Wien Unverständlich ist die Äußerung in der „Deutschen Stilkunst, die Zeit, da es für gebildet galt zu fremdwörteln, sei in der besten Gesellschaft vorbei und werde auch niemals wiederkehren. Gerade zu seiner Zeit wurde in der Oberschicht das Französische, auch bereits das Englische bevorzugt. Möglicherweise galten Engel nur die vergleichsweise sehr wenigen Fremdwortvermeider in hohen Stellungen als beste Gesellschaft:
„Das gehäufte überflüssige Fremdwort muß zum unfehlbaren Merkmal des Pöbels werden,muß für so gemein gelten wie unsaubere Kleider oder Zähne / Leipzig 1911
Viertes Buch Die Fremdwörterei ......
Zweites Kapitel Zur Geschichte der Fremdwörter
Das erste [Fremdwörterbuch] wurde Deutschland schon 1571 beschert: die humanistische Überschwemmung mit Latein hatte es für solche Leser nötig gemacht, die nicht so lateinkundig waren wie Müller, Schulzen, Schmiede, Becker, Schneider, die sich der anständigen deutschen Namen ihrer Eltern schämten und sich in Mylius, Scultetus, Faber oder Fabricius, Pistorius, Sartorius umbenamst hatten. Es war ein mäßig dickes Buch, 15 Bogen stark, doch sorgte die ´Fremdgierigkeit´ für das immer stärkere Anschwellen, und heute sind wir so weit, daß die letzte Auflage des Heyseschen Fremdwörterbuches auf mehr als 100 000 wirklich gebrauchte Ausdrücke aus mehr als einem Dutzend Sprachen gebracht hat. [Seite 152]
Aus dem griechischen Kyriaké wurde mit der Zeit Kirche, aus coróna Krone, aus pérsicum Pfirsich, aus monastérium Münster, aus présbyter Priester, aus archiatrós Arzt, aus praepósitus Propst, aus epíscopus Bischof, aus diábolus Teufel, aus paraverédus Pferd. Lehnwörter heißen diese durch gewaltsame Umbildung völlig eingebürgerten Fremdlinge, denen von den bekanntesten noch hinzugefügt seien: Kaiser, Prinz, Kreuz, Zirkel, Bezirk, Tisch […], Markt, Kerker, Zoll, Straße, Meile, Kelter, Keller, Kiste, Trichter, Teller, Mauer, Pforte, Pfosten, Pfeiler, Pulver, Speicher, Koch, Schüssel, Lampe, Kanzel, Schule, Orgel, Abt, Mönch, Nonne, Papst, Voigt, Essig, Öl, Münze, Meister und alle älteren Zusammensetzungen mit der Vorsilbe erz: in allem über 200 ausgezeichnete altdeutsche Lehnwörter aus dem Griechischen und Lateinischen. Mit den späteren Ableitungen sind es jetzt zusammen ungefähr 1200. [Seite 152]
Der Streik wurde von den Arbeitern geschaffen nach der älteren, schlechteren Stricke. Rest, Rasse, Miene, Mode, Koffer, Kasse, Bresche, Pöbel, Gruppe, Truppe, Park, Frack, Sport, Huppe, Titel: lauter gute Lehnwörter, die alle sich den deutschen Lautgesetzen fügen und als ebenso deutsch empfunden werden wie die echtdeutschen Wurzelwörter. Schwindler, aus dem Englischen, ist erst ungefähr hundert Jahre alt; Scheck beginnt sich einzudeutschen, was durch deutsche Rechtschreibung zu beschleunigen ist; Soße könnte unbedenklich zum Lehnwort werden und die von Stephan vorgeschlagene Salße entbehrlich machen. [Seite 153]
Der Vorschlag, ähnlich wie die Altdeutschen mit kühner Schonungslosigkeit solche Fremdwörter wie Elektrizität, elektrisch, Paragraph, Lokomotive, Telegraph, telegraphieren in die Lehnwörter: Elze, elzisch, Parf, Tiwe, Telf, telen zu wandeln, war gutgemeint, aber in unsrer so sehr sprachgelehrten und sprachverbildeten Zeit undurchführbar. [Seite 153]
Im 13. Jahrhundert empfahl Thomasin der Zirkläre gradezu die ´Streifelung´ des Deutschen mit welschen Wörtern. In der höfischen Versdichtung vermied man die kernhaften deutschen Heldenwörter wie Recke und Degen und ersetzte sie durch die angeblich vornehmeren französischen Ausdrücke. Indessen jene ganze Dichtung war Literatur einer herrschenden, zum Teil einer gelehrten Kaste, ´Literatenliteratur´, und kein Spiegelbild der wirklichen Volks- oder nur der gebildeten Verkehrssprache. Im Gegenteil, schon in den ältesten Zeiten unsrer Literatur rührte sich die Verspottung der französelnden Fremdwörterei: Tannhäuser der Minnesänger dichtete Lieder mit absichtlich spottender Häufung von Fremdbrocken, und in der ältesten deutschen Dorfgeschichte, dem Meier Helmbrecht, wurde die mit fremdsprachlichen Wörtern durchsetzte Rede des heimkehrenden Taugenichts von Bauernsohn dem Hohne preisgegeben. Bis zur Humanisterei blieb unsere Literatur in Vers und Prosa ziemlich sprachrein. Man prüfe z. B. das alte Gesetzbuch Sachsenspiegel auf seine Sprachform: kaum ein Dutzend überflüssiger Fremdwörter stehen darin. Vollends Luthers Prosa ist von einer Reinheit, die bei der Fülle der von ihm behandelten großen Gegenstände unser freudiges Staunen erregt. Nach ihm allerdings begann die Fremdwörterseuche unser freudiges Staunen erregt. Nach ihm allerdings begann die Fremdwörterseuche fast uneingeschränkt zu wüten, bis sie um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert eine Höhe erreichte, auf der die Gefahr einer völligen Verfranzöselung Deutschlands, wenigstens seiner herrschenden Kasten, naherückte.
Rümelin, einer der gebildeten Verteidiger der Fremdwörterei, meinte: Es handelt sich um eine geschichtliche Entwickelung unserer Sprache, die unabhängig als solche zu begreifen und zu begründen ist, die keines Menschen und keines Vereins Willkür wieder rückgängig machen wird. [Seite 154]
Ursprünglische Nachricht
Schön, daß man neben der Hochsprache endlich die Mundart fördern will. Es wäre aber ganz schön, wenn auch mal die Hochsprache in den Schulen etwas gepflegt würde, damit der Nachwuchs später mal imstande ist, die Hauptwerke der Literatur - wenn schon nicht inhaltlich so doch zumindest sprachlich - zu verstehen. Dazu eine Anmerkung des deutsch-jüdischen Sprachpflegers Eduard Engel (1931):
Nur ein Volk auf Erden hat zwei Sprachen: das Deutsche. Es spricht Deutsch und Welsch, geläufiger und reiner das Welsch. Das Welsch wird sogar mit der Zeit immer reiner: die Deutschen Fremdwörter werden von den puristischen Welschern mehr und mehr ausgemerzt. Leider werde ich nicht erleben, wie sich das Volk, das reines Welsch spricht, dereinst nennen wird. Sich Deutsche zu nennen, wäre ebenso stillos wie unverschämt.
MfG Ihr Michael Reinhard Komarek
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