Zum Artikel von Andreas Heimann
Ob das zum Verfassen einer Dissertation über mehrere Jahre erwartete erhebliche Arbeitspensum die Lust im Sinne von Freude und Vergnügen fördern, wage ich zu bezweifeln. Befristete Stipendien und Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt laden auch nicht zum Promovieren ein. Und die angeblich 25 600 Doktorgrade, die im vergangenen Jahr verliehen wurden, sprechen ebenfalls nicht unbedingt für einen hohen Lustfaktor, den Autor Heimann annimmt. Wem bewusst ist, mit welchen Mühen das Verfassen einer Dissertation verbunden ist, dürfte eher von „Lust als von „Motivation reden. Und die besteht vorwiegend aus dem Erreichen eines höheren Sozialprestiges, das mit der akade-mischen Verzierung schlagartig erreicht wird. Unerklärlich ist die lange Geltungs-dauer, nämlich lebenslang. Die abgehobene Stellung des Promovierten gilt unabhängig davon, wie gering der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn ist, den die Dissertation enthält und den niemand kennt. Oft gleicht sie beim Dr. med. nur einer Seminararbeit. Keine Seltenheit, denn der Anteil der medizinischen Dissertationen dürfte wesentlich mehr als (laut Artikel) 4% sein. Ingo von Münch berichtet in seinem Buch „Promotion (2006), von 1980 bis 1992 habe der Anteil 40% betragen. Für das Absinken auf ein Zehntel gibt es weder Anlass noch eine Bestätigung. Die Mär vom Namensbestandteil Vor über 50 Jahren wollte ein promovierter Vater, dass sein akademischer Grad Dr. med. in der Geburtsurkunde seines Kindes eingetragen wird. Nach Ablehnung seines Antrages von Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht landete sein Begehren im Bundesgerichtshof. Der Rechtsstreit endete schließlich mit der Feststellung, dass akademische Grade kein Bestandteil des Namens (und auch keine Berufsbezeichnung) sind.
Diese im Personenstandswesen neue und geradezu revolutionäre Aussage blieb bis heute weitgehend unbekannt. Während sonst über jeden Schluckauf von Prominenten ausführlich und wiederholt in allen Medien berichtet wird, schweigen sie bis heute konsequent über das Urteil und die mit ihm verbundene Abwertung des Doktorgrades. Sogar ausführliche Hinweise auf das Urteil (an DIE ZEIT, SZ, Spiegel, AZ München) konnten die Presseorgane nicht bewegen, ihre Leser darüber zu informieren. Verständlich, denn besonders der betroffene Personenkreis, die überall tätigen Promovierte wurden plötzlich der Grundlage ihres besonderen Status in Redaktion und Gesellschaft beraubt. Die Kollegen sollten nicht vergrätzt werden.
Der verschleierte Doktorgrad
Und ungeachtet der enormen Wichtigkeit der akademischen Verzierung wird das Studienfach verschleiert. Die unvollständige (verstümmelte) Angabe des Grades zwingt die Öffentlichkeit zu raten, womit sich der akademisch Geadelte beschäftigt hat. Wie tief waren die gebohrten Löcher; hat der Promovierende etwa einige Maden hinterlassen? Was der Autor mit „mehr meint, erfährt der Leser auch nicht. Sollten die Titelträger generelle Steuerfreiheit erhalten und das Kürzel Dr. vor dem Namen vererbt werden können?
Der Drang wenn nicht die Gier nach dem Titel belebt nach wie vor den Titelhandel, freundlicher Helfer bei Zeit- und/oder Geistmangel sowie finanzieller Potenz. Die Doktorlobby sorgt seit Jahrzehnten emsig und erfolgreich sogar bei Gesetzesvorhaben dafür, dass alle Versuche vereitelt werden, die unbegründete Überbewertung des Doktorgrades zu beenden. Die Diskriminierung aller Hochschulabsolventen ohne Doktorexamen spielt dabei als akademischer Kollateralschaden keine Rolle.
Ulrich Werner
Zur Informatio BGH-Urteil
Das deutsche Titelwesen
Der Doktorgrad
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