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Gehirn - Geist / Gehirn & Geist Ausgaben / Jahrgang 2008 / 6/2008 / G.Fantasie nach Noten
 

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Fantasie nach Noten 
 Über musikalische Vorstellungskraft und die Macht der Töne

G&G Nr. 6/2008, S. 48 -55

Musik ist für die meisten von uns ein wichtiger und meist angenehmer Teil des Lebens - und zwar nicht nur die äußerliche Musik, die Musik, die wir mit den Ohren hören, sondern auch die innerliche Musik, die Musik, die in unserem Kopf erklingt. Als Galton in den 1880er Jahren über "Vorstellungsbilder" schrieb, beschäftigte er sich nur mit visuellen Vorstellungen und nicht mit musikalischen. Doch man braucht nur den eigenen Freundeskreis zu befragen, um festzustellen, dass die Spannweite des musikalischen Vorstellungsvermögens nicht geringer ist als die des visuellen Vorstellungsvermögens. Es gibt Menschen, die kaum eine Melodie behalten können, und andere, die ganze Symphonien in ihrem Kopf hören, und zwar fast so detailliert und lebendig, als wohnten sie einer tatsächlichen Aufführung bei.

Mir wurden diese enormen Unterschiede schon früh bewusst, denn meine Eltern befanden sich an den entgegengesetzten Extremen dieses Spektrums. Meine Mutter hatte Schwierigkeiten, sich willentlich eine einzige Melodie zu vergegenwärtigen, während mein Vater ein ganzes Orchester im Kopf zu haben schien, bereit, ihm jeden Musikwunsch zu erfüllen. Stets hatte er zwei oder drei Taschenpartituren bei sich, und zwischen zwei Patienten zog er oft die eine oder andere hervor und gönnte sich ein kleines inneres Konzert. Er brauchte keine Schallplatten aufs Grammophon zu legen, denn er konnte eine Partitur fast lebensecht in seiner Vorstellung erklingen lassen, möglicherweise mit verschiedenen Stimmungen oder Interpretationen, manchmal sogar mit eigenen Improvisationen. Seine bevorzugte Bettlektüre war ein Lexikon der musikalischen Themen;
er schlug einige Seiten auf, fast zufällig, ließ genüsslich dieses und jenes auf sich wirken und brachte schließlich, von irgendwelchen Anfangstakten angeregt, eines seiner Lieblingsstücke – eine Symphonie oder ein Konzert – zum Erklingen: seine Kleine Nachtmusik, wie er das nannte.

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