»Du spielst nicht mit«, motzt die dreijährige Lisa. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie die Bauklötze für sich allein haben will. Als ihr kleiner Bruder Jens nach den bunten Steinen greift, schmollt sie. Wie egoistisch, alle Steine für sich zu beanspruchen! So die Perspektive eines Erwachsenen. Doch darüber macht sich die Dreijährige offenbar keine Gedanken. Die Vermittlungsversuche der Mutter prallen an ihr ab erst als diese droht, ihr die Steine wegzunehmen, lässt Lisa Jens mitmachen.
Warum denken Kleinkinder nur an sich? Kommen Menschen als Egomanen auf die Welt und haben als Dreijährige einfach noch nicht gelernt, auf die Bedürfnisse und Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen? Diese Fragen werden in der Forschung derzeit kontrovers diskutiert. Lange Zeit glaubten Psychologen, die Fähigkeit zum sozialen Miteinander hänge vor allem mit der kognitiven Reife zusammen. Heute kristallisiert sich dagegen heraus: Insbesondere das Einfühlungsvermögen eines Kindes ist wichtig dafür, wie es sich moralisch entwickelt.
Die ersten Ansätze von Empathie sind spontane Reaktionen auf den Gefühlszustand anderer. Mütter kennen das Phänomen: Fängt ein Säugling im Wartezimmer beim Kinderarzt an zu schreien, stimmen andere Babys häufig mit ein, weil sie noch nicht zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung unterscheiden können.
Schon mit knapp 18 Monaten versuchen Kleinkinder andere mitunter aktiv zu trösten etwa indem sie versuchen, ein weinendes Krabbelkind mit Keksen aufzuheitern. Im Alter von zwei bis drei Jahren wächst der Wunsch zu helfen. Denn allmählich können die Kleinen nicht nur einfache, sondern auch komplexere zwischenmenschliche Gefühle nachempfinden etwa wie es sich anfühlt, enttäuscht oder betrogen zu werden. Dies hängt sowohl mit der emotionalen als auch mit der kognitiven Entwicklung zusammen: Mit zunehmender Reife können Kinder die Perspektive anderer einnehmen und haben gelernt, wie man andere kompetent tröstet.
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