Erika Steinbach gehört dem CDU-Bundesvorstand an. Sie ist eine der Unterzeichnerinnen der „Selbstverpflichtung zu gutem Deutsch.
Die Muttersprache ist Teil der Identität und des kulturellen Erbes eines Volkes. Aus gutem Grund rufen die Vereinten Nationen alljährlich einen internationalen Tag der Muttersprache aus. Seit geraumer Zeit gibt es endlich auch in Deutschland die Erkenntnis, daß es unerläßlich ist, die Landessprache als allgemeine Umgangssprache zu fordern. Die Erkenntnis ist nicht aus Liebe zur Schönheit unserer facettenreichen Sprache erwachsen, nicht aus Begeisterung für Goethe, Schiller, Kleist, Hauptmann, Rilke oder Böll, sondern aus dem sprachlichen Desaster zahlloser deutscher Schulen.
Die Überforderung vieler Lehrer mit der babylonischen Sprachenverwirrung in ihren Klassen ist inzwischen so offenkundig, daß selbst Sprachnihilisten, wenn auch zähneknirschend, die Notwendigkeit des einheitlichen Gebrauchs der deutschen Sprache hinnehmen, ja fordern. Nur, wie steht es insgesamt um unsere Muttersprache? Wie weit kommt man damit im eigenen Lande?
Wer erlebt hat, wie ein betagtes Frauchen ratlos vor einem Kaufhaus steht, auf dessen Schaufenstern in großen Buchstaben „SALE zu lesen ist, und das leise irritierte Murmeln „Ist Sale nicht ein Fluß? mitbekommt und wer dabei die verschüchterte Ratlosigkeit der alten Frau registriert, dem wird schlagartig klar: Hier stimmt etwas nicht mehr im Lande.
Ohne Englisch und das verballhornende Denglisch ist man im deutschen Alltagsleben ziemlich hilflos. Millionen von Deutschen müssen mehr ratend als wirklich wissend durch das Leben gehen, weil sie bei Produkten und durch Bewerbung mit einer ihnen fremden Sprache konfrontiert werden.
Über tausende und abertausende von Beispielen stolpert man tagtäglich. Im Frankfurter Flughafen ist Deutsch längst Randsprache. Natürlich ist es sinnvoll, Flughinweise auf einem internationalen Verkehrsdrehkreuz zusätzlich auch in englischer Sprache anzubringen. Unbegreifbar wird die Tatsache, daß die zahllosen Flughafengeschäfte nahezu ausschließlich in Englisch beschriften und bewerben bis hin zu „You can save 30%.
Auch Werbebroschüren, die aus Tageszeitungen entgegengleiten oder aus Briefkästen quillen, sind für Menschen, die ausschließlich ihrer deutschen Muttersprache mächtig sind, ein beständiges Rätsel. An vieles hat man sich notgedrungen gewöhnt, wie zum Beispiel an Mountain Bikes. Aber bei der Werbebeschreibung eines solchen Sportprodukts mit „Aluminium 7005/ HiTen-Full-Suspensions Rahmen und Suntour M2000 Federgabel mit Bar Ends versagt nicht nur englische Sprachkenntnis, sondern auch die oftmals hilfreiche Phantasie.
Der Verbraucherschutz ist dabei längst auf der Strecke geblieben. Jüngst drückte eine freundliche Verkäuferin in einem großen Warenhaus den vorbeieilenden Kunden eine eindrucksvolle Broschüre in die Hand. Kosmetische Produkte waren darin angepriesen: Für die Herren - nein, for men shaving foam, bath soap und for women soft cleansing emulsion, peach and honey mask oder eye make up remover pads. Ein Einzelfall oder englische Werbewoche? Beileibe nicht. Das ist Alltag in Deutschland.
Soeben flatterte die hochelegante Einladung zur Präsentation der Spring-Summer Collection 2006 eines Modehauses auf den Schreibtisch. Der Flugschein, nein, das passenger ticket and baggage check läßt sich nur mit Hilfe eines Dolmetschers entschlüsseln. Die Werbung auf der Flugscheinhülle wiederum preist eine Uhrenmarke als Instruments for professionals. Deutschsprachige Erläuterung dazu Fehlanzeige! Allerdings, das Kleingedruckte, mit dem Haftungsfragen geklärt werden, das ist lupenrein in deutscher Sprache verfaßt. Wer durch die Läden streift, trifft auf news, auf special offers und books.
Besonders pikant ist die Informationspolitik der Deutschen Bahn AG in ihren Reisebegleitblättern, die in den ICEs ausliegen. Zunächst registriert man zweisprachige Informationen. Sehr lobenswert. Das Studium der Texte allerdings ergibt ein anderes Bild. In der englischsprachigen Spalte ist zu lesen: DB Carsharing. In der deutschen Fassung, man hält es kaum für möglich, steht sage und schreibe: DB Carsharing Standort. In der englischen Version wird auf Call a Bike hingewiesen. Die deutsche Variante lautet, wen wunderts noch: Call a Bike Standort. Darüber hinaus liefert dieses Informationsblatt den deutschen Lesern Surf & Rail sowie Surf & Travel und so weiter.
Es ist ein gutes Anliegen, die Sprachen der Nachbarvölker zu verstehen oder gar zu sprechen. Einander verstehen zu können, dient dem friedlichen Miteinander der Menschen. Aber dieses Verstehen beginnt schon in der eigenen Muttersprache. Es geht dabei nicht um Abschottung vor fremden Sprachen. Aber man darf nicht mehr die Augen und Ohren davor verschließen, daß heute durch Werbung und mangelhafte deutsche Produktbeschreibung Millionen von Menschen aus dem muttersprachlichen Dialog ausgegrenzt sind. Sie werden zu sprachlichen Analphabeten im eigenen Lande gemacht.
Wer kein Englisch gelernt hat, versteht das Hinweisschild „fasten your seat belts in einer Taxe eben nicht und hat doppeltes Pech, wenn er auf einen Taxifahrer trifft, der wiederum kaum Deutsch versteht und spricht. So findet tagtäglich soziale Ausgrenzung von Menschen statt. Das ist eine Entwürdigung von Menschen und zutiefst unsozial.
Viele davon wagen kaum zu sagen, daß sie einen Teil des Sprachenalltags nicht verstehen. Wenn technische Alltagsgeräte wie Radio, Fernsehen oder Video-Recorder mit On/Off ein- oder ausgeschaltet werden müssen, ist mancher Verbraucher nur noch mit Hilfe der Gebrauchsanweisung in der Lage, diese oder andere wichtige Tasten wie Timer, Reverse und so weiter zu drücken und dabei zu wissen, was er damit auslöst.
Diese Entwicklung drängt unzählige Menschen im Lande in die Ecke. Sie können im Sprachverständnis nicht mehr mithalten. Es ist mehr als eine Zumutung, wenn beim Einkauf im Supermarkt der Kunde eine Duftnote von Teelichtern erschnüffeln muß, weil er nicht weiß und in Deutschland eigentlich auch nicht wissen müßte, daß strawberry Erdbeere oder blueberry Blaubeere heißt.
Und ein Türke, der mit Freude und Engagement gut Deutsch gelernt hat, muß am Ende ernüchtert feststellen, daß er damit das Leben in Deutschland immer noch nicht meistern kann, geschweige denn das verlockende „all you can eat buffet eines Restaurants annehmen, weil er mit seinen neu erworbenen Deutschkenntnissen nicht erkennt, daß er dort so viel essen darf, wie sein Magen faßt.
Der Alltag im Lande wird von Tag zu Tag unverstehbarer. Das muß ein Ende haben. Es muß wieder möglich sein, mit unserer Landessprache die hiesige Welt zu begreifen. Mit Sprachenfundamentalismus hat das nichts zu tun, sondern ist Teil von sozialer Gesamtverantwortung.
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