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Das Dudenprivileg der Lexikographie 
im "Der Raub der Nuancen" von Heike Schmoll, FAZ Nr. 176, S. 3
an FAZ Leserbriefe (04.08.2003)

 

Heike Schnell erläutert und beklagt den Zustand der aktuellen Rechtschreibung fünf Jahre nach Inkrafttreten der Reform. Als Betroffene nennt sie Schulen, Lehrer, Schüler und Eltern. Ferner Autoren und Leser, also fast alle Deutschsprechenden. Über die widersinnigen Regelungen und die Unstimmigkeiten zwischen Wörterbüchern verschiedener Herausgeber ist auch schon viel diskutiert worden. Vor und nach der Reform war besonders eine Institution maßgebend engagiert: die Dudenredaktion. So hatte das Dudenprivileg der Lexikographie, wie Schmoll schreibt, verhindert, was längst hätte geschehen müssen: Es gibt keine Bestandsaufnahme des herrschenden Sprachgebrauchs. Der Duden bestimmt die Norm. Und damit hat er sich nach eigenem Bekunden in einen "goldenen Käfig" gesetzt. Solange ihm das unberechtigt beanspruchte Sprachprivileg bleibt, wird er darin bleiben. 

Der Duden, der sich in ständig herausgestellter Selbsteinschätzung mit Sprüchen wie

"In Sachen deutsche Sprache gilt der Duden als Instanz."

anpreist und für seine Wörterbücher wirbt, erweckt auch in Fragen der Sprachpflege und -aufklärung den Anschein, ebenfalls kompetent zu sein. Doch es ist dokumentiert, nicht die Richtigkeit einer Wortbildung sei maßgebend für den Eintrag in einem Wörterbuch, sondern der Sprachgebrauch. Deshalb seien, so die Dudenauskunft,  "manche Wörterbuchartikel widersprüchlich, ungenau "umgangssprachlich" formuliert". Die Wörterbücher des Duden enthalten somit un- und widersinnige Begriffe, die den in anderen Handbüchern (Grammatik, Richtiges und gutes Deutsch etc.) aufgeführten Darlegungen widersprechen.

Die Passivität des Duden gegenüber den ständig zunehmenden Veränderungen der Sprache durch nichtssagende Floskeln und unklare Wort- und Begriffskonstruktionen sowie durch Anglizismen, fördert die Verhunzung der deutschen Sprache. Für den hierbei erzeugten Sprachmüll (Schwammdeutsch) wurde schon eine Sprachhülsen-Verpackungsverordnung gefordert.

Hier  einige Beispiele: Obwohl der Duden vor ca. 35 Jahren erkannt und dokumentiert hat, daß es zwei Arten von unbestimmten Zahlwörtern gibt, das "Vervielfältigungszahlwort"  mehrfach) und das "Wiederholungszahlwort" (mehrmals), die sich in ihrer Bedeutung wesentlich voneinander unterscheiden, hält der Duden gleichzeitig auch seine immer noch geltende (falsche) Meinung aufrecht, diese beiden Wörter seien Synonyme. Etwa 95 % der Deutschsprechenden wissen daher nicht zwischen zeitgleichen und zeitversetzten Ereignissen sprachlich zu unterscheiden.

Mit der Freigabe des Suffixes "fähig" auch für den passivischen Gebrauch, mit der ihm der Duden den weiteren Sinn geeignet für zubilligte, ermöglichte er dem Sprachvolk überall dort "Fähigkeiten" vorzutäuschen, wo keine sind. Seine Großzügigkeit ergab sich offenbar aus der hauseigenen Regel, wonach die vom Duden geführte sog. Sprachsünderkartei dazu diene, "Hinweise zu liefern, um die grammatikalischen Normen neu zu bestimmen". Er ging sogleich mit in Falschfarben leuchtenden Beispiel voran und empfahl im Bedeutungswörterbuch von 1985 Wortbildungen  wie "ratefähige Bilder und beleidigungsfähige Katzen sowie ersatz-, bündnis-, vorladungs-, mehrheits-, recyclier-, kabarett-, kino-, endlager-, friedens-, lexikon- recyling-, steigerungs-, team-, urlaubs- und weltmarktfähig. Weitere Pseudofähigkeiten wurden von den fähigkeitsfähigen Sprachpanschern im Laufe der Zeit geschaffen wie z. B. regierungsfähig, abzugsfähig, genußfähig, schuldfähig, waffenfähig, versandfähig, medikamentenfähig, eurofähig, BTX-fähig, internetfähig, PC-fähig usw.

Die weltweit einmalige deutsche Selbstbedankung (sich bedanken) setzt er unkommentiert den klassischen Dankesbezeigungen (vielen Dank, ich danke ihnen) gleich, obwohl diese Sprechblase der Regel für reflexive Verben widerspricht.

Die Erläuterungen zum Feststellen von graduellen Unterschieden beim Vergleichen von Eigenschaften sind teils falsch, teils unvollständig. In der Sprachpraxis führen die diesbezüglichen Wortbildungen insb. bei mit einem Faktor multiplizierten komparativischen Gradadverbien (dreimal mehr, zehnmal schneller, fünfmal weniger etc.) zu fehlerhaften Aussagen und Angaben, die im Widerspruch zum Kontext stehen.

Die klagende Frage des damaligen Dudenchefs Drosdowski im Jahre 1988 in seiner Broschüre "Ist die deutsche Sprache noch zu retten" kann nur mit NEIN beantwortet werden, jedenfalls solange der Duden weiterhin nur Wörterzählungen betreibt und sie nicht durch semantische Überlegungen ergänzt und vor allem dabei keine Purzelbäume schlägt.

Ulrich Werner

 



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