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Sprache / Artikel zur Sprache XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / 73. Im Vorfeld
 

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Im Vorfeld 
 Ein Schwammfeld und ein neuer Fall von Schwammdeutsch
Im Vorfeld zukunftsträchtiger Felder (Vor-, Mittel-, Haupt-, Neben-, Nach- und Umfelder)

 

Im Vorfeld der Ausarbeitung dieses Textes habe ich in mehreren Wörterbüchern recherchiert. Im Vorfeld? In einem Vorfeld, ursprünglich als „Gelände vor der eigenen Kampfstellung“ erklärt, habe ich mich eigentlich nicht bewegt; ich saß vor meinem nicht aufgeräumten Schreibtisch. Ich befand mich offensichtlich auch nicht in einem dem Wahl-Vorfeld ähnlichen geschweige denn gleichen Feld gemäß der neudeutschen Angabe: „Im Vorfeld der Wahlen?“ Was ist das nur für ein FELD?

Beim Beispiel der Ausarbeitung dieses Textes kann das Feld bedenkenlos weggelassen, also der Blähbegriff „im Vorfeld“ durch „vor“ ersetzt werden. Zweifel über den Sinn der Aussage entstehen nicht. Aber bei den Wahlen, wie es in neueren Wörterbüchern angegeben und immer häufiger vernommen wird? Ist mit dem „Vorfeld“ bei den Wahlen die Zeit (Zeitraum oder Zeitpunkt) vor den Wahlen gemeint? Oder handelt es sich um die Wahlvorbereitungen (Parteikongresse, Wahlversammlungen, Erörterungen des Wahlprogramms, Kandidatenaufstellungen, Kleben von Wahlplakaten, Finanzierungsbemühungen und vieles andere)? Sogar der Platz vor den Wahllokalen, worin Wahlen stattfinden, kann darunter fallen. Das Wort „Vorfeld“ wird demnach in eimem weitgefaßten Sinn verwendet, ohne sich über seine verschiedenen Bedeutungen im klaren zu sein. Es kann zeitlich, örtlich und abstrakt verstanden werden. Ein typischer Fall von Schwammdeutsch.

Unangenehm wird es für Leute im Wahlfeld, wenn plötzlich Störfelder entstehen, unangenehmerweise von links. Linke Einflußfelder bilden tückische Reizfelder. Auf diesem noch unbestellten Feld werden Themen für neue Feldtheorien angeboten.

Können wenigstens die Wörterbücher helfen, Klarheit zu verschaffen? Leider nein. Um es plastisch auszudrücken, in den seit 1955 ausgewerteten Werken wird mit dem Vorfeld herumgeeiert.

So stand im Mackensen von 1955 und im Duden von 1973 für Vorfeld noch: „Gelände vor den Stellungen“ bzw. „Gelände vor der eigenen Kampfstellung“. Im Bibliographischen Institut in Leipzig (Großer Duden von 1985) erinnerte man sich an die sprachwissenschaftlich klassische Bedeutung des Vorfeldes und gab den knappen Hinweis „(auch Sprachw.)“.

Ein Jahr später tauchte im Mackensen von 1986 nach der bereits bekannten Deutung „Vorgelände; (Mil.) der Hauptkampflinie vorgelagertes Gebiet;“ erstmals eine Version aus einen Gebiet auf, das dafür bekannt ist, immer wieder die Sprache verhunzenden Neuschöpfungen unters Wählervolk zu bringen, die Politik; dieses Mal mit der Formulierung „im Vorfeld der Wahlen“. Denkt da jemand etwa an Kampfhandlungen, wie es in älteren Wörterbüchern hieß?

Der Duden von 1989 definierte das Vorfeld genauer. Er brachte nicht nur die bekannte Ortsangabe, allerdings in erweiterter Bedeutung (außerhalb, vor etwas liegendes Gelände (Er lief über das Vorfeld zur Maschine) und den Hinweis auf die Politik (politische Aktionen im Vorfeld der Wahlen), sondern auch den Bezug zur Sprachwissenschaft mit dem Hinweis:„Gesamtheit der im Satz vor der finiten Satzform stehenden Satzteile.“

Diese Erkenntnis scheint in der Dudenredaktion danach in Vergessenheit geraten zu sein. In seinem Bd. 1 der deutschen Rechtschreibung von 1991 kennt er nur das Vorfeld der Wahlen.

Erst im Jahre 1998 erschien sein „Standardwerk zur deutschen Sprache in 12 Bänden mit einer ausführlichen Abhandlung im Band 4, Grammatik, zum Thema „Satzklammer und Stellungsfelder“ mit bisher unbekannten Darlegungen über Vor- und andere Felder. Gab es diese sprachlichen Begriffe vorher nicht oder waren sie nicht wert, erörtert zu werden? Jedenfalls heißt es da:

In Kern- und Stirnsätzen bilden Finitum und nichtfinite Prädikatsteile eine Klammer, in die die Satzteile eingeschlossen sind; außerhalb dieser Klammer bleibt im Kernsatz das Satzglied, das Erststellung hat. Man spricht hier von einer Satzklammer.

Und nach Beispielen weiter:

Von der Stellung der Klammerteile her gliedert man den Satz in Stellungsfelder. Das Feld vor dem ersten Klammerteil nennt man Vorfeld, das Feld zwischen den Klammerteilen Mittelfeld. In bestimmten Fällen kann man Teile des Satzes auch aus der Klammer herauslösen und hinter den zweiten Klammerteil setzen; man spricht dann von Ausklammerung und nennt das Feld hinter der zweiten Klammer Nachfeld. Weitere Darlegungen und Beispiele folgen.

Der Duden in 12 Bänden von 2000 kennt wieder nur das Vorfeld der Wahlen.

In der 10bändigen CD-Ausgabe des DUDEN (2000) werden die bekannt gewordenen Bedeutungen für „Vorfeld“ zusammengefaßt:

1. „außerhalb, vor etw. liegendes Gelände“ (er lief über das Vorfeld zur Maschine); und im Vorfeld (vor dem eigentlichen Beginn od. im Anfangsstadium eines Projekts o. Ä.); politische Aktionen im Vorfeld der Wahlen (dass der Staatsschutz bereits im Vorfeld einer konkreten Gefahr tätig werden müsse; Alle diese Fragen werden jetzt in Planspielen untersucht, damit wir schon im Vorfeld möglichst alle Probleme ausschließen können).

2. (Sprachw.) Gesamtheit der im Satz vor der finiten Verbform stehenden Satzteile. (siehe Duden von 1998)

Mackensen (2002) erweitert den Vorfeld-Bereich durch „Vorfenster“ und „Vorfilm“.

Die sprachliche Bedrohung

Die Analogie zu Kampfhandlungen im Vorfeld bietet, gerichtet auf Wahlen, an, auch die Begriffe Mittel- und Nachfeld einzuführen. Denn mit den Erkenntnissen aus dem Duden von 1998 über „Satzklammer und Stellungsfelder“, wonach es neben einem Vorfeld auch ein Mittelfeld und vor allem auch ein Nachfeld gibt, wäre es doch konsequent, zunächst, weil interessanter und brisanter, von einem Nachfeld der Wahlen zu sprechen. Gerade in den vergangenen Wochen nach der Bundestagswahl 2005 erlebten wir die klassischen (kämpferischen) Ereignisse des Nachfeldes von Wahlen, nämlich Sondierungsgespräche, Parteibesprechungen, Koalitionssondierungen, Fraktionsbesprechungen, Kanzlerdiskussionen, Ministerpostenschacher, Ministerpräsidentnachfolgerdiskussionen (Bayern) usw.

Das Mittelfeld der Wahlen, weniger kampfbetont, könnte von den Wahlen selbst einschließlich Auszählung der Stimmen gebildet werden. Die Vor-, Mittel- und Nachfeldangelegenheiten sind ausbaubar (neudeutsch nach Duden: ausbaufähig). Es haben sich bereits einige andere Vorfelder gebildet wie z. B. die von Besprechungen, Konferenzen, Sendungen, Entwicklungen, Telefonaten, Absprachen, Vergleichen usw. Eigentlich ist jetzt nichts mehr sicher vor eine Bevorfeldung, also vorfeldfrei. Wird die Aura des Menschen bald durch sein Vorfeld ersetzt? Das Vorfeld des Chefs könnte dann seine Mitarbeiter sehr beengen. Sein bohrender Blick durchdringt das Vorfeld Rivalen.

Wer schützt uns vor den Vorfeldern beim Aufstehen, Waschen, Zähneputzen, Essen, Baden, sogar Intimitäten (statt Vorspiel, und „danach“ das Nachfeld)? Und vor den Vorfeldern der Vorfelder und anderer Felder, wie den Mittelfeldern, den Nachfeldern und den Vorfeldern der Mittel- oder Nachfelder? Was wird den Fußballern einfallen? Die kennen bisher nur das Mittelfeld. Werden die Stürmer künftig das Vorfeld bilden und darin herumrennen (-gehen) und die Verteidiger das Nachfeld, das wiederum das Vorfeld des Tormannes ist, schützen?

Die Feldbetrachtung erhält wissenschaftliches Gewicht, wenn auch das Umfeld (oder Nebenfeld, ein Begriff, der noch nicht in den Wörterbüchern aufgetaucht ist) in seiner Bedeutung als "die allgemeine Umgebung" einbezogen wird. Betrachtet man die Beispiele für die Vorfeldgestaltung bei den Wahlen, dann ist bereits strittig, ob nicht einige davon bereits zum Umfeld/Nebenfeld gehören. Mindestens ist nicht auszuschließen, daß das Umfeld/Nebenfeld in das Vorfeld reicht Ferner dürfte häufig das Umfeld/Nebenfeld auch mit dem Mittelfeld oder Hauptfeld kollidieren, derart, daß alle genannten Felder Schnittmengen haben (ein Begriff aus der Mathematik: die Menge aller Elemente, die zwei Mengen gemeinsam sind. Im übertragenen Sinn wird von der "Schnittmenge an politischen Gemeinsamkeiten" gesprochen). Bei einem schmalen Mittelfeld (Wahlvorgang), wie es schon in zeitlicher Hinsicht anzusehen ist, wird das Umfeld/Nebenfeld zwangsläufig sowohl in das Vorfeld als auch in das Mittelfeld/Hauptfeld und das Nachfeld reichen mit entsprechend vielen Schnittmengen. Eine neue Feldtheorie steht und bevor.

Den Sprachverhunzern bieten sich schier unerschöpfliche Felder, besonders das Hauptfeld des Vorfeldes für sprachentwicklungsraffende Erkenntnisse an. Vom Duden, dem Vorfeldjäger von Sprachschöpfungen sind bisher keine Überlegungen bekannt, ob und welche weiteren Feldbedeutungen als Teil der Umgangssprache bereits auf der Liste der Anwärter für die Wörterbücher stehen. Es ist wie immer eine Frage der Zeit, bis sich die Vorfeldentwicklungen im Mittel- d. h. Hauptfeld der verantwortungsvollen Wörterbuchgestaltung analog der Schwammfloskel „davon ausgehen“ als „dudenfähig“ (ebenfalls eine Dudenschöpfung“ herausstellen.

Dem Feldbegriffen droht das gleiche Schicksal wie dem Modal(Abtönungs)-Partikel „etwa“, das ohne „in“ nicht mehr denkbar ist, der Schwammfloskel „davon ausgehen“ und der neuen Sprechblase „von daher“.

U.W.

16.10.2005

 



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