Ist der BGH in Ausweisbelangen eine Stammtischrunde? Der BGH hat 1962 festgestellt, daß Doktorgrade kein Bestandteil des Namens sind. Länderregierungen haben das Urteil mit Billigung der Bundesregierung jahrzehntelang ignoriert, oft mit dem Hinweis auf die vom BGH eingeräumte Möglichkeit, den Doktorgrad, obwohl kein Bestandteil des Namens, in Personenstandsbüchern und in Personenstandsurkunden einzutragen. Die jahrzehntelangen Befürworter der Eintragung, sogar aktive Juristen übersahen und übersehen stets den gravierenden Unterschied zwischen Personenstandsurkunden und dem Paß, der als „Hochsicherheitsdokument ausschließlich zur Identifizierung der Person dient. Diesen Juristen und anderen Hochgebildeten, durch die Promotion als wissenschaftlicher Leistungsträger gekennzeichnet, fiel seit dem BGH-Urteil vor 45 Jahren kein schlüssiges Argument für den Mißbrauch des Passes als amtlichen Ausgleich mangelnden Selbstbewußtseins ein. In Konsequenz müßten die Befürworter der Eintragung auch den Eintrag anderer Fähigkeiten und Eigenschaften zulassen, wie Führerscheinerwerb, PC-Kenntnisse, Haarfarbe usw. Warum werden nicht auch sportliche Erfolge (Olympiasieg, Weltmeisterschaft) im Paß vermerkt?
In einem Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht in München (1981) hat ein Vertreter der Landesanwaltschaft die an sich triviale Behauptung bestätigt, daß akademische Grade nicht zur Identifizierung einer Person erforderlich sind. Er schlug sogar vor, den Doktorgrad nicht im Paß aufzunehmen.
Der Doktor-Tourismus im Bereich von Großstädten Seit vielen Jahren klagen die Meldebehörden über den hohen Verwaltungsaufwand beim Eintragen von Doktorgraden, vor allem wegen der Vielzahl illegal erworbener Grade. Der Bundesregierung schien daher die EU-Verordnung willkommen zu sein, um endlich beim Bürokratieabbau aktiv zu werden. Die Verordnung gibt ihr gegen die übertrieben traditionsverhafteten Länderregierungen ein gutes Argument, den Behörden das Ausstellen von Pässen und Ausweisen zu erleichtern. Im Bereich von Großstädten wie München ist es üblich, daß sich Träger eines illegalen Doktorgrades in einem kleinem Ort des Umkreises anmelden und dort einen Paß beantragen, wo die Prüfung des wer weiß wo erworbenen (ausländischen) Doktorgrades nicht so streng ist wie in München. Nach Erhalt des neuen Passes kehrt der Herr Doktor nach München zurück.
Nivellierung des Doktorgrades Das Doktorkürzel Dr. als Beweis einer angeblich besonderen wissenschaftlichen Leistung läßt diese Leistung auch nicht im Ansatz erkennen. Dissertanten mit trivialen Erkenntnissen in ihrer Arbeit und sogar solche mit gekauften Graden werden gesellschaftlich genauso aufgewertet wie Promovierte, die eine nachweislich herausragende Leistung erbracht haben. Auch das Verschweigen der Fakultät nebelt die angeblich besondere wissenschaftliche Leistung ein. Es kann sich daher kein Promovierter dagegen wehren gefragt zu werden, ob die Dissertation zum Thema „Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern" etwa von ihm stamme.
Mißachtung des Gleichheitsgrundsatzes Die früher fast uneingeschränkt geltende Ansicht, der Doktorgrad, in der Umgangssprache oft als Doktortitel bezeichnet, sei Bestandteil des Namens, hat offenbar den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 GG außer Kraft gesetzt. Die Ansicht, eine Dissertation erfordere eine wesentlich größere wissenschaftliche Leistung als ein Diplomabschuß ist längst nicht mehr begründet. Viele Akademiker, bspw. Juristen, haben ein komplettes Studium absolviert und leisten ohne Doktorgrad nicht weniger als andere mit ihm. Auch die Zahl der Ärzte steigt, die sich ohne Doktorgrad niederlassen und wegen der Überbewertung des Doktorgrades mit dem Verdacht fertig werden (müssen), kein vollwertiger Arzt zu sein. Außerdem war es möglich, und es wurde auch entsprechend genutzt, ohne Staatsexamen zu promovieren. Die genannten Personen (ohne Doktorgrad) genießen alle zunächst automatisch ein minderwertigeres Ansehen als Promovierte.
Beginnt deutsche Tradition erst im Jahr 1988? Gerade diejenigen, die sich beim Verteidigen der Doktorgradeintragung im Paß auf die Tradition berufen, maßen sich an, Art und Beginn der Tradition zu bestimmen. Außerdem kennen sie die Entstehungsgeschichte des Dr.-Kürzels nicht. Das Doktorgradkürzel (Dr.) bedeutete ursprünglich „studierter Heilkundiger und wurde als Markenzeichen gegenüber den nichtstudierten „Quacksalbern benutzt.
Früher wußte jeder, daß das Kürzel einen Studierten mit medizinischer Ausbildung bezeichnet. Die gegenwärtige Vielzahl von Fachrichtungen erhöht das Bedürfnis, das Sachgebiet des Promovierten zu erfahren. Der verstümmelte Doktorgrad läßt nicht erkennen, welches Gebiet durch die angeblich besondere „wissenschaftliche Leistung" bereichert worden ist. Bisher hat auch noch niemand begründen können, warum der Doktorgrad eine lebenslange Sonderstellung des Promovierten rechtfertigt. Das Paßdokument wird oft von denjenigen als Leistungsbeweis mißbraucht, die außer ihrer Dissertation mit unbekanntem und nicht selten geringem Wert in ihrem späteren Leben keine anerkennenswerten Leistungen mehr vorweisen können. In den Büchern von Achim Schwarze über die „Dünnbrettbohrer in Bonn", dem damaligen Sitz der Bundesregierung, kann sich jedermann über diese "besonderen wissenschaftlichen Leistungen" von Politikern in Bonn informieren. Oft reichte schon eine Sammlung von Floskeln und inhaltsleeren Allgemeinheiten aus, um einen Doktorgrad als lebenslange Verzierung des Namens zu erhalten. Selbst der Bruch des Amtseides eines Bundeskanzlers konnte nicht bewirken, daß ihm die akademische Würde aberkannt wurde, was bei einem derart gravierenden Vergehen möglich ist und angebracht gewesen wäre. Wenn alle "besonderen wissenschaftlichen Leistungen" wie bspw. die von Nobelpreisträgern, Forschern und Wissenschaftlern aller Gebiete ihren Niederschlag im Paß finden sollten, dann wäre ein Beiblatt für den Paß erforderlich.
Warum sind die Dissertationen unserer Politiker, vor allem derjenigen, sie sich für die Eintragung im Paß einsetzen, nicht ohne weiteres öffentlich zugänglich? Herr Beckstein hat es abgelehnt, seine Dissertation auf meiner Webseite zu veröffentlichen. Was hat er zu verheimlichen? Die Überbewertung des Doktorgrades bestärkt Vorurteile Das vor mehr oder weniger langer Zeit mit Dissertation und Rigorosum erfolgreich abgeschlossene Studium ist keine Garantie für auch im späteren Leben erbrachte Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. Die lebenslang automatische besondere Beachtung des Doktorgrades setzt die Mitbürger ohne die akademische Verzierung, obwohl ebenfalls Leistungsträger der Gesellschaft, automatisch herab. Bspw. ist immer noch das Vorurteil weit verbreitet, der Herr Dr. Meier könne, wisse und leiste mehr als der Herr Meier, und zwar bis zum Beweis des Gegenteils. Vorurteile nützen keiner Gesellschaft. Sie sollten verringert, nicht gepflegt werden.
Der Titelhandel wird gefördert Tageszeitungen und Internet bieten ständig akademische Grade und Titel zum Kauf an. Sogar Während der Amtszeit von Franz-Josef Strauss als Ministerpräsident von Bayern war Lothar Bossle, der "Professor mit dem schlechten Ruf", wie er in der "ZEIT" vom 3.10.1991 bezeichnet wurde, in Würzburg sehr erfolgreich mit dem kurzfristigen Beschaffen von Doktorgraden für CSU- und andere Freunde, sogar aus dem Ausland. Seine Frau sorgte für den Druck der Dissertationen. Das Ehepaar Bossle mußte das einträgliche Geschäft aufgeben. Die Doktorgrade stehen jetzt in den Pässen der ehemaligen Kunden und bestätigen die „außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen der nun zeitlebens akademisch Verzierten. Seit einiger Zeit sind Doktorgrade aus östlichen Ländern einem Bericht der SZ nach bei Abgeordneten des Bayerischen Landtages begehrt. Die Titelhändler werden sich die Hände reiben und der Bundesregierung einige Kerzen widmen. Die Zahl der Titelwünsche wird steigen. Das Geschäft mit der Eitelkeit wird neuen Blüten zustreben.
Der Staat als Therapeut für komplexbehaftete Akademiker Ein Klinikchef im Saarland hat von seinen Ärzten verlangt, sich gegenseitig mit dem Doktorgrad anzureden, um das Ansehen der Klinik zu heben. Anscheinend erkannte er das Fehlen von fachlichen Qualifikationen und Selbstbewußtsein seiner Mitarbeiter. Ich habe ihm empfohlen, statt dessen die Erfolgsstatistik der Klinik zu veröffentlichen. Wer im späteren Leben nicht durch besondere Leistung aufgefallen ist oder in seinem beruflichen und privaten Umfeld kein oder nicht ausreichendes Ansehen geniest und mehr gelten möchte, hat vielfältige Möglichkeiten, einen Hinweis auf seine ehemals erworbenen akademischen Würden zu veröffentlichen: auf Türschildern vor Büro und Wohnung, auf dem Klingelschild am Haus, auf Briefköpfen und Visitenkarten. Es ist verständlich, daß persönliche Komplexe den Drang nähren, sich auch mit dem Paß als Träger akademischer Würden zu offenbaren. Ebenso verständlich ist die Passivität Nichtpromovierter in Sachen Paßeintrag, weil sie nicht des Neids auf den Doktortitel bezichtigt werden möchten oder weil sie dienstlich oder beruflich abhängig sind.
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