In den Vorständen der Firmen BASF und Bosch herrschen verschiedene Meinungen über das Beachten der Doktorgrade, jeweils als Titel bezeichnet. Die Übernahme internationaler Gepflogenheiten in der einen Firma (BASF) steht gegen die kleinkarierte Huldigung auf Grund der akademischen Verzierung in der anderen (Bosch). mehr im Leserbrief an die SZ.
Bocks (BASF) Vorstoß wurde nicht nur in der SZ ignoriert, sondern auch in anderen Blättern wie ZEIT und Spiegel, die sich ebenfalls wie die SZ als Horte der Meinungsbildung verstehen. Sahen sie in Bocks Vorschlag den Bruch eines in ihren Redaktionen streng gehüteten Tabus? Die Promovierten In der SZ Redaktion jedenfalls weigern sich konsequent, ihre Titel im Impressum streichen zu lassen. Die Leserbriefredaktion der SZ traut sich nicht, den Titel von Briefschreibern zu ignorieren. Offenbar sollen die veröffentlichten Meinungen der Titelträger mehr Gewicht erhalten, dem Vorurteil entsprechend, der Herr Dr. Meier könne, wisse und leiste mehr als der Herr Meier. Befürchtet die Redaktion, des Titels beraubte Leser zu verlieren? Wegweisend und vorbildlich verhält sich dagegen die SZ-Redaktion „Wissen. Seit einigen Jahren werden Titel grundsätzlich nicht genannt, wie es international üblich ist.
Nach Jahrzehnte langem Weihrauchschwenken vor Titelträgern verharrt Deutschland in einer Bettelrolle nach Kompetenz und Ansehen. Bocks Aufforderung an seinen Konzern, „Schluss mit der Titel-Huldigung sollte besonders in Regierung, Parlament, Behörden und Institutionen ernst genommen werden. Doch in den Bastionen des seit der Kaiserzeit in Deutschland betriebenen Titelkults denkt kein Titelträger daran, auf das Ansehen verleihende Statussymbol zu verzichten. Auch auf die therapeutische Bedeutung der akademischen Verzierungen als psychischer Stabilisator und universeller Komplexdämpfer wollen die Betroffenen in der Titelpflegeanstalt Deutschland nicht verzichten: Sollte der aufmerksame Firmengründer Bosch schon damals bemerkt haben, dass die zwei Buchstaben vor dem Namen in (zu) vielen Fällen nur Ausdruck persönlicher Eitelkeit und Vortäuschung von Kompetenz waren?
Die urteilswidrige Verschmelzung mit dem Namen nährt den traditionellen Glauben an eine überdurchschnittliche, wissenschaftliche Leistung. Sie wird hiermit keinesfalls bestritten. Solange jedoch Doktorgrade unredlich erworben und die Dissertationen in der Regel unbekannt bleiben sind Zweifel am lebenslang gelten hohen Ansehen der Promovierten angebracht. Es wird noch lange dauern, bis das weit verbreitete Vorurteil durch eine realistische Beurteilung der menschlichen und geistigen Qualitäten des Promovierten ersetzt sein wird.
Wer seit vielen Jahren den überspannten Titelzirkus in Deutschland erlebt, dem erscheint die Frage der FAS als „Stich ins Wespennest:
"Ist Bocks Anregung ein „Kulturschock für deutsche Unternehmen oder ein überfälliger Befreiungsschlag gegen ein landestypisches Relikt aus längst vergangenen Zeiten?
Er bewies Mut und Selbstbewusstsein, in dieser titelgeilen Gesellschaft inmitten promovierter Kollegen und Freunde den Doktorgrad in Pass und Ausweis streichen zu wollen: Wolfgang Schäuble (Dr. jur.). Als Bundesinnenminister kannte er die schon lange bestehenden Nöte der Meldeämter beim Eintragen akademischer Grade in den Ausweispapieren und die Deutungsprobleme bei den Kontrollen an den Grenzen. Der Irrglaube, der Doktorgrad sei Bestandteil des Namens, bestimmte immer noch die Umgangsformen n der Gesellschaft. Die auf den Irrtum gerichteten Urteile höchster deutscher Gerichte (BVG. BGH) waren vergessen oder wurden konsequent ignoriert. Schäuble scheiterte im Jahre 2006 im Bundesrat am Einspruch des Traditionsgurus Günther Beckstein (Dr. jur.). Das Hochsicherheitsdokument Ausweis konnte also weiter statt nach rechtlichen Normen nach Eitelkeitssymptomen gestaltet und als Visitenkarte missbraucht werden. Und die 2008 eingeführte digitalisierte Form des Personalausweises beließ alles beim Gewohnten, statt endlich den Titelzopf abzuschneiden. Damit wäre auch die Diskriminierung der titellosen Akademiker beendet.
Regierung, Parlament und Anstalten des öffentlichen Rechts wie der Bayerische Rundfunk betrachten noch heute die oben genannten Urteilssprüche als Stammtischparolen. (Wenn es ein Hörer wagt, an die altbekannten Urteile zum Doktorgrad zu erinnern, begeht ein "Sakrileg" und wird mit Zensur seiner Meinung belegt.) Das Parlamentsprotokoll liest sich wie ein Tagungsbericht eines medizinischen Kongresses. Nur vereinzelt wagen es Redaktionen von Druck- und Funkmedien, auf die Angabe informationsarmer akademischer Verzierungen bei Anrede und Vorstellung von Gästen und Autoren zu verzichten.
Ulrich Werner, am 7.8.2013
Das deutsche Titelwesen
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