Sehr geehrter Herr "Di." Werner,
zu Ihrem ganz offensichtlich vom Neid diktierten Pamphlet "Akademische Grade in Deutschland" möchte ich Folgendes bemerken:
Bevor Sie Ihr Halbwissen über die Vergleichbarkeit akademischer Leistungen ausbreiten, sollten Sie erst einmal die Promotionsordnungen deutscher Universitäten zur Kenntnis nehmen:
Der Erwerb des Doktortitels stellt schon deswegen eine besondere, über den "normalen" Universitätsabschluss hinausgehende Leistung dar, da er letztgenannten als Vorbedingung voraussetzt: So kann etwa im Fach Jura nur promovieren, wer ein qualifiziertes Erstes oder Zweites Staatsexamen (mindestens 6,5 - 9 Punkte; Mindestpunktzahl: 4), dazu zwei mit mindestens "gut" bewertete Seminararbeiten und eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Dissertation vorweisen kann sowie das Rigorosum besteht.
Die Dissertation ist im Übrigen nach Umfang und Arbeitsaufwand keineswegs mit einer Diplomarbeit vergleichbar: Meine etwa hat 330 Seiten und hat mich ein knappes Jahr gekostet (Vollzeit!). Vereinzelte "schwarze Schafe", die sich ihre akademischen Würden auf unlauterem Wege erschleichen, können den Wert des Titels als solchen nicht in Frage stellen - zumal es sie im Hinblick auf Magister- oder Diplomgrade gleichermaßen gibt. Die besondere Wertschätzung, die die Gesellschaft Doktoren mit Recht entgegenbringt, verstößt weder gegen das Demokratieprinzip noch gegen den Gleichheitssatz: Das Innehaben eines Doktortitels hat keinerlei Einfluss auf Art und Umfang der politischen Partizipationsrechte. Auch wird keineswegs Gleiches bzw. Vergleichbares willkürlich ungleich behandelt (s.o.).
Die angebliche Abkürzung "Di." für "Diplomingenieur" habe ich aus Ihrer Feder zum ersten und einzigen Mal gelesen. Auffällig ist, dass sich der von Ihnen geschaffene Phantasietitel optisch nur durch ein winziges Häkchen vom "Dr." unterscheidet. Dass Sie ihn dem allgemein gebräuchlichen und etablierten "Dipl.Ing." offenbar vorziehen, zeigt nur einmal mehr dass Sie dem Doktortitel gegenüberstehen wie der Äsopsche Fuchs den berühmten "sauren Trauben".
Mit meinen 31 Jahren darf ich mich gewiß noch als "jüngerer Mensch" bezeichnen. Die sich nach Ihrer Darlegung ausbreitende Nüchternheit in Titelfragen kann ich weder bei mir noch bei meinen promovierten wie unpromovierten Altersgenossen feststellen. Vielmehr sind die meisten Menschen durchaus bereit, Leistung auch anzuerkennen. Sie wären gut beraten, wenn auch Sie dies täten. Denn: "Machst Du aus anderen einen Zwerg, bist Du selbst noch lange kein Berg."
Mit freundlichen Grüßen Dr. jur. St. M.
Meine Antwort
Sehr geehrter Herr M.,
Dank für Ihre Zuschrift. Sie mögen ja mit Recht stolz auf Ihre Leistung zum Erwerb des Titels eines "Dr. jur" sein, aber ein adäquates Selbstbewusstsein scheint Ihnen zu fehlen. Sonst hätten Sie weniger Emotionen gezeigt und mehr Sachlichkeit entgegengesetzt. Warum Sie auf einen Artikel, der nicht an Sie direkt gerichtet ist, so empfindlich reagieren, ist mir unerklärlich, zumal Sie nicht eine einzige meiner Aussagen entkräften. Von einem Juristen erwarte ich eigentlich eine Argumentation, die auf die einzelnen zu behandelnden Gegenstände eines Schriftsatzes sachlich eingeht und nicht nur die Bezugspunkte aufweist, die zu seiner Entrüstung zu passen scheinen. Gründe anzugeben bedeutet nicht, daß eine Meinung begründet ist. Ich empfehle Ihnen, künftig in ähnlichen Situationen das Schreiben ein paar Tage liegen zulassen, bis der Neuronen-Dampf aus Ihrem Limbischen System entwichen ist.
Sie haben meinen Artikel offenbar nicht aufmerksam gelesen. Bspw. habe ich die Leistung (soweit erbracht und bekannt) zum Erlangen eines Dr.-Titels nicht grundsätzlich in Frage gestellt (Der Respekt vor der ....) und auch im einzelnen nicht die juristischen Examen angesprochen. Es besteht auch ein Unterschied zwischen der Wertschätzung des Titels und der des Titelträgers, und zwar auf Grund des Titels. Übrigens, die von Ihnen aufgezählten Voraussetzungen für die Promotion und die Seitenzahl einer Dissertation sowie die Arbeitszeit für deren Herstellung sind allenfalls ein Indiz, keinesfalls der Beweis für eine besondere Leistung. Und woher sind Ihnen die Leistungen in anderen Fakultäten und vergleichsweise die erforderliche Leistung zum Erlangen des Diplomtitels in den dafür möglichen Fakultäten bekannt, um die einen generell als "besondere" und die anderen als "keinesfalls damit vergleichbar" einzustufen?
Vereinzelte schwarze Schafe? Doch eher eine Herde davon. Der blühende und eifrig genutzt Titelmarkt, eingeschlossen die "Hilfeleistungen", spricht eine andere Sprache, wie Sie den regelmäßigen Anzeigen in den überregionalen Tageszeitungen entnehmen können. Vom Bayerischen Landtag wurde berichtet, daß z. Zt. eine Welle von Dr.-Titel-Erwerbungen aus den Oststaaten läuft. Und unser Finanzminister Faltlhauser schmückte sich jahrelang unberechtigt mit dem Professorentitel (der Dr. reichte ihm offenbar nicht), bis er eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes bewirkt hatte, das den Titel nachträglich sanktionierte.
Sicher, die Gier nach dem Titel spricht für seine Wertschätzung, die ebenso wenig im Volk zu erschüttern ist wie der Glaube, man müsse ihn bei der Anrede erwähnen, weil er Teil des Namens sei. Meinen "Di." hatte ich früher nie erwähnt. Ich entfernte sogar den "Regierungsdirektor" im Patentamt von meinem Türschild. Die penetrante Bedokterung des Namens veranlasste mich, ihn wieder hervorzuheben.
Die besondere Wertschätzung des Dr.-Titels ohne aktuellen Leistungsnachweis werden Sie mit mehr Lebenserfahrung wahrscheinlich kritischer sehen, wenn Sie bspw. unter einem Promovierten als Vorgesetzten oder mit ihm zusammen arbeiten müssen, der sachlich und fachlich ein Versager ist. Erst diese nicht nur einmalige Erfahrung (siehe auch die Dissertationen namhafter Politiker) hat mich auf meinen unter widrigen Nachkriegsumständen erworbenen Titel stolz werden lassen, einem akademischen Grad, der immer noch (trotz BGH-Urteil) allgemein als Berufsbezeichnung abgewertet wird (siehe Artikel).
Die Abkürzung "Di." für "Diplom." (analog dem "Dr." für "Doktor"), was wohl im Sinne von "Diplomierte(r)" zu lesen ist, entnahm ich einer Anzeige in der SZ im Jahre 1997, damalige Auflage ca. 580 000. Die "Auffälligkeit" des Unterschiedes der Abkürzungen liegt nicht nur im "winzigen Häkchen", sondern auch im Punkt auf dem "i". Die Leseschwäche oder Unaufmerksamkeit anderer sollte doch nicht Ihr Problem sein. Außerdem wird die Unterscheidung künftig einfacher sein, weil diese Buchstaben immer öfter großgeschrieben werden.
Die "sauren Trauben" hingen für mich nicht so hoch, wie Sie annehmen, schon deshalb nicht, weil ich sie nicht (als Fuchs) fressen wollte. Während meiner über 40 Jahre langen Berufstätigkeit habe ich nämlich nie einen Titel zum Leistungsnachweis benötigt. Es reichte stets die jeweils aktuelle beurteilbare und erfreulicherweise auch meistens anerkannte Leistung.
Vielleicht lesen sie noch einmal den Sie so aufwühlenden Artikel. Dann werden Sie bemerken, daß Sie sich in vielen Punkten (z. B. auch betreffend Demokratie u. Gleichheitsgrundsatz) unnötigerweise aufgeregt haben. Und zur Erweiterung Ihrer Kenntnisse auf einem juristischen - für einen Juristen ziemlich kurvenreichen - Nebengleis empfehle ich Ihnen meinen Artikel über den Rückbezug in Unteransprüchen, worin ich mich u. a. mit der Rechtsprechung des Patentsenats des BGHs auseinandergesetzt habe. Falls Sie Interesse an dieser Sparte des Rechts haben: Weitere Artikel von mir sind im "Kommentar zum Patentgesetz und Gebrauchsmustergesetz" von Benkard, vergleichbar mit dem "Palandt" angegeben.
Es würde mich freuen, wenn ich Sie wenigstens etwas nachdenklich stimmen konnte.
Erkenntnisse aus der Hirnforschung: Wir nehmen uns viel zu ernst.
Mit freundlichen Grüßen Di. Ulrich Werner
Hinweis: Weitere Artikel zum Patentwesen HIER
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