Die Erkenntnisse der forensischen Pädagogik werden schon seit langem nicht mehr bestritten. Danach haben höhere Strafen keine abschreckende Wirkung. Das gilt auch für Länder mit der Todesstrafe wie die USA. Was sagen Fachleute zu den Forderungen nach härteren Strafen? Hier Ausschnitte aus ihren Stellungnahmen:
Christoph Frank, Chef des Deutschen Richterbunds, weist Vorschläge wie „Warnschussarrests, Erziehungscamps und schnellere Abschiebung zurück. „Die Formel „Härter Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten ist schlicht falsch. SZ, 4.1.)
Christian Pfeiffer, Kriminologe und Experte für Jugendstrafrecht, hält die Verschärfung des Strafrechts für Jugendliche für den völlig falschen Ansatz. Sein Maßstab ist, ob der Täter nach der Verurteilung straffrei bleibt. Er plädiert vor allem für mehr Prävention mehr Bildungschancen etwa und Haftstrafen für Mehrfach(gemeint sind Mehrmals-)täter).
Burkhard Zuppke, Berliner Oberstaatsanwalt, meint, „Das ist ein Sozialisationsproblem. Die jungen Männer aus Migrantenfamilien leben in einer Parallelwelt mit anderen Werten.
Deutsches Jugendinstitut (DJI): Laut einer Erhebung gibt es im Gewalttäterland Deutschland 280 Heimplätze. Das reiche nicht einmal für den Bedarf einer einzigen Großstadt. (Spiegel 2/2008)
Wiebke Steffen, Leiterin des Dezernats Forschung, Statistik, Prävention beim bayerischen Landeskriminalamt: „Die Jugendkriminalität sinkt seit einigen Jahren, auch die Gewalttaten durch Jugendliche gehen zurück. ... Wer meint, höhere Strafen würden Jugendliche von Gewalt anhalten, sehe nur einen rationalen Täter, der genau plant, was er wie machen wird. Das ist jedoch bei Jugendlichen fast nie der Fall. Schnelle Sanktionen sind besser als harte Strafen.
Hans-Jürgen Kerner, weltweit angesehener Jugendkriminologe und Tübinger Rechtsprofessor: Auch er sieht eine „Gleichwirkung aller jugendrechtlichen Sanktionen. „Es ist eigentlich egal, ob ein junger Mann eingelocht oder nur in Arrest genommen, verwarnt oder auf Bewährung verurteilt wird: Sein Verhalten wird das alles kaum ändern. (Spiegel 2/2008) Jörg Kinzig, Tübinger Strafrechtsprofessor: „Die Hoffnung, das im Strafrecht irgendetwas repariert werden könne, was schon lange vorher kaputtging, ist absurd. (Spiegel 2/2008)
Unter „Helden und Maulhelden schreibt Heribert Prantl: „Das deutsche Jugendstrafrecht ist gut, ja: Es ist weltweit vorbildlich. Aber seine Ausführung in er Praxis ist ein Desaster, vor allem deswegen, weil es kaputtgespart wird, auch und vor allem in Hessen. Roland Koch hat den Einrichtungen der Jugend- und Gefangenenhilfe Zuschüsse gestrichen; er hat jeweils mehr als hundert Stellen im Strafvollzug und in der Justiz abgebaut. In Hessen stehen Jugendliche wochenlang auf der Warteliste, bis sie den Arrest antreten müssen. Nicht das Gesetz muss geändert werden, sondern seine Praxis verbessert werden. Da könnte Koch mit gutem Beispiel vorangehen. ... Das Jugendstrafrecht, auch das hessische, ist ein kluges, phantasievolles, individuell anpassbares Recht. Wenn Politiker es kaputtmachen, ist das fast eine Straftat. (SZ, 7.1.)
Heribert Prantl: „Wer Wind sät ... Es ist aber genau so zynisch und schamlos, den Leuten weiszumachen, man könne mit einer höheren Höchststrafe und mit der Errichtung von Kuckucksnestern Gewalttaten eindämmen und jugendliche Täter beeindrucken wie der Wahlkämpfer Roland Koch das tut. Die Drillcamps für Jugendliche, von denen Koch und Co. Jetzt schwadronieren, wären Brutstätten für noch mehr Gewalt. (SZ, 9.1.)
Micha Brumlik, Professor für Erziehungswissenschaften an der Uni Frankfurt am Main „Angst vor der Jugend Der populistische Ruf nach „Erziehungscamps offenbart die autoritären Sehnsüchte einer verunsicherten Gesellschaft - ... .... Allerdings dürfte durch die intensive öffentliche Debatte inzwischen klar geworden sein, dass aus fachlicher, aus sozialpädagogischer, kriminologischer oder rechtspolitischer Sicht nichts, aber auch gar nichts für den von der CDU beschlossenen Forderungskatalog von „Warnschussarrest, längere Haftstrafen, erleichterter Abschiebung sogar hierzulande geborener Personen uns sogenannten Erziehungscamps spricht. (DIE ZEIT Nr. 3 - 10.1.) .... Der Wahlkampf Roland Kochs und Angela Merkels beruht auf fachlich unausgewiesenen Rezepten, aus untauglichen Verschärfungen, aus hohlen und nicht haltbaren rechtspolitischen Verheißungen sowie einem massiven Etikettenschwindel. Koch und Merkel tun so, als seien Erziehungscamps etwas grundsätzlich anderes als lediglich ein weiteres Konzept zur Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs beziehungsweise zur Anreicherung der breiten Palette jugendstrafrechtlich-pädagogischer Angebote.
Christian Denso :„Gefühlte Bedrohung ... Deutschland ist nicht gefährlicher geworden, aber fürchtet sich vor jugendlichen Intensivtätern. Zu Recht? ... Fachleute warnen vor einer Überbewertung der Zahlen. ... Auch ein Blick ins Ausland relativiert die aktuelle Aufregung. Denn im internationalen Vergleich zeigen die Kriminalstatistiken einen weitgehend einheitlichen Trend. Was immer die statistische Zunahme der Gewaltverbrechen verursachen mag ob wachsende Anzeigebereitschaft, zunehmende Gewalttätigkeit oder beides zusammen das Phänomen kennen die meisten europäischen Länder, in Deutschland ist es eher immer noch geringer ausgeprägt. Kurzschlussargumente, die auf rot-grüne Laschheit oder konservativen Rigorismus verweisen, gehen an dem Problem offensichtlich vorbei. (ZEIT Nr. 3 10.1.)
Bernd Maelicke, einer der führenden deutschen Strafvollzugs-Experten, Direktor des Deutschen Instituts für Sozialwirtschaft in Lüneburg in "Außenansicht": Allein gegen die Fachwelt ... Die Fachwelt könnte helfen. Aber sie wird in diesen Tagen von niemanden aus der Union zu Rate gezogen. ... Koch und die Union haben sich verrannt wenn sie etwas tun wollen, dann sollen sie mehr Bewährungshelfer einstellen und nicht von Warnschussarresten schwafeln. ... Höhere Strafen führen eben nicht dazu, dass die Kriminalität zurückgeht. ... Was Wahlkämpfer Koch will, ist in Wahrheit die kurze Jugendstrafe unter sechs Monaten, die das deutsche Recht aber aus guten Gründen ausgeschlossen hat. Alle empirischen Untersuchungen zeigen, dass bei kurzen Freiheitsstrafen die Rückfallgefahr besonders hoch ist. Sie schrecken nicht ab, dafür sind ihre entsozialisierenden Wirkungen hoch. Wer ins Gefängnis kommt, kommt nun mal auch ins Milieu der Subkultur. (SZ, 10.1.)
Die christlichen Parteifreunde bis zur Kanzlerin stehen Koch zur Seite und fordern vehement die gesetzlichen Regeln, die es bereits schon gibt oder die von allen namhaften Fachleuten als wirkungslos abgelehnt werden. Ein auffälliges Beispiel dafür, wie wenig wissenschaftlicher Sachverstand wahltaktische und leider auch populistische Forderungen verhindern kann.
Weitere Stimmen:
Kreisverwaltungsreferat München: Das Abschieben von Nichtdeutschen ist gesetzlich geregelt. „Populistische Schnellschüsse lehne man ab. (AZ Mü, 28.12.)
Sigi Benker, Fraktionschef der Grünen im Münchener Stadtrat meint: „Es sind zum Glück unabhängige Richter für die Bestrafung zuständig - und nicht Politiker, die wiedergewählt werden wollen. (AZ Mü, 28.12.)
Frank-Walter Steinmeier, Vizekanzler und Außenminister, warf Koch einen "brutalstmöglichen Populismus", und
Dirk Niebel, Generalsekretär der FDP, wieder einen "aggressiven Wahlkampf gegen die Ausländer vor. (SZ, 31.12./1.1.)
Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister lehnt die vom hessischen Ministerpräsidenten Koch geforderte Verschärfung des Jugendstrafrechts ab. Defizite gebe es eher bei der Anwendung der vorhandenen Gesetze, sagte der CDU-Politiker im Bayerischen Rundfunk. Gewalt durch Jugendliche sei zudem kein spezielles Problem von Ausländern. (3.1.)
Annette Ramelsberger in der SZ vom 3.1.: „Die frühen Wurzeln der Gewalt Erziehungscamps für Jugendliche Straftäter können Versäumnisse der Eltern nicht ausgleichen. ... Der Ruf nach Erziehungscamps ist nichts anderes als der Ruf nach mehr Konsequenz, nach mehr Kümmern, nach mehr Kontrolle. An allen drei Ks mangelt es: Statt dass Strafe für erste kleine Straftaten sofort auf dem Fuß folgt, lassen sich Staatsanwaltschaften oft monatelang Zeit, bis sie reagieren. ... Ein Warnschuss von vier oder sechs Wochen könnte unter dem Gedanken der Erziehung durchaus hilfreich sein.
Christian Ude, Münchens Oberbürgermeister, in der AZ am 5.1.: .... „Quelle der Gewalt scheint in der Familie des 20jährigen Türken (1. Überfall s. o.) der gewalttätige Vater zu sein. Das Münchener Kreisverwaltungsreferat wollte ihn ausweisen, wurde aber vom Bayerischen Verwaltungsgericht daran gehindert. Vor diesem Hintergrund überrascht es schon, dass die Minister des Kabinetts Beckstein in diesem Fall die Stadt kritisieren und Bayerns Justiz pauschal loben. .... „Die wesentlichen Weichen werden schon in den ersten Lebensjahren gestellt. Gerade Kleinkinder aus Problemfamilien sollten pädagogische Anreize statt häuslicher Gewalt erleben. ... Entscheidend für die Zukunftschancen ist dann die Schulzeit. ... Aber woran fehlt es vor allem? An Schnelligkeit! ... Staatsanwaltschaft und Gerichtsbarkeit sollten so ausgestattet werden, dass die Konsequenzen der Tat auf dem Fuße folgen! ... Ude zu Schäuble („wahrlich kein Schönfärber): ... hat es auf den Punkt gebracht, als er sich gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts aussprach und eher Defizite bei der konsequenten Anwendung durch die Gerichte sah.
SPD lehnt schärfere Gesetze ab, besonders die auf ihrer Vorstandsklausur in Wiesbaden geforderten. Beck „macht betroffen, wie die Union, allen voran die Wahlkämpfer, mit einem solchen Thema umgehen. Statt Gesetzesverschärfungen sollten die vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. „Es hindert uns niemand, härter zu betrafen. (SZ, 7.1.) Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) warnte u. a. vor „Wahlkampfgetöse. Die Position der SPD sei klar, „Wir müssen hart gegen die Kriminalität vorgehen, aber vor allem ihre Ursachen konsequent bekämpfen. Das notwendige gesetzliche Instrumentarium sei vorhanden, um Verfahren schneller abzuschließen. (SZ, 7.1.)
Frank-Walter Steinmeier, SPD-Vize, bezeichnete Kochs Wahlkampf-Kampagne als „erbärmlich. Koch versuche, „mit kaum verhohlener Ausländerfeindlichkeit Stimmen zu gewinnen. Nur die rechtsradikalen Republikaner haben Beifall geklatscht. (SZ, 7.1.)
Stefan Braun: „Merkels neue Schwäche (SZ, 7.1.) ... Die bislang so abwägende und vorsichtige CDU-Vorsitzende ... ließ an der Seite Roland Kochs alte Hemmungen fahren. ... Sie hat die Bühne der Skrupellosen betreten.
Brigitte Zypries Bundesjustizministerin (SPD), von Koch als „personifiziertes Hindernis bezeichnet, im Interview: „Den Jugendarrest als Warnschuss, wie ihn die Kanzlerin fordert, haben wir längst. Der wurde offenbar auch gegen den 20-jährigen im Münchener U-Bahn-Fall schon mehrmals verhängt. Insgesamt war dieser Beschuldigte sogar sechs Monate in Haft, also deutlich länger, als es für den „Warnschuss-Arrest diskutiert wird. Genützt hat diese Erfahrung aber offenbar nichts, und das deckt sich mit den Erkenntnissen, die wir über den Jugendarrest haben. Danach werden Jugendliche Straftäter mit Arrest häufiger rückfällig als ohne. ... Wenn es ihm (Koch) ernst ist mit dem Kampf gegen Jugenddelinquenz, muss er sich fragen lassen, weshalb Hessen im Jahr 2004 freiwillige Leistungen im Bereich der Justiz um rund ein Drittel gekürzt hat. Betroffen waren Projekte zur Untersuchungshaftvermeidung, Bewährungshilfe und ambulante Hilfen. Zuwendungen für ein Anti-Aggressions-Trrainung wurden völlig gestrichen. Wenn es um konkrete Taten geht, scheint Herr Koch sich wegzuducken.( Spiegel 2/2008) Allgemein: Die Idee, die gefährlichen jungen Straftäter einfach wegsperren zu können, prägt nicht nur die Wahlkampfparolen Roland Kochs. Ob Verschärfung der Regeln über die Jugendstrafe, eine Verlängerung der Haftzeiten, vereinfachte Verhängung der Untersuchungshaft oder den schnellen Warnschussarrest, den etwa auch Hamburgs parteiloser Innensenator Udo Nagel favorisiert viele wünschen sich, die Jungs mit archaischen Gewaltphantasien wegsperren zu können: nur weg, weg von der Strasse egal, ob es etwas nutzt.
Es nutzt nichts. Ein Jugendrichter, der einen jungen Man ins Gefängnis steckt, gibt ihn auf. Wer einmal im Jugendknast saß, hat keine Chance lebenslang. Um die 80 Prozent liegt die Rückfallquote bei den zu Jugendstrafe verurteilten jungen Männern. Spiegel 2/2008 „Reiches Land mit Reparaturbedarf Während die Jugendhilfe eine bessere Prävention verlang, setzt die Justizministerin (Beate Merk) auf Abschreckung (SZ, 10.1.)
Johannes Friedrich, evangelischer Landesbischof: Migranten in Deutschland brauchen Hilfe zum geistlichen Überleben. (SZ, 10.1.)
„Dichtung und Wahrheit Roland Kochs eindrucksvolle Äußerungen zum Thema Kriminalität in Deutschland (SZ, 10.1.)
Die Bayerische Justizministerin Beate Merk trat dem Vorhaben beim CDU-Ministertreffen (Herabsetzung der Grenze der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre) entgegen. „Ich bin immer der Meinung gewesen, dass die Strafmündigkeit bei 14 Jahren gut aufgehoben ist und da auch bleiben soll, sagte sie der Sz. Zwar müsse man Kindern „so früh wie möglich Grenzen setzen und bei Fehlverhalten „konsequent eingreifen, damit sich keine kriminellen Karrieren entwickelten, doch genügten dafür die Regelungen des Familienrechts oder des Jugendstrafhilfegesetzes. Man dürfe Kindern „kein Stigma auf die Stirn heften, indem man sie als Kriminelle verurteile. (SZ, 11.1.)
Zur Debatte um ein härteres Jugendstrafrecht: Ein vergleichender Blick auf andere Länder (SZ, 11.1.)
USA "Noch immer werden Jugendliche lebenslang weggesperrt"
Schweden - "Die Schuld wird nicht beim Einzelnen, sondern in der Gesellschaft vermutet"
Frankreich - "Sarkozys neues Strafrecht setzt Abschreckung"
Großbritannien - "Mehr Gewaltverbrechen aber auch mehr Prävention"
Schweiz - "Das „Ausschaffen: Wie man mit der Angst vor Ausländern Wahlen gewinnen kann"
Sobald die Wahlen gelaufen sind, wird das Thema wieder vergessen. Gefängnisse werden gebaut nach der Devise:
Wegsperren statt fördern.
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