Sehr geehrte Frau Kötting,
dem gestrigen Tagesgespräch habe ich wieder mit großem Interesse zugehört. Sie habe gewandt moderiert; auf das Thema hatten Sie wahrscheinlich keinen Einfluß gehabt. Ich bezweifle, ob es grundsätzlich angebracht ist, Urteile über einen Menschen abzufragen, dessen Schuld, oder besser gesagt, dessen ursächliche Verantwortung noch nicht endgültig feststeht. Kein Richter würde vergleichsweise einem Beschuldigten vorab ankündigen, ob und welche Strafe er zu erwarten habe. Sie haben - auftragsgemäß - erforschen müssen, ob Fischer noch Vertrauen verdiene. Diese Frage könnte allenfalls dann gestellt werden, wenn die Sachaufklärung beendet gewesen wäre. Bei allem Verständnis für das Bestreben der Tagesgespräch-Redaktion aktuell zu sein: derartige verfrüht gestellte Themen verstärken allenfalls die Tendenz unter den Menschen, Vorurteile zu pflegen. Der Neigung dazu sollte entgegengewirkt werden.
In protokollarischer Hinsicht fiel mir Ihr devotes Verhalten dem akademisch gebildeten Studiogast (Professor) und dem zugeschalteten Politiker (Doktor) auf. Weder akademische Titel (Professor) noch akademische Grade (Doktor) sind Bestandteil des Namens. Eine Pflicht zur ständigen Erwähnung vor dem Namen besteht nicht. Der permanente akademische Kniefall vor den dekorierten Akademikern steht im Widerspruch zum Selbstbewußtsein, das Sie ausstrahlen. Vielleicht wollten Sie auch nur höflich sein. Dann wäre der BR z. B. in allen Nachrichtensendungen unhöflich.
Nach wie vor fehlt mir auch das Verständnis dafür, daß jeweils nur das Kürzel „Dr. angegeben wird und nicht auch die dazugehörende Fakultät. Erst dann wäre der akademische Grad vollständig genannt und das Fachgebiet des Gradträgers erkennbar, das ihn als Fachmann für das spezielle Tagesgespräch-Sachgebiet ausweist.
Für Informationen biete ich Ihnen:
Akademische Grade, Praxis und Rechtsprechung und
Leserbrief in der FAZ zum Thema Anrede mit „Professor
Auf weitere interessante Sendungen mit Ihnen freut sich mit herzlichen Grüßen Ulrich Werner
Ein seltener Fall von Einsicht:
Frau Kötting dankte mir herzlich für mein Interesse am Tagesgespräch und meine Mail, auch für meinen Hinweis über den Umgang mit akademischen Titeln.
Bei einem Professor als Studiogast würde der Titel gerne als Signal genannt, daß ein "Experte" eingeladen sei. Hörerinnen und Hörer, die sich erst während der laufenden Sendung zuschalten, könnten sich dann leichter orientieren.
Es sei sicherlich nicht ihre Absicht gewesen, devot zu wirken, sondern es sollte eher höflich sein. Frau Kötting räumte ein, bei Norbert Röttgen hätte sie sicherlich auf den Titel verzichten sollen. Sie werde meine Anregung aufnehmen und in der nächsten Sendung den "Doktor" weglassen - ausser, wie erwähnt, es diene der Orientierung für den Hörer!
Kommentar:
Die Orientierung der Hörerschaft wäre allerdings dadurch erleichtert, daß nicht nur der verstümmelte akademische Grad Doktor (Dr.) oder ein Titel (Professor) angegeben würde, sondern jeweils auch das Studienfach. Auf dieses Versäunnis habe ich die Tagesgespräch-Redaktion mehrere Male vergeblich hingewiesen.
Ulrich Werner
Antwort an Frau Kötting
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