Abschrift Telefonat vom 3.6.1983 (wörtlich mitstenografiert)
In der Rolle von Mitarbeitern des Bundeskanzleramtes beginnen „Dr. Fricke und seine vorgeschaltete Sekretärin „Frau von Mönter an einem Freitag, dem 3. Juni 1983, eine wundersame telefonische Expedition in diesem unseren Land. Erste Station ist Heidelberg, Rektorat der Universität.
Rektorat Universität Heidelberg: Ja, bitte?
von Mönter: Bundeskanzlei im Bundeskanzleramt, von Mönter, guten Tag!
Rektorat Uni Heidelberg: Guten Tag!
von Mönter: Herr Dr. Fricke wünscht in dringender Angelegenheit Herrn Prof. Laufs zu sprechen.
Rektorat Uni Heidelberg: Oh, der Rektor ist unterwegs zu einer LRK-Sitzung. Aber ich verbinde Sie mit dem persönlichen Referenten des Rektors, der Rektor ist nicht zu erreichen heute ...
von Mönter: Ja, das ist nett von Ihnen.
Rektorat Uni Heidelberg: Herr Prof. Fricke möchte ...
von Münter: Herr Dr. Fricke...
Rektorat Uni Heidelberg: ...Herr Dr. Fricke, in einer dringenden Angelegenheit? ...
von Mönter: Ja, in einer dringenden Angelegenheit.
Rektorat Uni Heidelberg: Moment bitte .... - Vermittlung
S.: Ja, hallo ...
Dr. Fricke: Fricke, Bundeskanzleramt, guten Tag!
S.: S., Rektorat, guten Tag Herr Dr. Fricke, ich bin der Referent von Herrn Prof. Laufs, Herr Prof. Laufs ist leider nicht da, der ist auf einer Fahrt zur Landesrektorenkonferenz nach Konstanz.
Dr. Fricke: Ah ja..., Herr S., ich wende mich an Sie in einer sehr delikaten Angelegenheit, in der ich Sie aus diesem Grunde um ein äußerstes Maß an Vertraulichkeit bitten möchte. Der Herr Staatssekretär hat mich gebeten, in dieser Sache eigentlich mit Herrn Prof. Laufs in Kontakt zu treten bezüglich folgender Angelegenheit ...
S.: Ja?!
Dr. Fricke: An der Historischen Fakultät befindet sich die Dissertation des Herrn Bundeskanzlers zum Thema „Die politische Entwicklung in der Pfalz und das Wiedererstehen der Parteien nach 1945. Nun liegen unserem Amt seit gestern gesicherte Erkenntnisse darüber vor, daß von seiten linksextremistischer studentischer Kreise der gezielte und wohl auch breitangelegte Versuch unternommen werden soll, anhand der Dissertation des Herrn Bundeskanzlers und weiterer Kabinettsmitglieder die Bildungspolitik der Bundesregierung publizistisch zu diffamieren. Ich brauche mich da wohl nicht im Detail verlieren ...
S.: Eben!
(S., als Referent nicht richtig Elite, aber immerhin fast, hat schon verstanden - der Mann hat Zukunft, wie sieht's mal mit Beförderung aus -):
S.: Und was möchten Sie jetzt, daß wir sie also nicht herausgeben?!
(Stimmt messerscharf! Soeben zum ehrenamtlichen Kanzlerhelfer aufgewertet kann Referent S. nun endlich - Chance seines Lebens? - all das wertvolle Wissen aus Spionage- und sonstigen Thrillern einsetzen, als hätte er nie etwas anderes getan.)
S.: Aja, das können wir machen, also da, ich muß dann in Erfahrung bringen, wo die - äh - bei - den sich befinden, in welchen Institutionen.
Dr. Fricke: Also, die Arbeit müßte in der Historischen Fakultät stehen ...
S.: Ja?
Dr. Fricke: ... und das Datum der Dissertation ist 1959.
S.: 1959! Ja, aber die wird wahrscheinlich gleichzeitig noch in der UB sein, in unserer Universitätsbibliothek auch noch ...
Dr. Fricke: Da wären wir Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie mit beiden Stellen ...
S.: Jaja, das machen wir, das machen wir gerne! Ja, wenn das mal nicht schon zu spät ist, nich!
Knapp vier Stunden später: Wer zwecks Beschmutzung der Kanzlerehre oder aus einem anderen - dann aber sicherlich schwer erklärlichen - Interesse in der historischen Teilbibliothek der Uni Heidelberg Kohls wissenschaftliche Aufbereitung der „Politischen Entwicklung in der Pfalz einsehen will, sieht sich bitter enttäuscht. War es der allgegenwärtige Bücherklau, der für die „erschreckenden Fehlbestände verantwortlich ist, von denen ein Aushang als Ergebnis einer Revision des Bestandes spricht, oder hat vielleicht irgendein Geisteskranker sich die Kohl-Devotionalie unter den Nagel gerissen?
Nein, diesmal geht's mit rechten Dingen zu im Historischen Seminar, dem Prof. Dr. Eicke Wolgast vorsteht. Dieser wackere Mann mit dem hübschen Doppeltitel, der der Meinung ist, „daß es in einer Situation, in der die hochschulpolitische, vor allem die Sicherung von Lehre und Forschung betreffende Lage der Universität ständig schwieriger wird, erfahrener Fachleute bedarf, die gewohnt und willens sind, Verantwortung zu übernehmen und wohlüberlegt zu handeln und damit sich selbst als den empfehlenswerten Kandidaten bei der Senatswahl anpreist, dieser Prof. Dr. hat, sagen wir es so, ausgefallene Neigungen. Er ist Kohlleser, ja Kohlgenießer! Und gerade hat er, so steht handschriftlich auf einem kleinen Zettelchen, den Kohl „3.6.: Entnommen, und weil der wirkliche Kenner nicht nur überfliegt, sondern sich seinem Lieblingsautor Wort für Wort und immer wieder im Lesegenuß hingeben muß, „kann das schmale Bändchen „bis auf weiteres nicht entliehen werden. Prof. Wolgast.
So blöd ist keiner? Da steckt doch nur dieser S.dahinter? Welch ungeheuerliche Unterstellung!
„Ganz anders stellt der Referent des Rektors die Geschichte dar. Er habe nichts zugesagt, denn dazu sei er auch gar nicht befugt, betont er. Aber der Universitätsbibliothek habe er Mitteilung gemacht und dort erfahren, alle Exemplare der Dissertation seien verliehen. Ohnehin sei das Verlangen abwegig gewesen, denn die Dissertation sei in der gesamten Bundesrepublik erhältlich. ‚Selbst, wenn wir gewollt hätten, wir hätten nichts machen können.
Rhein-Neckar-Zeitung, 29.6.1983
Gegen Abend desselben Tages ruft Dr. Fricke in vertraulicher Mission bei Prof. Wolgast an. Elite unter sich, da ist der Tonfall jovial.
Dr. Fricke: Fricke, Bundeskanzlei im Bundeskanzleramt. Guten Abend, Herr Prof. Wolgast!
Wolgast: Guten Abend, Herr Fricke!
Dr. Fricke: Ich wollte mich bei Ihnen - auch im Namen des Herrn Staatsekretärs - für Ihre schnelle und unbürokratische Mithilfe bedanken!
Wolgast: Oh, vielen Dank, das ist gerne geschen!
Dr. Fricke: Ich nehme an, Herr S. hat Sie bereits darauf hingewiesen, daß diese Angelegenheit äußerst delikat und deshalb streng vertraulich zu behandeln ist.
Wolgast: Ja, ich weiß, selbstverständlich. Ich sehe allerdings das Problem, die Arbeit langfristig zu entleihen.
(Denn eigentlich müssen Dissertationen jederzeit zur Einsicht ausliegen. Aber zu jedem „Eigentlich gibt es bekanntlich auch ein „Aber. In unserem Falle allerdings kommt es nicht soweit.)
Dr. Fricke: Das ist auch nicht nötig. Uns wäre vollauf damit gedient, wenn Sie die Arbeit bis zum 15. Juni unter Verschluß halten könnten.
Wolgast: Ich kann also zu diesem Zeitpunkt die Arbeit wieder zurückstellen?! Oder ist eine Rücksprache mit Ihnen in dieser Sache dann erforderlich?
(Auf eine Rücksprache, das ist verständlich, möchte „Dr. Fricke gerne verzichten. Nicht aber auf eine charmante Geste aus höchstem Hause.)
Dr. Fricke: Nein, eine Rücksprache ist nicht erforderlich. Ich werde mich allerdings, in Rücksprache mit dem Herrn Staatssekretär, darum bemühen, daß wir uns im Rahmen unserer Parteiorganisation für Ihre Mithilfe in der Angelegenheit erkenntlich zeigen. Sie werden dann zu gegebener Zeit von uns hören.
Wolgast: Ach so, jaja, gerne geschehen.
"Daß alles erstunken und erlogen sei, meint Professor Wolgast vom Historischen Seminar, könne man nicht sagen. Er sei in der Tat gebeten worden, die Arbeit Kohls für einige Tage nicht auszuleihen, weil sie für eine Diffamierungskampagne benutzt werden solle. Er habe sie dann herausgenommen, um selbst einmal zu sehen, was eigentlich drinstehe."
Stuttgarter Zeitung, 29.7.83
(Bemerken wir den Klassenunterschied? S. wirkt eher pappnasig und grob, wenn er plump leugnet. Ein Amateur gegen einen solchen Feingeist wie Wolgast, der - und hier beweist er Eignung zu höheren Ämtern - Fakten nur verdreht.
Tags darauf, am Samstag dem 4. Juni 1983, versüßt Frau von Mönter unserem Referenten S. das Wochenende mit einer hocherfreulichen Nachricht.)
von Mönter: Bundeskanzlei im Bundeskanzleramt, von Mönter. Guten Tag, Herr S.!
S.: Guten Tag!
von Mönter: Herr Dr. Fricke - er selbst ist leider durch eine Sitzung verhindert - hat mich beauftragt, Ihnen für die schnelle und unbürokratische Mithilfe in der Sache Dissertation des Herrn Bundeskanzlers zu danken. Bei Herrn Prof. Wolgast ist dies bereits geschehen.
(Überrascht, doch geschmeichelt, stammelt der findige Referent clcn Lagebericht:)
S.: Richtig! Also, so hab ich's gemacht, nich, und ich habe mich denn gleich an die höchste Instanz gewandt.
von Mönter: Absolute Diskretion ist im Falle von Herrn Prof. Wolgast gesichert?...
S.: Also, da können Sie ganz sicher sein
von Mönter: Ja?!
S.: Ich habe, er ist der Leiter des Philo ... äh, des Historischen Seminars, und dann hab' ich noch mit dem Leiter des, äh, äh, äh, Politischen Seminars, Herrn Prof. Arndt, aber da lag die Arbeit gar nicht vor, also insofern, und ich hab dann auch nicht gesagt, worum es sich handelt, ich habe nur darum gebeten, ich hab nicht viel Erklärungen gemacht ...
von Mönter: Mmmmh ...
(Hat er das nicht brav gemacht, unser S.? Und natürlich mit der erforderlichen deutschen Gründlichkeit.)
S.: Und das gleiche bei der Universitätsbibliothek, da ist die Arbeit also auch erstmal, also zurück ..., äh, oder eingezogen worden, und denn so bis zum 15. Juni, worum mich Dr. Fricke gebeten hat.
von Mönter: Ja? ...
S.: Freilich sagte mir die Sekretärin des Bibliotheksdirektors Dr. Mittler, die war nicht, äh, er selbst war nicht da, das ist eine Frau, mit der ich gesprochen habe ..., die sagte also, das ist der absolute Renner zur Zeit in der Universitätsbibliothek...
von Mönter: Ja?
S.: ...die würde jeden Tag verlangt, die Arbeit.
von Mönter: Aha, aha, aha!
S.: Nich, wenn das mal nicht schon zu spät war, kann ich nur sagen.
(Jetzt ist der „Kohl in allen Exemplaren endlich in der Versenkung verschwunden, liebevoll beschützt vor den höchstwahrscheinlich aus dem Osten gesteuerten Durch-den-Schmutz-Ziehern. Und da man Unkraut immer mit der Wurzel ausrotten soll, greift das „Bundeskanzleramt ein letztes Mal zum Hörer, um den unbürokratischen Verwaltungshengst S. erneut zum ehrenvollen Dienst an diesem unseren Vaterlande anzustiften.
von Mönter: Ja, wir haben in diesem Zusammenhang, hat Herr Dr. Fricke noch eine, sagen wir mal, kleine Bitte an Sie, und zwar: Wäre es möglich, daß die Bestellungen, die in den kommenden Tagen in der Bibliothek eingehen, zu registrieren und an uns weiterzuleiten?
S.: Ja!
von Mönter: Weil wir natürlich interessiert sind, den gewissen Personenkreis, also, den auch festmachen zu können.
S.: Ja! Jaja!
von Mönter: Ich gebe Ihnen mal unsere Adresse.
S.: Ja, das ist, das wird natürlich nicht unproblematisch sein, das geht ja nur, wenn die Leute ihre Karte vorlegen, nich ...
von Mönter: Mmmh?!...
S.: ...sonst kann man ja wohl nicht ihren Namen verlangen, dann erzeugt man ja erst Recht Verdacht, nich? ! ...
von Mönter: Mmmh...
S.: Wenn wir sagen: Wir haben das Buch nicht!, also wenn sie ihre Karte vorlegen...
von Mönter: Ja?!...
S.: ...dann kann man sich den Namen merken und aufschreiben...
von Mönter: Ja, das ist in den Bibliotheken doch so üblich, sich dann auf eine Warteliste setzen zu lassen, nicht wahr?...
„Der Rektor entschied unverzüglich, die Universität werde einer solchen „Bitte auf keinen Fall entsprechen.
Rhein-Neckar-Zeitung, 14.6.1983
(Was immer der Rektor „Unverzüglich entschied - von sonderlicher Tragweite und Durchschlagskraft scheint es nicht gewesen zu sein. Lesen wir doch im „4. Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für den Datenschutz in Baden-Württemberg 1983:
"Wie der Referent darauf wirklich reagierte - ob er etwa, wie in der Presse zu lesen, seine Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Registrierung bekundete - , konnte ich nicht sicher feststellen. Die Antwort der Universität ergab lediglich, daß eine Weitergabe von Daten der Entleiher durch die Verantwortlichen nicht beabsichtigt war. Der - man wird es inzwischen schon bemerkt haben - fiktive Mitarbeiter des Bundeskanzleramts hatte nach dem Rektoratsgespräch sein Spiel aber noch weitergetrieben, und am Ende gelang es ihm, durch einen weiteren Anruf bei einer Bibliotheksangestellten Name und Adresse einer Studentin zu erfragen, die die erwähnte Dissertation gerade ausgeliehen hatte. Diesen Sachverhalt gab die Universität auf meine Anfrage zu ... Die einzelnen Umstände des Falls und insbesondere die gelungene Provokation einer rechtswidrigen Datenweitergabe werfen kein gutes Licht auf die Universitätsverwaltung."
S.:
"Der Rektoratsassistent möchte jetzt, das kann man verstehen, „am besten am Telefon gar nichts mehr sagen.( Im übrigen räumt er ein, könne er „den Gesprächsinhalt nicht bestreiten, auch wenn er meint, einiges habe er nach seiner Erinnerung nicht in dieser Eindeutigkeit gesagt."
Stuttgarter Zeitung, 29.7.83
(Nicht nur eingefleischte Kohlkundler, sondern jeder, der den "Kohl" nun doch ergattern konnte und ihn gar gelesen hat - ganz - , wird bemerkt haben, daß schon unsere Kanzler-Darsteller ungefähr genau pfalzmäßig präzisierte: "Hierbei zeigte sich jedoch, was auch durch die Arbeit in den amtlichen Archiven bestätigt wurde, daß in diesem Jahrzehnt wichtige und interessante Unterlagen, wie Protokolle etc., gewollt oder ungewollt verlorengingen." Und man möchte Pfalz-Forscher Kohl nur beipflichten, wenn er immer das Gute sieht und feststellt: "... hierbei trat die undogmatische pfälzische Mentalität zu Tage.")
geändert am 08.12.2006
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