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„nicht wirklich" - oder doch – oder nicht?
Eine Sprechblase als Nebelkerze im eigenen Sprachnebel


 

Sprachpfleger mit (kritikarmen) Sinn für Neues werden den neuen Sproß ständig beliebter werdender Sprechblasen, nämlich die Wendung „nicht wirklich“ als Ausdruck der natürlichen Sprachentwicklung bezeichnen. Näher besehen entpuppt sie sich jedoch als weiterer Ausdruck geschwätzig dargereichter Gedankenverschleierung. Damit paßt sie in unsere Zeit. Wer sagt schon was er denkt; meistens unfähig, so zu sprechen, daß ihn jeder versteht.

Die Suchanfrage bei Google mit „nicht wirklich“ ergab heute (06.01.2006)  2.010.000 Treffer (in Worten über 2 Millionen).

Hier Beispiele aus den Seiten mit hohem „Ranking“, d. h. den unter den ersten Zehn genannten:

Stiftung Warentest nicht wirklich glücklich mit VoIP (28.07.2005)

TELEPOLIS  30.12.2004
Die Weihnachtsflut kam nicht wirklich überraschend

dto. 22.01.2004
Raketenabwehrsystem noch nicht wirklich einsatzbereit

BLUEPHOD  09.12.2005
Des Zählens nicht wirklich mächtig

Studis online 25.11.2005
HOCHSCHULPOLITIK
NRW: Studiengebühren mit Geld-zurück-Garantie? Nicht wirklich!

Einfach persönlich 16.11.2005
Warum Google Analytics nicht wirklich kostenlos ist

SZ 08.12.2005
Statistik und Wirklichkeit
Warum ostdeutsche Rentner nicht wirklich mehr bekommen

Aktuelles Fernseh-Programm für Freitag, den BR am 6. Januar:
Bruno Jonas Solo-Kabarett „Nicht wirklich –  nicht ganz da"

Damit können sich die oben genannten „Sprachpfleger" bestätigt fühlen. Die Masse gibt ihnen wie so oft im Leben Recht.

Was sagen die Wörterbücher zu „wirklich“?

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Bedeutung für das Wort „wirklich“ sowohl in seiner Eigenschaft als Adverb als auch als Adjektiv nicht geändert. In jedem Fall ist es eine Bestätigung einer Eigenschaft oder einer Aussage.

„Ich bin krank“. Zweifelnder Blick des Zuhörers. „Wirklich!“.

Seit langem wird „wirklich“ ohne ersichtlichen Grund eingesetzt, also dann, wenn  Zweifel an einer Aussage weder geäußert noch zu erwarten sind. Warum also dann die Bestärkung durch „wirklich“? Sie wird in diesem Fall meistens deshalb benutzt, weil sich jemand der Glaubwürdigkeit seiner eigenen Aussage nicht sicher ist. Er möchte schon vorher dem eventuellen Widerspruch oder Zweifel, sei es auch nur ein Blick, die Grundlage nehmen: 

„Ich bin wirklich krank". (Na, das muß ja dann wohl stimmen.)

Jedoch: Die durch „nicht“ bewirkte Verneinung der Bestärkung hebt nicht nur die Bestärkung auf, sondern auch die eigentliche Aussage.

Jemand, der nicht wirklich krank ist, ist überhaupt nicht krank.

Damit bedeutet die Verneinung von „wirklich" dessen Bedeutungslosigkeit für die Aussage, die mit „wirklich“ eigentlich bestärken soll.

Ein klassisches Beispiel für die Erzeugung einer inhaltslosen Sprechblase. Die Übersetzung in verständliches Deutsch lautet: NEIN („Bist du krank?“ – „NEIN".

Glosse aus ZEIT Literatur 02/2003 

 



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