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Bildung Grade Titel XXXXXXXXXXXXXXXXXXXX / Doktor-Grad, Übersicht / Guttenbergs Jagd nach dem Doktortitel / Ein akademisch geadeltes Falschspiel in / Kommentar
 

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Ein akademisches Falschspiel 

 Kommentar zum Fall Karl-Theodor zu Guttenberg 
 neben den Überschriften in der Süddeutschen Zeitung

 

Kommentar zum Fall Guttenberg neben den SZ-Überschriften (16.2. bis 13.12.2011)

 

Als am 16.2 der Verdacht aufkam, der hoch angesehene Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg habe in seiner 2009 veröffentlichten Dissertation geschummelt und einige Teile abgeschrieben, ahnte noch niemand, welchen Sturm diese Nachricht in Parteienlandschaft, Hochschulen und Öffentlichkeit auslösen würde. Zu Guttenberg dementierte sofort und bezeichnete den Vorwurf als abstrus. Gleichzeitig nahm ihn der Zweitgutachter der Dissertation von der Prüfungskommission in der Universität Bayreuth, Rudolf Streinz, in Schutz: „Guttenbergs Arbeit sei sehr überzeugend gewesen.“ Also das Übliche: Erst einmal alles abstreiten. Dann schaun mer mal.

 

Der Verdacht war keine Luftblase. Schnell wurden die Anzeichen für Betrug zahlreicher, immer mehr Plagiate tauchten auf. Sogar die Einleitung war nicht von ihm, sondern aus der FAZ. Eine Schar von Plagiat-Jägern machte im zuständigen Suchrevier, dem Internet, reiche Beute. Täglich listeten sie weitere kopierte Textstellen auf.

 

Endlich regte sie die zuständige Fakultät in Bayreuth. Weitere Professoren der Universität wurden aktiv. Diethelm Klippel, Ombudsmann für Selbstkontrolle der Wissenschaft, oblag es, den Plagiatsvorwurf zu prüfen. Guttenberg sah darin kein Problem. In seiner unwiderstehlichen und meistens überzeugenden Art erklärte er: „Ich habe die Arbeit nach besten Wissen und gewissen angefertigt.“ Was sollte er sonst sagen? Schließlich hatte er bei Abgabe der Arbeit eine Ehrenerklärung abgegeben (§ 8 Promotionsordnung). Die Käßmann-Methode kam ihm offenbar (noch) nicht in den Sinn. Er war sich sicher, mit der Zubilligung mildernder Umstände rechnen und die Plagiatslawine umdeuten zu können als üble Verleumdung und gezielte Kampagne. Sich der Gunst des Volkes sicher gab er eine Stellungnahme ab, die einerseits seine moralische und rechtliche Situation nicht gerade verbesserte, andererseits den in Umfragen dokumentierten Verteidigungseifer seiner Anhänger und Verehrer aber um so mehr verstärkte. So erklärte Guttenberg kurze Zeit später: „Es bedurfte keiner Aufforderung, und sie gab es auch nicht. Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat, und diesen Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir. … sie enthält fraglos Fehler, und über jeden einzelnen dieser Fehler bin ich selbst am unglücklichsten. Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht und bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht….“

 

Mittlerweile waren schon 50 der ca. 475 Seiten (bei über 1200 Fußnoten) als Fälschung festgestellt. Sein „gern“ erklärter und „betonter vorübergehender“ Verzicht auf das Führen des Titels  war unerheblich, weil nur die Universität Bayreuth den Titel auf Grund schwerer Verfehlungen entziehen kann (was sie später tat). Für seine Bewunderer war diese Geste ein weiteres Zeichen seiner Souveränität, Anlass, die Bewunderung zu verstärken. 

 

Während Guttenberg eine Atempause in Afghanistan einlegte, stiegen die Zahl der kopierten Stellen und die Zahl der Sympathisanten im Volk. Die Verehrung der neuen Lichtgestalt am deutschen Politikhimmel vernebelte das sonst gesunde Volksempfinden. Die Fähigkeit zu unterscheiden zwischen Vergehen und Versehen schien einer beträchtlichen Anzahl von Bürgern abhanden gekommen zu sein. Und die Bundeskanzlerin? Sie verlor offenbar vorübergehend die Kotrolle über ihr Moralempfinden, als sie sagte, sie habe Guttenberg als Politiker und nicht als wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt.

 

Erste Forderungen nach Rücktritt des Ministers lösten wütende Proteste aus. Stets wurde auf die Fehlbarkeit des Menschen hingewiesen und dabei übersehen, dass Verzeihen eines Fehltritts das Bekenntnis zur Tat voraussetzt. Guttenbergs rechtswidrige Tat wurde erst lange nach Begehen der Tat von anderen Personen erkannt und von  ihm wiederholt bestritten. Welches Verhalten soll mildernde Umstände rechtfertigen? Und auf welches Handeln soll sich ein Vorsatz richten? Von Buße ganz zu schweigen. Sind das nicht die Voraussetzungen für christliches Verzeihen? Welcher Firmeninhaber würde einen zwar ausgezeichneten und fleißigen Buchhalter in seiner Firma weiter beschäftigen, über den jedoch bekannt würde, in erheblichem Umfang betrogen sowie persönliches Vertrauen missbraucht zu haben wie Guttenberg, und zwar mit der Begründung, er sei schließlich als Buchhalter eingestellt worden und mache seine Arbeit ausgezeichnet?

 

Je tiefer Guttenberg in Rechtfertigungsnot geriet umso massiver wurden die Vorwürfe seitens der Professoren der Uni Bayreuth, besonders der SPD und insgesamt der Wissenschaft (Professoren und Doktoranden). Auch die Bundeskanzlerin wurde kritisiert für die Verteidigung ihres Verteidigungsministers, dessen moralische Verfehlungen sie offenbar kalt lassen, solange er sein Ministerium einwandfrei führt. Ein Doktorand der Politikwissenschaft äußerte sich empört im Internet über Merkels moralischen Ausrutscher. Er sah darin eine „Verhöhnung aller ehrlichen Wissenschaftler“. Seinem Brief hatten bald viele Tausende zugestimmt. Dass 70 % der befragten Bürger keine Bedenken hatten, einen Betrüger und Täuscher in der Regierung zu haben, zeugt von einem eigenartigen Rechtsempfinden. Im familiären Umfeld würden sie sicher strengere Maßstäbe anlegen.  

 

Ohne Sympathiebrille war eigentlich abzusehen, dass sich Guttenberg nicht mehr lange wird halten können. Die Rücktrittserklärung am 1. März 2011 kam dennoch für viele überraschend. Zu einer Schuldeinsicht konnte er sich wieder nicht aufraffen. Das gab seinen Anhängern neue Nahrung für einen baldigen Neubeginn als Politiker, sofern nicht weitere ihn belastende Details bekannt würden, die seinen Sympathiepegel trotz Einsatzes des großbuchstabigen Massenblattes senken. Warum Guttenberg allerdings für das Kopieren der zahlreichen Textstellen mehrere Jahre benötigte, wird wohl auch sein Geheimnis bleiben. Mediziner schaffen ihre Doktorarbeit schon in 6 Monaten. Mit Kopieren lässt sich viel Zeit gewinnen.

 

Die Universität Bayreuth, anfangs noch zurückhaltend, musste sich wehren, offensichtlich die Gesetze der Forschung ignoriert zu haben. Der Ausdruck „wissenschaftlich aufgeblasene Unis“ machte die Runde. „Manche Unis führen sich auf, als seien sie Harvard oder Yale.“ (SZ) So gesehen ist dem Plagiator Guttenberg zu danken. Durch Bekanntwerden seiner Verfehlungen kamen viele Schwachstellen an den Unis, also nicht nur der in Bayreuth, zur Sprache. Die Windmaschinen mit wissenschaftliche Phrasen, Schummeln, Heucheln, Beeindrucken, Imponieren und andere Aufblasmethoden waren in vollem Einsatz, um wissenschaftliche Kompetenz und Leistungsvermögen glaubhaft zu machen.

 

Dem Aufruf des Bonner Mathematik-Professors Matthias Kreck und sieben weiteren Hochschullehrern an Standeskollegen mit einer „Erklärung zu den Standards akademischer Prüfungen“ schlossen sich einige Tausend Gleichgesinnte an. Unter ihnen Max-Planck-Direktoren, Fakultätsdekane, Lehrstuhlinhaber, Emeriti und Honorar-professoren. Viele äußerten Frust und Enttäuschung über den Schaden, den nicht nur Guttenberg, sondern auch seine Unterstützer aus den Regierungsparteien im Bildungswesen angerichtet hätten. Es wurde sogar der Verdacht geäußert, Merkel habe mit verzinkten Karten gespielt, um einen potentiellen Konkurrenten auszuschalten.  

 

Die Politik des Scheins passte und passt zu der generellen Überbewertung des Doktortitels. Schon der Irrglaube, er sei Bestandteil des Namens, verleiht dem Träger ein lebenslang geltendes besonders Ansehen. Ist der Titel das Ergebnis besonderer wissenschaftlicher Erkenntnisse mag die Belohnung mit Sonderrespekt begründet sein. Aber die pauschale akademische Verklärung verdrängt die Tatsache, dass der Inhalt der Dissertationen in der Regel unbekannt ist und häufig nur durchschnittliche Erkenntnisse oder triviale Aussagen enthält. Mediziner erhalten schon mit der Beurteilung selbsterstellter Statistiken ihren Titel. Schließlich bleibt mit der knappen Angabe des informationslosen Kürzels „Dr.“ verborgen, auf welchem Fachgebiet das prämierte Wissen erworben wurde, weil die Fakultät verschwiegen wird.

 

Was von der jeweiligen Bewertung einer Dissertation zu halten ist, bspw. von einer der höchsten „summa cum laude“, hat der Fall Guttenberg gezeigt: zunächst einmal NICHTS, weil sie durch Betrug erreicht wurde. Wenn aber bei 25 100 Promotionsprüfungen im Jahre 2009 insgesamt 23 047 (= 92 %) mit der Note „cum Laude“ und besser (magna und summa) belohnt wurden, kann nur eingeschränkt von einem Zeichen für eine besondere wissenschaftliche Leistung gesprochen, eher ein Grund für die Behauptung gesehen werden, dass der Doktortitel in Deutschland zur Massenware verkommen ist. Nicht unwichtige Gründe ihn zu erwerben sind Erhöhung des Ansehens, Ausgleich von Komplexen und berufliche Vorteile. Ein Soziologe: „Der Doktortitel verströmt eine Aura von Seriosität und hat damit auch einen gewissen Werbeeffekt. Der wissenschaftliche Wert ist jedoch gleich null.“ (DIE  ZEIT Nr. 10) Angesichts der inflationären Entwicklung der Promotionen fürchtet der akademische Nachwuchs die Entwertung des Doktortitels. Von „gallopierender Noteninflation“ ist die Rede. Die schwammigen Reaktionen der betroffenen Stellen wurden hilfreich ergänzt durch das Internet. Hier liegt die Hoffnung aller Reformwilligen. Es gibt genügend geistig Bewegliche, die nicht nur Ideen haben, sondern auch die Ausdauer, sich für sie und gegen die etablierten Bedenkenträger einzusetzen.

 

Zur Vervollständigung die übrigen Noten: 924 (= 0,04%) „befriedigend“ und 44 (=0,002%) ausreichend“. Ohne den begehrten Hut gingen 17 Doktoranden von dannen. 1 069 Noten blieben unbekannt. (DIE ZEIT 2011, Nr. 10)

 

Der Höhepunkt der Irreführung der Bevölkerung wurde erreicht mit dem Verschweigen und Nichtbeachten des BGH-Urteils im Jahr 1962. Eine starke Doktorlobby verhinderte seit 1962 mafiagleich erfolgreich, dass das in diesem Jahr ergangene BGH-Urteil zum Doktorgrad allgemein bekannt wurde. Der BGH (Bundesgerichtshof) stellte knapp aber für die Promovierten folgenreich fest, „Akademische Grade sind kein Bestandteil des Namens“. Eine Aussage, die in diesem titelverherrlichenden Land eine revolutionäre Erkenntnis darstellt. Sie widersprach der traditionellen Meinung im Volk und den wenige Monate vorher eingeführten neuen Vorschriften zum Passwesen völlig. Diese hätten in einem Land, das auf die Bezeichnung „Rechtsstaat“ so großen Wert legt, sofort geändert werden müssen. Die neuen Passvorschriften sahen vor, den Doktorgrad als „Dr.“ in der Namenszeile von Pass  und Ausweis einzutragen. Der sofortige Wegfall der lebenslangen akademischen Verzierung wäre ein enormer Ansehensverlust der Promovierten gewesen, wenn auch praktisch mit gewisser Verzögerung erst nach und nach wirksam geworden. Vielleicht hat sich durch das Verschweigen des Urteils nach seinem Erlass der Einsatz eines Personenschutzes für die Richter des erkennenden Senats erübrigt.

 

Dem überehrgeizigen Guttenberg kam jedenfalls, ob er das Urteil kannte oder nicht, die deutsche Titelwirtschaft sehr entgegen. Der Bedarf an Titeln ist  nach wie vor groß, das Angebot ebenfalls, allerdings mit diversen Arten der Erwerbsmethoden. Guttenberg profitierte von seinem gesellschaftlichen Stand und dem Vermögen der Familie. Wie nicht ungewöhnlich konnten gewisse systembedingte Hemmnisse in der Uni Bayreuth durch großzügiges Verhalten der Familie Guttenberg beseitigt werden, ohne dass ein Bezug erkennbar werden muss. Bspw. stellte es sich heraus, Guttenberg war wegen zu niedriger Vornote erst mit einer Sondergenehmigung zum Doktorexamen zugelassen worden. Auch das vorzeitige Tragen des Doktortitels gelang nur durch einen Dispens. Und wie stark persönliche Einflüsse zwischen Guttenberg und dem Doktorvater die Notenvergabe beeinflusst haben, bleibt einer späteren Untersuchung vorbehalten.

 

Allgemein und speziell für Guttenberg bot Deutschland ein ideales Klima, um das Ansehen zu erreichen, das ihm neben der gesellschaftlichen auch die akademische Sonderstellung verschafften würde. Ob Guttenberg auch dann den unwiderstehlichen Drang verspürt hätte zu promovieren, wenn der Doktortitel, falls überhaupt, nicht so auffällig an diversen Stellen des beruflichen und persönlichen Bereichs prangen würde (Pass, Ausweis, Bürotür, Bundestagsprotokoll, Visitenkarte usw.), muss stark bezweifelt werden. Sogar auf seiner Bundeswehrkleidung waren die zwei Buchstaben über Nacht aufgenäht worden. Ein weiteres Prahlhemnis wäre die Anordnung, den Titel grundsätzlich hinter dem Namen, und zwar vollständig mit Institut und Jahr des Erwerbs anzugeben. Auch der Titelhandel dürfte darüber nicht glücklich sein. Aber wer traut sich schon in Berlin, das akademische Glied zu amputieren?

 

Die öffentliche Diskussion stellte eine Reihe von Gewohnheiten im Hochschulwesen, besonders im Doktor-Beschaffungswesen in Frage. Aber allzu konkret werden die Hinweise nicht. Der Anfang März dokumentierte „Aufstand der Universitäten“ in Form von Stellungnahmen der großen Universitäten, im Einzelnen diverser Professoren, drückte Empörung über die allgemeine und von einzelnen Medien unterstützte Verniedlichung Guttenbergs Verfehlungen aus. Redlichkeit wird mit Pedanterie verwechselt. Dabei handelt es sich nicht einmal nur um Leute, denen die akademischen Begriffe nicht vertraut sind. Guttenbergs Doktorvater Peter Häberle sieht sich bitter enttäuscht und die Universität Bayreuth in Misskredit gebracht. Was Guttenberg als „handwerkliche Mängel“ bezeichnet hat, ist eine Beleidigung für jeden ehrlichen Handwerker. Unter Wissenschaftlern wird dies als „schwerwiegendes Vergehen“ angesehen. Matthias Kreck hält es sogar für einen Kulturverfall, wenn „so jemand noch Minister sein kann“. Er bedauert es auch, dass die Bundeskanzlerin und Parteifreunde Wissenschaft und wissenschaftliche Redlichkeit als Nebensächlichkeiten einstufen. Ein skandalöses Verhalten. Auch der Hinweis auf die USA fehlt nicht. In amerikanischen Spitzenuniversitäten wäre es undenkbar, den Doktortitel zur Erhöhung des beruflichen Status und des Einkommens zu benutzen. In Deutschland, einem Land mit langer Titeltradition, ist das Ignorieren des Titels eher die Ausnahme. Schließlich signalisiert er höchste Bildung und er garantiert lebenslanges besonderes Ansehen.

 

Und so ist zu vermuten, dass nach Abgabe von diversen Absichtserklärungen wie zum Beispiel Einberufung eines Kongresses, Reform des Promotionswesens, Einführung von Promotionsstudiengängen, Reform des Notenwesens und unabhängige Begutachtung der Dissertationen sowie einer gewissen Beruhigungszeit alles so bleibt wie es ist und der alte Universitätstrott mit allen Mängeln und heiß diskutierten Missständen erhalten bleibt. Es sei denn, das BGH-Urteil findet endlich die Beachtung, die ihm fast 50 Jahre lang verweigert wurde. Das Volk der „Dichter und Denker“ täte auch gut daran, einmal über seine Grenzen zu schauen. Von den Österreichern abgesehen gibt es kein ernst zu nehmendes Land, das noch im 21. Jahrhundert einen derart abstrusen Firlefanz mit dem Doktorgrad treibt. Nicht einmal die richtige Bezeichnung konnte sich im Sprachgebrauch durchsetzen.

 

Derzeit ist fraglich, ob Guttenberg in den ihm drohenden Verfahren wegen Urheber-verletzung strafrechtlich ungeschoren  davonkommt. Gutenberg wird sich nicht darauf herausreden können, er habe „nur“ eine ehrenwörtliche Erklärung abgegeben statt einer eidesstattlichen Versicherung, wie an anderen Universitäten. Dass es sich bei der „Erklärung“ nicht nur um eine floskelhafte Bemerkung handelt beweist die Belehrung der Doktoranden, mit der sie auf die strafrechtlichen Konsequenzen bei Fälschungen hingewiesen werden. Die Rechtsprechung bietet Fälle, in denen schon bei einer wesentlich geringeren Zahl von Plagiaten Strafen bis zum Doktorentzug verhängt worden sind. Außerdem fällt die private Nutzung der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unter „Untreue“.

 

Wer den verständnisvollen Artikel von Heribert Prantl "Verfassungsänderung" gelesen hat, kann ahnen, wie es Häberle zumute ist. Wenn ein Musiker keinen Trost mehr an "seinem" Instrument findet, muss die Enttäuschung über Guttenberg sehr tief sitzen. "Enttäu-schung"? Hier führt der Sprachgebrauch in die Irre. Die Vorsilbe "Ent" steht für die Rücknahme einer Handlung, hier der Täuschung, die Guttenberg allem Anschein nach bewußt ausgeführt hat. Wie kann ein Mensch mit dem Wissen um den Betrug unbelastet mit dem Betrogenen immer wieder verkehren? Offenbar wünscht sich ein großer Teil der Bürger Menschen mit diesen Charaktereigenschaften als Politiker. Die immer wieder abgegebenen Voten für Guttenberg lassen diesen Schluss zu. Aber wehe, sie werden selbst einmal zum Betrogenen!

 

Ab 1.4.2011 ist bekannt (AZ München), dass auch die Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten von Bayern Edmund Stoiber fast 40 Seiten (= 1/4) ihrer Dissertation abgeschrieben hat, samt Überschriften und Zwischenüber-schriften. Veröffentlichungen darüber in anderen Zeitungen wurden erfolgreich unterdrückt. Was sagte Stoiber zu Beginn der G.-Affaire? "Wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein."

 

Um den Staub zu entkommen, den er in Deutschland mit seiner Plagiaterei aufgewirbelt hat, verlegte Guttenberg im Sommer seinen Wohnsitz nach Connecticut in den USA. In einer „Denkfabrik“ sollte und wollte er den transatlantischen Dialog fördern. Monatelang hörte man nicht viel von ihm und seiner Familie. Bis ab 21.Vovember täglich von Ihm in den Medien berichtet wurde. Guttenberg, als „angesehener Staatsmann in Halifax angekündigt, äußerte sich auf einer Sicherheitskonferenz in Halifax, Kanada. Eingeladen hatte ihn das Halifax Security Forum zu einem Treffen von internationalen Sicherheitspolitikern. Neben US-Verteidigungsminister Leon Panetta waren u. a. der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat John McCain, James Hogue von Human Rights Watch und der Ökonom Alan Mendoza  anwesend. Mit verändertem Erscheinungsbild, ohne Brille und Haargel - man musste schon genauer hinschauen, um ihn zu erkennen, nahm Guttenberg kritisch zum Thema der Veranstaltung Stellung „Die weltweite Finanzkrise“. Von weit her angereiste Journalisten durfte erst nach Protest gegen den Ausschluss für ein paar Minuten den Saal betreten.

 

Guttenberg ließ seine Freude erkennen, endlich öffentlich beachtet seine kritische Meinung über die deutsche Libyenpolitik, die Finanzmisere in Europa und, aktuell, das substanzlose Gespräch zwischen dem britischen Premierminister David Cameron und Merkel äußern konnte. Die europäischen Regierungschefs seien unfähig, die Krise zu lösen und den Menschen die Situation zu erklären; vielmehr humpeln sie von einer kurzfristigen Lösung zur nächsten. Angela Merkel hat seine Kritik im Internet sicher nicht verfolgt.

 

Nebenbei gesagt. Der Besuch Camerons fand erwartungsgemäß unter negativer Spannung statt. Dafür hatte CDU-Fraktionschef Volker Kauder mit dem Ausspruch gesorgt, „In Europa wird wieder Deutsch gesprochen“, was im Königreich fast schon überwundene Ressentiments aufleben ließ. Kauder darf sich seitdem als Ursache  eines neuen Wortes betrachten: to kauder“ auf englisch und „kaudern“ auf deutsch.

 

Persönliches zur Vergangenheit ließ Guttenberg sich nicht entlocken, allenfalls die Andeutung einer Wiederkehr in die deutsche Politik. In seinem zuständigen Landkreis Kulmbach wird damit auch Mitte nächsten Jahres fest gerechnet. Davon ist jedenfalls der emeritierte Professor für Geschichte an der Uni Bamberg Wolfgang Protzner aus Kulmbach und Freund der Familie fest überzeugt. Guttenberg ließ seine Warnung unbeachtet, eine Doktorarbeit mit der linken Hand zu schreiben. Jetzt schwärmt er davon, wie Guttenberg bayerischer Meinungsführer in Sachen deutscher Außenpolitik werden könnte. Die Vorbereitungen für eine „Jubelveranstaltung“ anlässlich Guttenbergs Rückkehr im kommenden Jahr laufen auf vollen Touren.

 

Dazu passt auch das in Kürze erscheinende (29.11.2011) Buch Guttenbergs „Vorerst gescheitert“ über ein Gespräch mit Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, über „die großen Themen der Zeit“, den „schlechten Zustand der deutschen Politik und der Parteien“ sowie „notwendige Schritte in der Europa- und Außenpolitik“.

 

Wie bestellt hat Guttenberg ein  weiteres Problem vom Hals: Ca. 200 Anzeigen gegen ihn, die meisten wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht, lagerten in der Staatsanwalt-schaft Hof. Laut Begründung der Staatsanwaltschaft für die Einstellung des Verfahrens habe Guttenberg die Urheber der von ihm abgeschriebenen Texte  wirtschaftlich nur marginal geschädigt. Nicht nur Martin Schwab, Professor an der Freien Universität Berlin, Fachbereich Rechtswissenschaft, hält die Begründung für falsch. Mit ihr wird Sinn und Zweck des Urheberrechts völlig verkannt , die Prüfung auf Rechtsverstöße erschwert und vor allem das Recht geschwächt. Es ist zu erwarten, dass eine Reihe von Anzeige-erstatter sich damit nicht abfinden wird.

 

Der Preis für den Deal und vor allem für die Abwehr einer Vorstrafe: 20.000,- EUR als Spende, die in der Regel steuerlich absetzbar ist. Nicht einmal Peanuts für den Baron. Vermutlich war Guttenberg über die Entscheidung in Hof vorab informiert worden, was ihm die Planung für den Neustart in Deutschland erleichterte wenn nicht überhaupt ermöglicht. Eine eventuelle Verurteilung und damit die Befleckung des Leumunds hätten nicht gepasst zu der plötzlich über das Land hereinbrechenden Nachrichtenflut über den immer noch besonders in Bayern verehrten und beliebten Baron. Guttenberg. So blieb die Vorbereitung der Rückkehr des „politischen Menschen“, wie sich Guttenberg selbst sieht, durch keine negative Nachricht getrübt. „Die CSU wartet zwar“, wie der Chefreporter Matthias Maus in der AZ München vom 24.11.11 schrieb, „auf einen Retter, aber es gibt viele an der Spitze, von Seehofer (hält die Rückkehr Guttenbergs für wünschenswert) über Söder bis Haderthauer, die gar nicht gerettet werden wollen.“

Guttenbergs Buch mit dem mehrdeutigen Titel „Vorerst gescheitert“ erweckte nicht nur durch den Mitautor besondere Aufmerksamkeit. Das Buch entstand aus einem dreitägigen Interview des Zeit-Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo mit Guttenberg in einem Londoner Hotel. Außerdem durfte Das Wochenblatt einen vierseiten-langen Ausschnitt aus dem Buch, Überschrift „Es war kein Betrug“, abdrucken. Die ZEIT-Leser fanden diese Art der Werbung für den Plagiatspezialisten Guttenberg gar nicht lustig und rührten sich massiv mit einer ungewöhnlich hohen Zahl von Leserbriefen und eine Woche später mit Leserbriefen zu den Leserbriefen („Wozu die ganze Aufregung? – „Pfui! Pfui! Pfui! “ – Reaktionen auf das Interview mit Karl-Theodor zu Guttenberg)
 

In ZEIT-Online wird gefragt „Selbstdemontage oder Comeback? Karl-Theodor zu Guttenberg tut demütig und greift doch an. Seine Methode ist die alte: Er polarisiert und überhöht sich selbst.“ Guttenberg gelang es vor allem nicht, sein wiederholt als „unge-heuerlichen Fehler“ bezeichnetes Verhalten beim Verfassen seiner Dissertation als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich als Betrug. In Bayern in gläubiger Umgebung aufge-wachsen und auch selbst als gläubiger Christ müsste er eigentlich wissen, dass Verge-bung nur nach Bekenntnis zur Tat erfolgen kann. Nach den fühlbaren Folgen wird er wohl, ohne es auszusprechen, wenigstens mit dem Vorsatz leben, eine Wiederholung künftig zu unterlassen. Ignoranz gegenüber selbst begangenem Unrecht und übersteigertes Selbstbewusstsein sind keine Empfehlung für höherwertige verantwor-tungsvolle Aufgaben.

Was dagegen perfekt gelang war das Timing. Buchankündigung und Veröffentlichung der Einstellung des Verfahrens vor dem Amtsgericht Hof passten gut zusammen. Die Erstauflage mit 80 000 Exemplaren war nach wenigen Tagen ausverkauft, ein Nachdruck mit 35 000 folgte sofort. Der nicht einmal ein Jahr alte Fall Guttenberg lagerte noch frisch im Gedächtnis der Bevölkerung. Das sprichwörtliche Gras hatte nicht genügend Zeit, um drüber wachsen zu können.

Ohne überempfindlich zu reagieren, in der Aktion der ZEIT bemerkten viele ein „Gschmäckle“, auch das Konkurrenzblatt „DER SPIEGEL“. Er reagierte sofort und versuchte in einem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo diesem eine (anrüchige) Werbeaktion für Guttenbergs Buch nachzuweisen: „Wir halten das Buch für einen professionellen Fehler, weil Sie sich haben einspannen lassen. Und obwohl sie Ihre Unabhängigkeit beteuern – Sie sind dadurch Teil eines Spiels geworden.“ Di Lorenzo, u. a. bekannt durch seine Gespräche mit Helmut Schmidt, wehrte sich hartnäckig gegen den Vorwurf, nicht kritisch genug gefragt zu haben. Ob aber Frager des SPIEGEL selbst erfolgreicher gewesen wären ist zweifelhaft.

Nach diversen Rundschlägen gegen Politiker und Parteien ließ  Guttenberg die Leser, ob seines Buches oder des Zeitabdruckes, über seine Zukunft in Deutschland im Unklaren. Besonders die beabsichtigte Parteigründung dürfte so manchem Parteifunktionär Unbehagen bereiten.

Die Diskussion um Guttenbergs Buch war noch in vollem Gange, da tauchte er in Brüssel auf. Dort wollte die EU-Kommissarin Neelie Kroes die freie Nutzung staatlicher Datenschätze und Anti-Zensur-Software fördern. Guttenberg sollte ihr dabei helfen. Kroes kannte Guttenberg aus der Zeit als Wirtschaftsminister und war bis vor zwei Jahren für Wettbewerb zuständig. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Meinungsgefechte mit Peer Steinbrück. Ob Guttenberg die richtige Besetzung für den Posten ist, wird sie noch feststellen. Zunächst blieb sie gelassen. Sie wolle keine Heiligen, sondern Talente und wisse, dass Guttenberg die nötige Kompetenz für seine neue Aufgabe mitbringe. Die Pressekonferenz in Brüssel lief fast ab wie ein Kreuzverhör. Mit jeder Frage wurden seine Antworten kürzer. Etwa bei der vom „SPIEGEL“: „"Freiheit im Internet, heißt das Copy-and-Paste für alle?" Guttenberg: "Die Freiheit des Internets ist das Hauptziel, über das wir hier reden." Die Anspielung auf ein Comeback in Deutschland konterte er mit der Verneinung einer Wiederkehr „in den nächsten Wochen oder Monaten“.

 

Die SZ sieht in Brüssel eine Fortsetzung einer bizarren Politsatire. Da drängt es jeman-den gewaltig auf die politische Bühne zurück. Einen Gefallen tue er sich damit nicht. Roland Preuß meint: „Erst spukt er auf einer kanadischen Sicherheitskonferenz, ver-schreckt wenig später die eigene Partei durch ein Interviewbuch, jetzt taucht er in Brüssel als EU-Berater für Internet-Freiheit auf.“ Bizarrer gehr es kaum noch, SZ am 13.12.11.

Feststellung: Eine große Zahl der Dissertationen enthält brauchbare bis ausgezeichnete oder sogar außergewöhnliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

 

Ulrich Werner

 

Die Überschriften in der Süddeutschen Zeitung

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