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davon ausgehen Deutschland wandelt sich in eine "Ausgehgesellschaft" Unwissen wird mit Wissen verwechselt
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Übersicht
Zusammenfassung - Definitionen Die Ausgehwelle Die Zukunft - Die Realität
Zusammenfassung
Wer etwas nicht genau weiß, geht davon aus.
Politiker, Forscher, Experten, Prominente, Moderatoren, Juristen (Richter, Rechtsanwälte, Staatsanwälte), Polizeisprecher, Bürger, beinahe "jedermann" benutzt die Redewendung
"ich gehe davon aus".
Auch Institutionen "gehen davon aus", und allgemein "geht man davon aus". Die Ausgeher sind sich nicht bewußt, daß die Redewendung nicht das aussagt, was der Ausgeher jeweils meint. Und nicht nur das. Er gibt vor, einen Sachverhalt zu kennen, der ihm unbekannt ist.
Wer ständig - von was auch immer - ausgeht, von dem geht eine Gefahr aus: für die deutsche Sprache!
Er sollte zurückgehen und überlegen, was er meint, ob er etwas annimmt, vermutet, erwartet, glaubt; die Auswahl an klaren Verben ist groß (s. u.).
Besonders im Justizwesen bilden Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte eine verbale Ausgehgesellschaft, die unablässig von etwas ausgeht und nicht bemerkt, daß sie mit dieser Floskel Falschmeldungen verbreitet. Wem die Feinheiten der deutschen Sprache nicht bewußt sind, der glaubt dem von etwas ausgehenden Rechtsanwalt (der Gegenpartei), es handele sich jeweils um eindeutiges Wissen, d. h. um bewiesene Tatsachen. Dagegen drückt der Anwalt nur eine Vermutung oder eine Erwartung aus. Der sich epidemieartig ausbreitende Schwammausdruck fördert das Bestreben in Justizkreisen, längere Schriftsätze, vom Gegner meistens nicht gelesen, selbst zu vermeiden. Die hier zum Ausdruck kommende Lässigkeit beim Gebrauch der Sprache ist nicht geeignet, gerechte Urteile vorzubereiten und zu ermöglichen.
Kurz gesagt:
Wo (noch) Ungewißheit herrscht wird Gewißheit vorgetäuscht.
Bisher waren es z. B. Bedrohungen, Gerüche, Gerüchte, Gefahren, Einflüsse. die von unbekannten oder bekannten Orten ausgingen und sich auf Lebewesen und Umwelt auswirken. Oder es wurde eine Grundlage für Überlegungen und Folgerungen genannt. Nun dient das Ausgehen von etwas - zur Universalfloskel abgewandelt - immer häufiger zum Verschleiern einer Mitteilung. Sprachliche Detektive, Rätselfreunde und Gedankenleser sind gefragt, um den wahren Sachverhalt zu ermitteln. Das ist oft nicht möglich.
Wenn es z. B. in einer Nachricht heißt, man gehe von Brandstiftung aus, dann setzt dies voraus zu wissen, daß es Brandstiftung war. Dementsprechend ist der Täterkreis einzugrenzen. Die Regel ist jedoch, die Polizei tappt noch im Dunkeln und hat nur eine Vermutung bezüglich der Brandursache. Danach können auch andere Brandursachen in Frage kommen (Blitzschlag, Kurzschluß).
Die Denkfaulheit ist zur Gewohnheit geworden. Es strengt offenbar an, die Berechtigung der Ausgehfloskel zu prüfen. Es stehen viele klare und die Verständigung fördernde Verben zur Auswahl: annehmen, vermuten, erwarten, glauben, meinen, hoffen, unterstellen, der Ansicht sein, die Meinung vertreten, wissen, voraussetzen, befürchten, den Eindruck gewonnen haben, schätzen, betragen, damit rechnen, sagen, denken, erbitten, feststellen, folgern, für wahrscheinlich halten, handeln in der Erwartung, sicher sein, daraus schließen, sich verlassen auf, so handeln, als ob, vertrauen auf, in Erwägung (Betracht) ziehen, zugrunde legen.
Diese Verben wurden bisher nach genauem Prüfen des Kontextes ermittelt oder mangels Kenntnis der gewollten Aussage vermutet. Weitere werden im Laufe der Zeit die Aufzählung ergänzen.
Die genannten Verben sind nicht sinngleich und auch nicht sinnverwandt (synonym) mit der floskelhaften Redewendung "davon ausgehen" .
Der Hörer oder Leser ist gezwungen, aus dem Kontext zu folgern oder zu raten, was gemeint sein könnte. Man kann zwar von etwas (einer Tatsache, Behauptung oder einer Vermutung) ausgehen, muß aber konsequenterweise auch angeben, was daraus gefolgert wird.
Beispiele für zutreffendes "Ausgehen", auch in der Bedeutung von "aufbauend auf .." zu verstehen:
Ausgehend von einem Normalgewicht von 75 Kg kann der Aufzug mit maximal 5 Personen belastet werden. Oder:
Wenn ich davon ausgehe, daß mir korrekte Zahlen vorliegen, ist meine Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung positiv.
Trübner, (8 Bde, 1936): "seinen Ausgangspunkt, seine Ursache in etwas haben, z. B. der Beweis geht von der Tatsache aus, daß .." . Wahrig (1986): .. bei etwas beginnen, etwas zur Grundlage nehmen; die Bewegung geht von diesem Punkt aus; ich gehe bei meinem Plan davon aus, daß ... ".
Duden (1989, Pkt. 5) "zum Ausgangspunkt nehmen, etw. zugrunde legen: du gehst von falschen Voraussetzungen aus.
Duden (2000): ausgehen: Leute gehen (aus der Wohnung, aus dem Haus usw.); zum Vergnügen, zum Essen, Tanzen; häufig, selten, sonntags; von einer bestimmten Stelle, von falschen Voraussetzungen, ); Postsendungen; Wünsche, Anregungen, Ruhe, Sicherheit, ein bestimmtes Fluidum, Glanz usw.; es geht nicht gut aus, die Schule (?), das Theater(?), die Geduld, die Vorräte, die Zähne, der Motor, die Farbe, der Stoff, die Zeit geht aus, jeweils mit entsprechenden Textbeispielen.
Es fehlen die weiteren Ausgehmöglichkeiten, nämlich Gefahren, Bedrohungen, Gerüche, Einflüsse gehen aus.
Bertelsmann: Wörterbuch der deutschen Sprache, 2004
1. ausgehen .......
2. von etwas ausgehen: a) etwas als Ausgangspunkt haben; von der Sonne geht Licht, Wärme aus; von diesem Buch ging eine starke Wirkung aus b) etwas als Grundlage nehmen, etwas voraussetzen; ich gehe davon aus, dass ...
3. von jmdm. ausgehen a) von jmdm. herrühren, geäußert werden; der Vorschlag ist von ihm ausgegangen (nicht von uns) b) von jmdm. ausgestrahlt werden; von ihm geht Ruhe, Unruhe, eine starke Anziehungskraft aus
Warnung!
Der Duden hat nun, wie erwartet, die moderne Schwammfloskel davon ausgehen als "dudenmäßig" legalisiert, wodurch ihre weitere Ausbreitung im deutschen Sprachraum garantiert ist. Seine neuen Einträge (2000) lauten:
"Gehen wir einmal davon aus, daß er im Recht ist";
"Ich gehe davon aus (nehme als sicher an, bin davon überzeugt), dass die Tarifparteien sich bald einigen werden."
Damit ist der Duden seiner Linie treu geblieben. Statt Sprachbewahrung betreibt er weiterhin Sprachverhunzung.
Siehe die Bemerkung von Wolf Schneider in "Ich habe einen Traum".
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Die Ausgehwelle
Darf die natürliche Entwicklung der Sprache so weit gehen, daß nicht nur neue Wortschöpfungen, von denen hier nicht die Rede sein soll, sondern auch neue Sinngebungen für bekannte Redewendungen toleriert werden müssen, die den bisher bekannten und anerkannten Sinn verdrehen? Gemeint ist die neue Wendung "davon ausgehen", die sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Und das, obwohl sie verbal aufgebläht ist und keine Differenzierungen zuläßt. Sie klingt - jedenfalls im Moment, weil neu und allgemein benutzt - interessant. Keinem der nachsprechenden Ausgeher ist bewußt, daß diese Redewendung, inzwischen zur Floskel verkommen, in der ihr neu aufgezwungenen Bedeutung keine klare Aussage enthält und die Verständigung untereinander erschwert. Sie trifft nicht den jeweils vorliegenden Sachverhalt. Nicht einmal der Kontext läßt erkennen, was gemeint sein könnte. Und je mehr Leute diese Modefloskel benutzen, um so weniger macht sich der Einzelne darüber Gedanken und fühlt sich offenbar glücklich, künftig ebenfalls so oft wie möglich "auszugehen", von was auch immer. So hat sich die deutsche Ausgehwelle bereits zur Massenbewegung entwickelt und findet täglich weiteren Zulauf. Nichts und Niemand kann die Deutschen aufhalten, auszugehen, obwohl schon langsam von den Benutzern dieser Sprechblase ein penetranter sprachlicher Mundgeruch ausgeht. Vermutlich haben Politiker, die Meister der Verschleierung ihrer Gedanken, Ansichten und Absichten sie eingeführt. Stehenden Schrittes gehen aus: Regierung, Institutionen, Behörden und Polizei.
Auf die gleiche Art bewegen sich unermüdlich, Tag und Nacht:
Politiker, Richter, Anwälte, Forscher, Experten, Prominente, Moderatoren,Bürger, Gruppen aller Art und - eigentlich alle.
"Man" geht aus, "es" wird ausgegangen und sogar Schätzungen sind schon beim Ausgehen beobachtet worden, zu beliebigen Tages- und Nachtzeiten, von allem möglichen und jeweils mit unbekanntem Ziel. Das gedankliche Ausgehen täuscht einen Sachverhalt vor, der nicht vorliegt und erweckt eine Erwartung, die nicht erfüllt wird - nicht erfüllbar ist, weil dafür die Voraussetzung fehlt.
Semantisch betrachtet verlaufen sich die Ausgeher im Dickicht des ständig erzeugten Sprachmülls. Kurz gesagt: Man kann zwar (davon) ausgehen, jedoch nur dann, wenn mit "davon" eine Tatsache, Behauptung, Vermutung und dergl. bezeichnet wird, und - das ist die zweite wichtige Voraussetzung - wenn daraus eine Folgerung abgeleitet wird. Sonst bleibt die Floskel, insb. durch das vorangestellte Adverb "davon" auf die bedeutungslose Bewegungsangabe (aus- = weggehen) beschränkt. Diese Auffassung wird in mehreren Wörterbüchern (Trübner, 1940, Duden, 1985, 1989 und 2000) bestätigt, wie die Erläuterungen für "ausgehen" und "davon ausgehen" zeigen u.a.:
o seinen Ausgangspunkt, seine Ursache in etwas haben; o der Beweis geht von der Tatsache aus, daß .. ; o zum Ausgangspunkt nehmen, etw. zugrunde legen: du gehst von falschen Voraussetzungen o bei etwas beginnen; aus o etwas zur Grundlage nehmen; o die Bewegung geht von diesem Punkt aus; o ich gehe bei meinem Plan davon aus, daß ... .
Die Erklärungen belegen, daß jeweils der Beginn einer Überlegung (Ausgangspunkt) und ein Ende (Ziel) vorhanden oder mindestens in Aussicht gestellt sein muß. Von Annahmen, Vermutungen oder Erwartungen etc. ist in keinem der Nachschlagewerke die Rede. Bspw. kann niemand davon ausgehen, daß es morgen regnet. Die Zukunft läßt sich nicht in der Gegenwart als Ausgangspunkt für (menschliches) Handeln einsetzen. Das stellt den Zeitablauf auf den Kopf. "Die Polizei geht davon aus, daß der Täter aus dem X-Bereich kommt." Sie weiß es nicht. Also kann sie es allenfalls annehmen, vermuten, glauben etc.. Der Leser oder Hörer darf jeweils ermitteln oder sogar raten, was gemeint sein könnte und zum Kontext paßt. Die deutsche Sprache bietet eine Reihe von Verben an, die einen klaren Sachverhalt beschreiben können:
erwarten, glauben, meinen, vermuten, annehmen, hoffen, unterstellen, der Ansicht sein, die Meinung vertreten, voraussetzen, schätzen, betragen, damit rechnen, sagen, wissen, der Überzeugung sein, und viele andere.
Nebenbei sei bemerkt, Gefahren, Gerüche, Strahlen etc. können von einem Ort ausgehen; auch Menschen können ausgehen, bspw. zum Essen, zu einer Party, ins Theater, um etwas zu erleben oder dergl.
Beispiele für das richtige Anwenden von "davon ausgehen": Ausgehend von einem Normalgewicht von 75 Kg kann der Aufzug mit maximal 5 Personen belastet werden. Oder: Bei meiner Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung gehe ich davon aus, daß ich korrekte Zahlen erhalten habe.
Die Zahl der Ersatzverben, die Aufzählung wird z. Zt. ständig durch neue, die Ausgehwelle verstärkende Verben ergänzt, deutet an, wie "zukunftsfähig" (auch so ein dudengeförderter Schwammbegriff) der gegenwärtige Sprachsalat durch die Floskel "davon ausgehen" verwässert wird. Sie steht zu Recht im Dummdeutsch-Wörterbuch (Reclam). Wird sie sich demnächst mit der ebenfalls weit verbreiteten Konjunktiv-itis zum "ich würde davon ausgehen" vereinen? "Man kann davon ausgehen."
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Die Zukunft
Die neue Floskel "davon ausgehen" als Synonym für eine Vielzahl von Verben, wie eben aufgezählt, eignet sich gut zum Erhöhen der Zahl der Schwammwörter. Obwohl der Duden bisher das Verb "ausgehen" richtig dokumentiert hat, ist, wie seine Dokumentation der Sprache in den Wörterbüchern zeigt, die Befürchtung begründet, daß er dokumentierversessen auch die neue und leider irreführende Bedeutung der Modefloskel "davon ausgehen" in seinen Wörterbüchern aufnehmen wird. Denn die umgangssprachliche Häufigkeit der Sprechblase ist derart auffällig, daß sie der Duden nicht übersehen und ignorieren kann - auftragsgemäß: darf. Damit wäre ihr Schicksal besiegelt. Sie erhält das sprachliche Anerkenntnis, und zwar von der Institution, die sich anmaßend als "Die Instanz für die deutsche Sprache" bezeichnet.
Vor etwa drei Jahren schrieb ich:
Die Frage lautet dann nur noch, wie wird er den Unsinn im Wörterbuch erläutern? Gewarnt durch seine veröffentlichten Fehldeutungen ehemals richtig erkannter und erläuterter Begriffe und durch die Sanktion umgangssprachlicher Schlampereien ist zu befürchten, daß er für den Ausdruck "davon ausgehen" in seiner nächsten Ausgabe des (zehnbändigen) Wörterbuches die Schwammbedeutung als Verhunzungsvariante anführen wird, und zwar
unter Ziffer 13: (davon ausgehen) annehmen, erwarten, glauben, meinen, vermuten, hoffen, unterstellen, sagen, der Ansicht sein, die Meinung vertreten, voraussetzen, schätzen, betragen, damit rechnen, befürchten, behaupten, bekannt geben, darauf (auf)bauen, u.v.a., oder
(davon a.) Sammelausdruck für Verben wie annehmen, erwarten, usw. (s. o.),
also ähnlich sachwidrig lautend wie bei den Einträgen für "mehrfach", "sich bedanken", "fähig" und dem "substantivierten Infinitiv"? Oder wird er etwa mit einem Hauch von Verantwortung für die deutsche Sprache nach der Devise "Halt Leute, Bewegung tut gut, aber nicht in Form von Sprachschlamperei" warnen mit dem Hinweis: "Nur dann angebracht, wenn Tatsachen (Vermutungen, Behauptungen, Annahmen) vorliegen, die die Grundlage für Folgerungen bilden."? Schon die Zahl der Ersatzverben, ständig werden neue Tätigkeiten im Geltungsbereich der Ausgehwelle aufgenommen, deutet an, wie phantasiereich der neudeutsche Sprachsalat durch die Ausgehfloskel verwässerbar ist.
Die Realität
Der Ernstfall ist eingetreten. Statt der Ziffer 13 wurde die Floskel mit der schwammigen Deutung als neue Ziffer 5 eingeführt. Als Ersatzverben dienen vorerst nur "annehmen" und "überzeugt sein". Weitere Verschleierungen werden folgen. Auch die Neuauflagen wollen mit Änderungen verziert sein.
Literatur: "Dummdeutsch, Ein Wörterbuch", von Eckard Henscheid, Reclam, 1996, S. 57: davon ausgehen: Wir unsererseits gehen davon aus, daß Benützern dieser Quasi-Politiker-Phraseologie meist schon an dieser Stelle ihrer Ausführungen der Verstand ausgegangen ist.
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