Sprachschöpfungen aus Zeitungen
Sie sagten es mit Würde- und sie sagen es auch heute noch - nach Jahrzehnten:
"Ich würde meinen wollen ... " "Ich würde zu hoffen wagen ... " "Ich würde gewollt haben wollen ... " "Ich würde gewollt zu haben meinen ... "
Aus dem Lokalblatt von Bad Aibling, am 20.01.1976
Seit wann die Würde-Seuche grassiert, ist schwer zu sagen. Feststeht vielmehr, daß bis jetzt noch niemand das Übel an der Wurzel fassen und es ausrotten konnte. Wenn ich etwas zu sagen haben würde, würde ich sagen, daß es ein richtiger Schmarrn ist mit dem würde. Ich würde meinen, es würde nicht unter der Würde sein, mit dem Würde-Unfug Schluß zu machen!
Wenn beispielsweise ein Politiker über irgend ein aktuelles Thema befragt wird, so beginnt seine Antwort in den allermeisten Fällen mit: "Ich würde sagen..." oder "Ich würde meinen..." Solche Sprachverhunzung kann zu Mißverständnissen führen. Man könnte nämlich auf den Gedanken kommen, es sei irgendwie von der Zukunft die Rede. Die Politiker - aber nicht nur diese! - reisen also in der reinen Möglichkeitsform. Sie sagen nichts Konkretes aus, sondern das, was sie zu sagen hätten, würden sie erst sagen, wenn sie darum gefragt würden. Warum sagt eigentlich kein Moderator, Kommentator, Schauspieler oder was immer es sein mag, schlicht und einfach: "Ich bin der Meinung . . ." oder "Ich bin überzeugt. . ." oder "Ich glaube..., daß es sich sich und so verhält".
Der "Würde-Rummel" hat sich in den letzten Jahren leider schon so weit in unser Sprachgefühl und in unseren Sprachgebrauch hineingefressen, daß ihm manchmal selbst "gschdudierte" Leute erliegen. Als ich neulich einen Bekannten fragte, wie er mit seiner Dissertation vorankomme, antwortete er: "Ich würde sagen, daß die Sache ganz gut läuft." Beinahe hätte ich gesagt: "Ich würde dir gratulieren.", verbiß es aber in letzter Sekunde. Würde kann zur Bürde werden, lautet ein geflügeltes Wort. Unser "würde" aber ist eine Bürde, würde ich sagen...
zw
Aus DIE ZEIT vom 22.10.1965
Auf eine Frage des Interviewers leitet der prominente Gast, kräftig auf seinem Sessel sitzend und ein wenig vorgebeugt (die Hände vor dem Bäuchlein berühren sich), seine Antwort, obwohl er Tatsachen seiner Forschung mitteilen, nicht vage Meinungen äußern möchte, mit der Wendung ein: "lch würde sagen..."
Nicht nur auf dem Fernsehschirm ist das zu beobachten. In unserer Sprache, der mündlichen zumal, der Sprache der Grünen Tische, Konferenzen und Frühschoppen, hat sich die Wendung "Ich würde sagen" schon längst eingenistet. Sie besagt nicht mehr, was sie besagen sollte, nicht das Unbestimmte, Infragegestellte, das an Bedingungen Geknüpfte, nicht eigentlich den Konditionalis, wie die Grammatiker sich ausdrücken. Sie taucht auch dort auf, wo ein "Es ist so und so" oder allenfalls ein dezidiertes "Ich meine" am Platze wäre.
Hinter dem Mißbrauch steht nicht etwa distanzierende Bescheidenheit, auch nicht lediglich die unbedachte und sprachungebildete Verwechslung zweier grammatischer Formen. Der falsch angewandte Konditionalis ist eine Sprachattrappe. Hinter ihr versteckt und windet sich der Sprechende. Ein Lauern verbirgt sich darin, ein zaghaftes oder ängstliches Beobachten: Ein Hintertürchen wird offengelassen. Hier, wo die Sprachattrappe als legitimes Mittel zugelassen ist, muß zwar nicht arglistig getäuscht und gelogen werden. Aber es wird auch nicht "mit offenem Visier" gekämpft. Die Attrappe ist ein Symptom: des Zeitalters der Ängstlichkeit und Unsicherheit.
Auf diesen Seiten der ZEIT ist früher schon die Auffassung vertreten worden, daß, wer ich meint, auch "ich" sagen sollte - statt sich hinter einem konventionellen "wir" von heuchlerischer Bescheidenheit zu verstecken. Das falsch angewandte "wir" ist, so meine ich, dem falsch angewandten Konditionalis verwandt: Beides sind Attrappen, Hilfsmittel der Ängstlichkeit und Vernebelung.
Wo wir Sprachfehler entdecken, wo wir uns ihrer bewußt werden, sollten wir sie über Bord werfen. Das bedeutet dann allerdings nicht nur, daß wir grammatische Formen nicht weiter verwechseln. Das bedeutet zugleich auch, daß wir auf Attrappen im Umgang miteinander verzichten.
Denn Sprache ist ja immer mehr als nur Artistik mit Vokabeln, Grammatik und Syntax: In ihr verwirklichen wir einen Teil unseres geistigen Lebens, und mit ihrer Korrektur - korrigieren wir das Leben.
Rene Drommert
|