Die deutschen Geisteswissenschaften, so klingt es auf und ab, sind am Ende. Von den Universitätsreformern vernachlässigt, durch Bachelor und Master in ein geistesfeindliches Korsett gezwängt, von Bürokratie überwältigt, seien sie aus der ihnen zustehenden, herausgehobenen Stellung an der Universität vertrieben und »zu Fremdlingen im eigenen Haus« gemacht worden. Nicht nur diese Disziplinen seien dadurch akut bedroht, sondern, so beschwören es Ordinarien an Hochschulen und Oberordinarien in Redaktionen, die ganze deutsche Universität sei es.
Diese kulturpessimistische Klage hat eine lange Tradition in Deutschland, und wie zu zeigen ist, keine gute. Sie ist aber nicht nur unberechtigt, sie lenkt auch ab von der wirklichen Krise der Geisteswissenschaften: der Vernachlässigung der Lehre.
Die Rede von der »Krise der Geisteswissenschaften« formte sich am Ende des 19. Jahrhunderts. Im Kaiserreich dienten die Geisteswissenschaften als Identitätsstifter und Legitimationsproduzent. Sie besorgten die historische Herleitung des neuen Nationalstaates aus der Tradition des Alten Reiches und schufen mit dem Neuhumanismus das bildungsbürgerliche Leitbild der deutschen Gesellschaft. Damals wuchs den Geisteswissenschaften eine Sonderrolle innerhalb der Universitäten zu, die sie rund hundert Jahre behaupten sollten.
Zum Artikel
|