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"Sprachverunsicherung in Austria"
 Leserbrief zum Artikel von Michael Frank (SZ vom 2.2.2007) von Horst Ebeling

 

Der Leserbrief wurde am 9.2.2007 auszugsweise veröffentlicht (fett).

„Sprachverunsicherung in Austria“ von Michael Frank – SZ vom 02.02.2007

Michael Frank, dessen tiefgründige Berichte aus Wien und früher Prag ich seit Jahren mit Genuss lese, hat eine treffende Analyse des Verhältnisses der ÖsterreicherInnen zu ihrer Sprache geliefert. Als ursprünglich norddeutschem Sprecher, der seit längerer Zeit in Österreich lebt und gelegentlich auch unterrichtet, seien mir einige Ergänzungen erlaubt.

Wiener Burgtheater und Reinhardt-Seminar sind, was die Ausbildung zu verständlicher, tragender Bühnensprache betrifft, immer noch die erste Wahl. Die Münchner Falckenberg-Schule hat hier sehr nachgelassen.

Das hohe Ansehen des „Schönbrunner Deutsch“ rührt daher, dass es vom österreichischen Hochadel, der im Gegensatz zu Deutschland auch untereinander Dialekt gesprochen hat, mit Dialektausdrücken versetzt worden ist und so für die durchwegs dialektsprechende Bevölkerung einen „heimischen“ Klang hatte  und hat.

Das Österreichische Wörterbuch bemüht sich, den Austriazismen in der deutschen Sprache Geltung zu verschaffen. Meine SchülerInnen dürfen und sollen es neben dem „Duden“ im Unterricht benutzen. Austriazismen muss und kann man lernen, sie sind ein wirksames Mittel gegen steigende Spracharmut. Seit ich weiss, dass das „schöne“ deutsche Wort Kartoffel falsch ist, weil es auf einer Verwechslung mit Trüffel beruht, verwende ich zunehmend den klaren und einleuchtenden Ausdruck Erdapfel.

Kein (Nord-)Deutscher bemängelt, dass er in England oder USA „cauliflower“ bestellen muss, doch wenn in Wien sein geliebter Blumenkohl als Karfiol angeboten wird, mokiert er sich hochnäsig. Gerade bei Speisen und deren Ausgangsprodukten ist zu berücksichtigen, dass die slawischen, madjarischen und italienischen Teile des alten kakanischen Reichs ihre Spuren im österreichischen Deutsch hinterlassen haben. Vor reichsdeutscher Spracharroganz in Österreich mag auch der gelegentliche Blick in einen deutschen Sprachatlas schützen, der Benutzer wird erstaunt sein über die Vielfalt der allein im binnendeutschen Sprachraum für den gleichen Gegenstand gebräuchlichen Wörter. Nur wenige italiengeübte Österreich-Besucher werden feststellen, dass der Karfiol eigentlich „Kalfior“ heissen müsste. Diese völlig willkürliche Konsonanten-Vertauschung ist wohl unter die von Michael Frank angesprochene österreichische Sprachschlampigkeit einzuordnen, ebenso wie die von der herzhaft säuerlich schmeckenden grüngelben Reineclaude abgeleitete österreichische Bezeichnung „Ringlotten“ für die gelben, faden und zuckersüssen Eierpflaumen.

War die Aufnahme der österreichischen Fruchtbezeichnungen wie Marille und Paradeiser in den Sprachkanon der EU noch ein berechtigtes Anliegen, so ist die Aufregung um die „Marmelade“ ein Schuss nach hinten. Der Eigentor-Charakter der durchgesetzten Regelung ist aber - ausser der österreichischen Industrie für Fruchtaufstrich - den wenigsten ÖsterreicherInnen bewusst, denn schon seit Jahrzehnten darf sich nur jener Fruchtaufstrich „Konfitüre“ nennen, der bestimmte höhere Qualitätsanforderungen an Fruchtgehalt, Anteil an ganzen Früchten und Zubereitung – als bei „Marmelade“ - erfüllt. Bezeichnend ist der Streit aber auch für die Brüsseler Regelungswut, denn nach gesundem Menschenverstand muss es doch auch einem österreichischen Produzenten erlaubt sein, seine hochwertige Ware unter einer minderwertigen Bezeichnung auf den Markt zu bringen.

„Maschinsemmeln“ möchte ich akzeptieren, zumal – auch nach „Duden“ – im österreichischen Maschinschreibunterricht maschinschriftliche Briefe  verfasst werden. Auf Sprachfaulheit ist diese Schreibweise sicher nicht zurückzuführen, denn andererseits wird in österreichischen geschriebenen und gesprochenen Texten viel häufiger als in Deutschland im Genitiv Singular ein Fugen-e eingefügt, selbst wenn es von der Konsonantenfolge her nicht angebracht oder gar vorgeschrieben ist. Die zusätzliche Silbe macht den Sprachduktus behäbiger und damit anscheinend für das österreichische Ohr angenehmer. Und beim österreichischen (Fahrrad-) Gepäcksträger ist zwar keine Silbe, aber ein Buchstabe eingefügt.

So wie der schweizerdeutsche (ungewollte) „Unterbruch“ sprachrichtiger ist als die binnendeutsche „Unterbrechung“, sind die „Römer“ Verträge, weil in dieser Stadt besiegelt, korrekter als die „Römischen“, mag dies für deutsche Ohren auch ungewohnt klingen. Von vielen Orten mit deutscher Benennung gibt es zwei adjektivische Ableitungen, die durchaus nebeneinander gebraucht werden können. Wenn der Ortsname gleichzeitig für eine Stadt und für ein Land steht, hat sich ohne feste Regel bei der Ableitung von der Stadt die Endung „-er“, vom Land hingegen „-isch“ eingebürgert. Beispiele wären (kur-)mainzisch, grossherzoglich gothaisch, fürsterzbischöflich salzburgisch oder grosshamburgisch. Bei mir haben folgerichtig die Römischen Verträge immer Assoziationen mit dem Römischen Reich hervorgerufen, vielleicht von den Sprachschöpfern so beabsichtigt.

In einem hat Michael Frank recht: viele vermeintliche Austriazismen sind auf den unglaublich schlampigen Umgang der ÖsterreicherInnen mit ihrer Sprache zurückzuführen. Das fängt bei der Divergenz zwischen Aussprache und Schrift bei den Verschlusslauten an, die ich allerdings bisher als rein oberösterreichisches Problem kennengelernt  habe. Während die mit weicher Aussprache gesegneten Sachsen ihren „Gawwe“ immer Kaffee schreiben und die „Bliemschen“ auf dem Tassenboden niemals als Plümchen zu Papier bringen würden, sind die (Ober-) Österreicher unberechenbar. Meine sehr rechtschreibbewusste oberösterreichische Schwiegermutter hatte mir ihr privates Telefonbuch überlassen, als ich den von ihr im übrigen sehr geschätzten anderen Schwiegersohn Teisenberger anrufen wollte, bin ich gescheitert. Sie hatte ihn kurzerhand unter „Deisenperger“ eingetragen!

Noch schlimmer ist aber die nicht nur umgangssprachliche, sondern auch literarische Verwendung der bedeutungsfalschen präpositionalen Zusammenziehung „am“ anstelle von „auf dem“. Diese Sprachschlamperei ist schlimmer als das norddeutsche umgangssprachliche „auf’m“, denn spätestens auf die Frage „wohin“ antwortet der Norddeutsche „auf den“ Hügel, während der Österreicher konsequent falsch „am“ Untersberg geht.

Grund für diese Sprachschlampereien ist des Österreichers Vorliebe für das Ungefähre. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob es Voraussetzung für die so oft beschworene „österreichische Gemütlichkeit“ ist, auf alle Fälle hat das „Ungefähre“ in Österreich Kultstatus, enthebt es die ÖsterreicherInnen doch des Zwangs, sich genau festzulegen. Wer will schon präzise wissen, ob der Hofrat am Schreibtisch oder auf dem Schreibtisch sitzt. Hauptsache, die ungefähre Richtung stimmt und der Hofrat sitzt nicht im Kaffeehaus. „Karfiol“ klingt halt ungefähr so wie „Kal(a)fior(a)“, der Unterschied zwischen „Reineclauden“ und Ringlotten ist unerheblich, beide gehören zur ungefähr gleichen Gattung Pflaumen. Ob die Verschlusslaute weich-stimmhaft oder hart-stimmlos ausgesprochen werden, wird bedeutungslos, wenn man nur ungefähr Dental-, Labial- oder Guttural-Konsonanten unterscheiden kann. Es muss eine anstrengende Entscheidung für die Redaktion des ÖWB gewesen sein, die dem bayerischen „Deppen“ entsprechende Bezeichnung „Dodel“ nur noch in der zweimal stimmhaften Schreibweise zuzulassen, denn die rechnerische Möglichkeit von vier Varianten wurde früher gern ausgenutzt. Sprachlich verunsichern lassen sich die Österreicherinnen dennoch nicht.

Der von Jutta Ransmayr beklagte Ansehensverlust der österreichischen Sprache im Ausland hat meines Erachtens andere als die angeführten Ursachen. Das Ansehen einer Sprache steigt zwangsläufig mit der in dieser Sprache verfassten Literatur. Der Anteil der SchriftstellerInnen im Vergleich zur – deutschsprachigen - Gesamtbevölkerung war in Österreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer höher als in Deutschland. Besonders auffällig war diese „Literatendichte“ im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts und nach dem zweiten Weltkrieg. Obwohl die österreichischen SchriftstellerInnen nie ein Hehl aus ihren regionalen Sprachwurzeln gemacht haben, wurden sie häufig ausserhalb Österreichs höher geschätzt als im Land selbst. Dass auch moderne österreichische Literatur in Österreich gelesen wurde, ist dem Pflichtkanon in den österreichischen Schulen zu verdanken, nicht nur in den Volks- und Hauptschulen sowie Gymnasien, sondern auch in den Berufsbildenden Höheren Schulen, diesem unter dem Stichwort Berufsaubildung und Abitur neidvoll betrachteten und immer beliebter werdenden österreichischen Schultyp. Wenn an diesen Schulen - in Verkennung der in Wirklichkeit von den Entscheidungsträgern der Wirtschaft erwarteten Vorbildung des beruflichen Nachwuchses - bei Maturaprüfungen und -unterricht literarische Themen immer mehr verdrängt werden, muss man sich nicht wundern, dass der Stellenwert der österreichischen Literatur beim österreichischen wissenschaftlichen Nachwuchs, danach bei seinen ausländischen Geschäftspartnern und dann im Ausland insgesamt sinkt. Österreichische Sprache wird folglich nur noch als heimattümelndes Regionalidiom angesehen, dessen gymnasiale oder universitäre Vermittlung im Ausland sich dem Vorwurf der Einrichtung eines „Orchideenfachs“ ausgesetzt sieht.

Mit freundlichen Grüssen

Horst Ebeling

 



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