Nach der missglückten Apologie „Mein Tagebuch 1998-2000" lässt Helmut Kohl nun seine von Warnfried Dettling besprochenen Memoiren folgen: „Erinnerungen 1930-1982". Wieder ficht der frühere Bundeskanzler als „deutungshoheitlicher St. Georg" gegen den Drachen, dessen zahlreiche Häupter aus infernalischen Rachen jene Flammen speien, die die lichte Ikone der Glorie des Kanzler-Patriarchen zu verrußen und zu versengen drohen. Umso fundamentalistischer stellt Kohl seine Verdienste heraus; mit ihnen dekoriert er sein Selbstbildnis, das er wie eine Monstranz mit dem ihm eigenen Augenaufschlag unter dem „Baldachin der wahren Geschichte" vor sich her trägt.
Bereits das „Tagebuch" zeigt, dass Kohl schwerlich aus Verbitterung memoriert; er schreibt vielmehr gegen den Imageverlust an, den Horst Eylmann (CDU), der damalige Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, mit seinem tödlichen Verdikt zu Anfang des Jahres 2000 öffentlich proklamierte, als er juristisch zwingend feststellte: „Helmut Kohl befindet sich im Zustand des permanenten Verfassungsbruchs. Und dieser Verfassungsbruch dauert jeden Tag ... an, solange er nicht die Spender (der Gelder illegaler Parteifinanzierung) bekannt gibt."
Mit seiner Vielschreiberei verdeutlicht Kohl nur umso schärfer den Gegensatz zu seiner Aussageverweigerung vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Sachen CDU-Parteispendenaffäre; dort widersetzte er sich einsichtslos und mit völlig unglaubwürdiger Argumentation der Forderung, die Herkunft jenes Schwarzgeldes zu klären. Ebenso wenig kam Kohl der Ermahnung des CDU-Präsidiums nach, die angeblichen Namen der Spender offen zu legen. Vielmehr verstetigt der Ex-Kanzler bis heute durch seine aufrechterhaltene Missachtung des Transparenzgebots (Artikel 21 des Grundgesetzes) seinen Status der Grundgesetzwidrigkeit. Kein Verräter, Verschwörer, Intrigant, Neider oder hinterhältiger Parteifreund ruiniert das Prestige des „ewigen Kanzlers"; vielmehr fällt Kohl mit seinem „permanenten Verfassungsbruch" höchstpersönlich das Unwerturteil über sich selbst, das auch umfangreichste Memoiren nicht aus der Welt schaffen.
Unverändert erwartet die Öffentlichkeit von Kohl die verfassungsrechtlich gebotene Transparenz seiner dubiosen Parteifinanzen. Entscheidende Fragen sind bislang unbeantwortet geblieben. So muss der frühere Kanzler über zahlreiche Gravamina Auskunft geben: Hat er lediglich während der Jahre von 1994 bis 1998 jene nachgewiesenen 2,4 Millionen Mark illegal eingenommen, oder umfasst die Zahl verfassungswidriger Spenden die gesamte Phase seines CDU-Bundesund rheinland-pfälzischen Landesvorsitzes? Beläuft sich der Gesamtbetrag ungesetzlicher Spenden„ nur" auf 2,4 Millionen oder sogar auf etwa 20 Millionen Mark? Hat Kohl verfassungswidrige Finanzen auch für Stimmenkauf bei Parteiwahlen auf Landes- und Bundesebene verwendet? Ist daher Kohls illegale Parteifinanzierung die längste Ära permanenten Wahlbetrugs?
Statt peinlicher Selbstbeweihräucherung in dicken Bänden autobiografischer Zelebration sollte der ehemalige Bundeskanzler endlich seine grundgesetzliche Pflicht wahrheitsgemäßer Veröffentlichung der Herkunft zweifelhafter Finanzen erfüllen. Nur so könnte Kohl die Geltung des Verdikts beenden, er sei ein notorischer Verfassungsbrecher.
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