von Herbert Vicent
Fremdwörter sind Glücksache so überbrückt man wohl gelegentlich scherzend die Verlegenheit, wenn ein nicht ganz sattelfester Gesprächspartner mit einem Fremdwort danebengriff. Doch die leicht hingeworfene Redensart verschleiert nur schlecht eine wirkliche Not, die sich bei manchem geistig strebsamen Deutschen geradezu zu einem Minderwertigkeitsgefühl auswachsen kann. Es wird hier etwas sichtbar von der besonderen Schwierigkeit der deutschen Bildungssituation, wie sie aus über tausend Jahren unserer Geschichte erwachsen ist: Von der Tatsache nämlich, daß das Deutsche eine Mischsprache ist, oder, etwas überspitzt ausgedrückt: daß man in Deutschland zwei Sprachen spricht.
Gewiß, auch unsere Nachbarvölker haben eine Menge Fremdwörter in ihren Sprachen. Aber die Dinge liegen dort doch günstiger als bei uns. Wenn beispielsweise das Französische dem Lateinischen viele Wörter entlehnt hat, so handelt es sich dabei um Rückgriffe in eine Sprache, zu der die französische in einem Tochterverhältnis steht. In England, das am ehesten einen Vergleich erlaubt, wurde die germanische Sprache der Angelsachsen (nach 1966) allmählich durchsetzt von der französischen der normannischen Eroberer. Die Sprachmischung ist dort die Folge einer Volksmischung, der wir in Deutschland nichts zur Seite zu stellen haben. Trotzdem zeigt die englische Sprachgeschichte schon im 16. Jahrhundert und bis in die neueste Zeit hinein immer wieder Ansätze zum „Purismus, d. h. zur Sprachreinigung. Immerhin kam es im Englischen zu einer weitgehenden Ausgleichung der verschiedenen Sprachelemente - wobei in der Volkssprache die romanischen, in der Dichtung die germanischen stärker hervortreten. Wie aber ist es zu erklären, daß bei uns so ganz anders als bei den eben genannten Völkern die Fremdwörter zu einem großen Teil Fremdkörper geblieben sind - daß bei uns das Bedürfnis nach Fremdwörterbüchern entstand, bei jenen aber nicht?
Es genügt, wenige geschichtliche Tatsachen in Erinnerung zu rufen. Die beiden Mächte, von denen die Hauptantriebe zur Gestaltwerdung unserer Kultur ausgingen - Christentum und Antike - kamen zu uns im Gewand der lateinischen Sprache. Wie bei andern europäischen Völkern sind deshalb fast alle Ausdrücke der Kirche und Schule, des Schreibens und Lesens, kurz: der geistigen Betätigung auch bei uns „Lehngut. Im frühen Mittelalter, wo sie aufgenommen wurden, besaß unsere Sprache noch die Kraft und Lebendigkeit, diese Wörter so in sich hineinzunehmen und einzuschmelzen, daß sie nicht mehr als Fremdlinge erkennbar sind: Kloster und Priester, Münster und Dom, Zeichen und Segen, Tafel und Griffel, schreiben und dichten, Brief und Siegel. Doch dabei blieb es nicht. Die um eine Zeitstufe weiter entwickelte Kultur im Westen und Süden ließ ein Gefälle entstehen, in dessen Folge immer neues Fremdgut in unsere Sprache einströmte. Im ritterlichen Hochmittelalter kamen von Frankreich höfische und kriegerische Wörter, an ihrer Spitze nicht zufällig: „fein; sodann Turnier, Abenteuer, kosten (zu stehen bekommen), prüfen, preisen. Doch mit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatte unsere Sprache im wesentlichen ihre naive Anverwandlungskraft eingebüßt. Nur selten gelang ihr noch eine Einverleibung wie „Staat, das im 17. Jahrhundert nach dem altfranzösischen „estat, neufz. „état, gebildet wurde; die Masse der nun immer weiter einströmenden Wörter blieben im eigentlichen Sinn „Fremdwörter".
Führen wir diesen geschichtlichen Rückblick kurz zu Ende, so verrät uns die deutsche Sprache den Einfluß des Humanismus durch eine Menge von lateinischen und griechischen Ablagerungen aus dem 16. Jahrhundert, wie Akademie, Architekt, Audienz, Autor, Bibliothek, Chirurg, Distanz, Effekt, Experiment, Horizont, Ignorant, Instrument, Kommentator, Konstruktion, Konzession, Literatur, Manier, Motiv, Mathematik, Physik, Objekt und Subjekt, Post und (Buchdrucker-) Presse, Qualität und Quantität, Substanz und Spekulation, privat und zivil, Religion, Resignation und Utopie. Das 17. und 18. Jahrhundert standen im Banne von Versailles. Man lernte sich amüsieren und emanzipieren, manche Komplimente und Komplotte, Konferenzen und Kabalen, alliierte, alterierte und kompromittierte sich. Oder nehmen wir aus Wörtern wie galant, elegant, charmant, dezent, pikant, preziös und raffiniert den Duft der Essenz, die damals die deutsche Bildungsschicht durchtränkte. Nicht, als ob unser Volk die Anlagen zu all diesen Dingen nicht mitgebracht hätte, Aber die anderen waren früher erwachsen - und wir immer in der Rolle der jüngeren Geschwister, die von den älteren die Kleider erben. So lassen sich die erregenden Momente des deutschen Geistesschicksals aus den der jeweils aufgenommenen Fremdwörtern ablesen wie gewisse physiologische Vorgänge von Röntgenplatten. Das 19. Jahrhundert brachte das Auto, den Film, die Lokomotive und den Propeller, Photograph, Telegramm und Telephon, Molekül, Radium und Protoplasma. Im übrigen skizziert es sein Selbstbildnis mit folgenden herausgegriffenen Wörtern: agitieren, annektieren, Antisemit, Attentäter, Boykott, Chauvinismus, Dementi, Dynamit, Exkönig, improvisieren, isolieren, lynchen, Mob, Militarismus, Nihilist, oktroyieren, Pessimismus, Pogrom, Pose, Prestige, Propaganda, Reklame, sexuell, Schrapnell, Sport, Streik, Torpedo, Vivisektion.
Die historische Erinnerung ist hier nicht Selbstzweck; denn wir wollen ja vom „Umgang mit Fremdwörtern sprechen. Wir sehen in ihr jedoch eine ratsame Wappnung, wenn wir nun mit der Frage nach Recht und Notwendigkeit der Fremdwörter in die Arena sich widerstreitender Meinungen treten. Seit es diese Wörter gibt, die ihrem Wesen nach zu einem großen Teil nicht Gemeinbesitz des ganzen Volkes, sondern nur gleichsam das Privileg einer mehr oder weniger dünnen Schicht sein konnten - seit also der unselige Schnitt zwischen „Gebildeten und „Ungebildeten als nie vernarbte Wunde unseren Volkskörper entstellt, hat es auch immer Menschen bei uns gegeben, die in der Bekämpfung der Fremdwörter und in ihrem Ersatz durch deutsche etwas wie eine nationale Aufgabe sahen.
Daß dabei durchaus nicht selbstverliebter Nationalismus im Spiel zu sein brauchte, ergibt sich einfach aus dem unerhörten Ausmaß, das die Überfremdung zuzeiten annahm. Warum sollte nicht strenge Lese gehalten werden unter dem fremden Sprachgut, das die Sturmfluten der Geschichte im Zurückweichen auf unsern Gestaden abgesetzt hatten? War die Sprache nicht ein Spiegel - bestimmt, das geistige Gesicht des Volkes zu immerwährender Prüfung zu bewahren? Und wurde er nicht blind im Anhauch des Fremden? Diese Sorge lebte in den Bemühungen der- deutschen Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts, in den Verdeutlichungsvorschlägen eines Joachim Heinrich Campe, des Zeitgenossen Goethes, im vielgelästerten Wirken des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins.
Auf der anderen Seite stand schon immer jene entgegengesetzte Meinung, die in der allseitigen Offenheit der deutschen Sprache eine Kraft sah, die all die vielen Denkmäler unserer Bildungsgeschichte nicht missen wollte und für die der Fremdwörterreichtum eine Verfeinerung der Ausdrucksmittel unserer Sprache bedeutete. Der Kampf der beiden Richtungen führte gelegentlich zu extremen Behauptungen, die dem leidenschaftslosen Beobachter die Frage aufdrängen mußten, ob nicht auch hier die Wahrheit irgendwo in der Mitte liege. Wohin ein leichtfertiges oder gar eitles Wuchernlassen der Fremdwörter führt, das konnte man früher und kann man heute ohne Mühe feststellen. Nehmen wir als Beispiel die Bücher des großen Dichters Jean Paul. Warum lebt sein Ruhm fast nur noch zwischen den Deckeln von Literaturgeschichten? Schuld daran ist nicht nur sein krauser Stil als solcher und die für unsere Begriffe oft zu weit getriebene Empfindsamkeit, sondern auch die bedenkenlose Verschwendung, die er - wenigstens in den ersten Niederschriften mit Fremdwörtern trieb. In späteren Auflagen hat er vieles eingedeutscht, offenbar in der Erkenntnis, daß er sich manchen guten Leser durch seine Marotte verscherzt halte.
Auch ein Goethe war weniger empfindlich gegen Fremdwörter als die meisten unserer deutschen Dichter. In den letzten hundert Jahren hat sich, oberhalb der Unbedenklichkeit des alltäglichen Sprechens unser Sprachgefühl verfeinert man kann sich davon z. B, an der Lyrik unseres Jahrhunderts im Vergleich mit der des vorangegangenen überzeugen. So ist auch der Kreis der Menschen gewachsen, die einen Satz wie den folgenden (aus einem Aufsatz „Gedanken über nationale Kultur von 1917) als peinlich empfinden: „Es entspricht der Logik des Problems, daß die traditionelle Betrachtungsweise instinktiv dahin tendiert, diese Gegebenheiten als .... Moment eines Vernunftorganismus aufzufassen." Es ist uns in unseren Tagen von Dichtern und Deutern wieder zum Bewußtsein gebracht worden, daß Sprache nicht lediglich ein Werkzeug zur Verständigung ist, sondern daß wir selbst mit unserem geistigen Sein in der Sprache aufgehoben sind. Wir sind aufmerksam geworden auf die höhere Wahrheit des Wortes: „Deine Sprache verrät dich und sehen in scheinbaren sprachlichen Entgleisungen manchmal die Zeichen eines gestörten Verhältnisses des einzelnen zu den Ordnungen des menschlichen Daseins.
Dieses geschärfte Gefühl sprachlicher Verantwortung wird zusammenwirken müssen mit der Erkenntnis unserer Pflicht gegenüber der Gemeinschaft. Wer vielen verständlich sein will, wird nicht von „genuiner, sondern von echter Begabung reden; er wird seine Meinung nicht „rektifiziert, sondern richtiggestellt oder verbessert sehen wollen. Kurz: der Gebrauch glatt ersetzbarer Fremdwörter muß als eine Gedanken- und Rücksichtslosigkeit gelten.
Unangefochten seien die Fachwörter in den Wissenschaften, in Technik und Politik. Es wird eine Aufgabe der Volksbildung sein müssen, ein geschichtliches Verständnis dieser Wörter in weitere Kreise zu tragen. Achten wir im übrigen auf die Ober- und Untertöne der Fremdwörter, in denen sehr oft ihre Überlegenheit liegt: Kontinent klingt anders als Festland oder Erdteil, Orient anders als Morgenland, und Poesie beginnt schon zu verblassen hinter der Dichtung. Auch die lautmalerische Kraft gewisser Fremdwörter darf nicht überhört werden: fatal, banal, grotesk, bizarr, Aroma, Harmonie, Pamphlet, Melancholie. Eigene und fremde Rebe ist gut, wo die Ehrfurcht sie keltert. Am besten aber „mundet uns die Sprache, in der wir geboren sind die der Dichter anruft:
„Vaterland uns Einsamen, die es nicht kennt, unzerstörbar Scholle dem Schollensein ...
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