mildern und meinen Gram über die Rechtschreibreform und das Gerangel um den neuen Duden zu vergessen. Ich bin zwar nicht schön wie Aphrodite dem Meer entstiegen, aber immerhin gut erholt und mit mehr Abstand zu den Dingen nach Mannheim zurückgekehrt.

Über die unselige Rechtschreibreform noch Worte zu verlieren lohnt sich aus meiner Sicht fast nicht, peinlich auch, daß die Schriftsteller jetzt erst aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht sind. Mir erlegten Anweisungen der Kultusministerien und die Verlagsräson auf, daß ich die Reform mit trage, aber es ist nicht meine Reform. Ich habe mich mit meinen Vorstellungen von einer vernünftigen Neuregelung nicht durchsetzen können, bin immer überstimmt worden – in der Rechtschreibkommission und in den Arbeitsgruppen herrschten mafiaähnliche Zustände. Einige Reformer hatten von der Verschriftung der Sprache und der Funktion der Rechtschreibung für die Sprachgemeinschaft keine Ahnung, von der Grammatik, ohne die es bei Regelungen der Orthographie nun einmal nicht geht, sowieso nicht. Sie mißbrauchten die Reform schamlos, um sich Ansehen im Fach und in der Öffentlichkeit zu verschaffen, Eitelkeiten zu befriedigen und mit orthographischen Publikationen Geld zu verdienen. Selten habe ich erlebt, daß Menschen sich so ungeniert ausziehen und ihre fachlichen und charakterlichen Defizite zur Schau stellen. Es ist schon ein Trauerspiel, daß die Sprachgemeinschaft jetzt ausbaden muß, was sich Zabel, Schaeder, Heller und andere ausgedacht haben.

Ich selbst habe natürlich auch den Duden mit der Bertelsmann-Rechtschreibung verglichen und stimme mit Ihnen weitestgehend überein. Auch wenn ich die "Duden-Brille" abnehme, bin ich fest davon überzeugt, daß die Dudenredaktion die Neuregelung besser umgesetzt hat. Daß sie nicht alles optimal gelöst hat, daran gibt es keinen Zweifel, liegt aber auch daran, daß einige Regelungen unglücklich oder sogar idiotisch sind. In der letzten Sitzung des Wissenschaftlichen Rates der Dudenredaktion habe ich veranlaßt, daß alle Vergleiche und Besprechungen kritisch ausgewertet und Verbesserungsmöglichkeiten bedacht werden. Wie Änderungen dann eingebracht werden, steht allerdings offen, schon jetzt bestürmen einige Reformer die Dudenredaktion, bloß keine Korrekturen vorzunehmen, sondern abzuwarten, was die internationale Kommission vom nächsten Jahr an tut.

Von dieser Kommission stehen uns ja sicherlich auch noch Burlesken ins Haus, ein Rüpelstück schon allein die Besetzung: Diejenigen, die ihre Spielwiese erhalten wollen, schließen diejenigen, die etwas von der Sache verstehen und Kritik üben, aus, und Kultusministerien drängen auf Quotenregelung! Wundert es Sie da, daß ich des Treibens müde bin?

Herzlich grüßt Sie
Ihr Günther Drosdowski

© 2000-2005 Verein für Sprachpflege e. V.

 



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