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Doktortitel
 Neuauflage des deutschen Titelk(r)ampfes

 Kommentar zum Gespräch Krista Sager/ Sandra Pfister


29.12.2011

Zum Gespräch von Sandra Pfister vom dradio mit Krista Sager, wissenschaftspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Herrmann,

vielen Dank für die Übersendung des Interviews. Den aktuellen Vorstoß von Frau Sager, das Ansehen Deutschlands als Rechtsstatt zu stärken, werde ich wieder auf meiner Webseite unterstützen. Wie zu erwarten war, wird er in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Ich fand nur in der SZ einen kurzen Artikel darüber. Nach meinen jahrzehntelangen Erfahrungen - in meiner Webseite dokumentiert – rechne ich jedoch damit, dass er wieder am hartnäckigen, organisierten und unüberwindlichen Widerstand der fest etablierten Doktorlobby scheitern wird. Nicht einmal ein eigener Doktortitel würde Frau Sager helfen. Allenfalls das bekannte Argument „Titelneid“ ginge fehl. 

Es ist sehr schwierig, im bundesdeutschen Titelparadies über Eintragung und Nichteintragung von akademischen Graden, speziell des Doktorgrades in Pass und Ausweis zu diskutieren. Die dabei zwangsläufig entstehende Verquickung von persönlichen und psychischen Belangen der Titelträger ist daher nicht vermeidbar. Werden persönliche Eigenheiten, gar heikle Seiten berührt, entstehen Empfindlichkeiten oder sogar Ängste, die stärksten Widerstand gegen eine vermeintliche Abwertung der akademischen Bildungs-Bestätigung auslösen. Komplexträger wollen mit dem Titel ein Zeichen für Sachkompetenz aussenden. Sachlich kann dann nicht mehr argumentiert werden. So wurde auch stets bei Diskussionen um die Streichung des Doktoreintrages eine Vielzahl von sachlichen Gründen auf ziemlich primitive und unakademische Weise abgewürgt, nämlich mit dem Hinweis auf die angeblich lange Tradition. Ein schwammiger Begriff besiegte die Vernunft – ausgerechnet bei der Verwendung eines deutschen Hochsicherheitsdokumentes, wie der Pass offiziell eingestuft wird.

Erst vier Jahre ist es her, dass in Deutschland in gleicher Angelegenheit ein kleinkarierter Titelkampf zur Belustigung des Auslandes stattfand. Der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble hatte im Bundesrat einen wohl überlegten und sachlich begründeten Gesetzentwurf eingebracht mit dem Ziel, den Eintrag des Doktorgrades im Pass endlich abzuschaffen. Gründe waren u. a. Entlastung der Passbehörden und Vermeidung von internationalen Irritationen. Gesetzliche  Grundlage für Schäubles Vorstoß war das BGH- Urteil im Jahre 1962, wonach akademische Grade kein Bestandteil des Namens sind. Diese höchstrichterliche Feststellung wurde von Deutschlands akademischer Elite nicht einmal abgelehnt, sie wurde einfach total ignoriert. Nur in der SZ München stand eine Dreizeilennotiz.

In diesem Zusammenhang erscheint ein zeitnaher Beschluss der Hochschulrektoren-konferenz bedeutsam. Darin wurde verfügt, dass der Doktorgrad lediglich mit den zwei Buchstaben Dr. anzugeben sei, also ohne Angabe der Fakultät. Soll dadurch etwa verschwiegen werden, auf welchem Sachgebiet der Nachweis wissenschaftlichen Arbeitsvermögens erbracht wurde? 

Das deutsche Titelwesen mit seinen negativen Auswüchsen wie Titelhandel, Fälschungen und die darin gewachsene Titelsucht – wohin diese führen kann, zeigte kürzlich der Fall zu Guttenberg - haben sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Gesellschaft fest verankert.. Wirksamster Unterstützer der Fehlentwicklung im Titelwesen ist die Bundesregierung mit allen ihren Behörden, wo das BGH-Urteil nun bereits seit 60 Jahren unbeachtet bleibt und in der Öffentlichkeit verschwiegen wird.  Dass dann nach so langer Zeit eine plötzliche Änderungen bei der öffentlichen Präsentation des Titels nicht ohne unangenehme Berührung von psychischen Empfindlichkeiten möglich sind, ist verständlich. Zu angenehm sind die Vorteile, vor allem das hohe Ansehen, das die Titelträger lebenslang genießen. Das automatisch gewährte Sonderrecht und die Rücksichtnahme auf personenbezogene Eigenheiten im Gesetz- und Verordnungswesen eines Staates vom Range der Bundesrepublik halte ich für sehr bedenklich. Im Personenstandswesen verhält sich Deutschland wie eine Bananenrepublik, in der auf Komplexe und Eitelkeiten einer bestimmten Personengruppe Rücksicht genommen wird. Solange das Urteil des BGHs zum Doktorgrad von offizieller Seite und den Medien ignoriert und der Titel sogar urteilswidrig wie ein Teil des Namens behandelt wird können sich Titelbedürftige auf die längst  verblasste. „Tradition“ berufen und ihren Bildungshinweis nicht nur am Türschild, sondern sogar im Pass bekannt geben. Das skandalöse Verhalten des Staates widerspricht internationalen Vereinbarungen. In der kürzlich erfolgten Einführung neuer Ausweise wurde die seit langem unzulässige Eintragung des Titels in der Namenszeile und trotz wiederholter Beanstandung beibehalten. Frau Sachers Gesetzentwurf ist daher begründet und sollte endlich realisiert werden, um Deutschlands Ansehen als Rechtsstaat nicht weiterhin zu beschädigen.

Frau Sager hat recht: die Eitelkeitspromotionen werden nicht so schnell verschwinden, keinesfalls von heute auf morgen. Aber gegen die Ursache hierfür,  die traditionelle und längst nicht mehr zeitgemäße Überbewertung des Doktorgrades könnte sofort vorgegangen werden. In ihr steckt das weit verbreitete Vorurteil, der Promovierte wisse, könne und leiste grundsätzlich mehr als der Nichtpromovierte, was natürlich nicht stimmt. Jeder Bürger, seiner eigenen Leistung bewusst, könnte sofort auf Weihrauchschwenken und Kniefall vor dem Herrn Doktor verzichten, indem er den Titel bei der Anrede weglässt. Es besteht ohnehin keine Verpflichtung Zur Betitelung. Allenfalls in einem Abhängigkeits-verhältnis ist sie verständlich. Auch im Bundestag werden promovierte Abgeordnete in geradezu penetranter Weise stets mit dem Doktorkürzel genannt, nachzulesen im Bundestagsprotokoll. Frau Sager könnte sofort mit ihrer Fraktion einen effektvollen Anfang machen und parallel zum Gesetzentwurf die überflüssige Titelei im Hohen Haus beenden, die außerdem den falschen Eindruck erweckt, es gäbe keine anderen als promovierte Akademiker. Es müsste möglich sein, die ungewohnte, aber vorbildliche und zeitgemäßen Anrede mit Gleichgesinnten aus den anderen Fraktionen zu verbreiten, ohne gesetzliche Hilfe.

Eine sachgerechte Handhabung des Doktorgrades käme auch deutlich zum Ausdruck, wenn er nicht, wie gewohnt vor, sondern hinter den Namen gesetzt würde, und zwar mit Angabe der Fakultät, sowie Jahr und Ort der Promotion. Der zu erwartende Kulturschock bei einigen Promovierten dürfte sich im Verlauf einer neu entstehenden Tradition zurückbilden.

Ulrich Werner, 29.12.2011

 



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