Sehr geehrter Herr Neumann,
laut focus.de/politik/ …./gruene-wollen ….. bezeichnen Sie im letzten Absatz die Forderung von Krista Sager, den Doktortitel im Ausweis zu streichen, als "Sommertheater" und "Witz". Hoppla, das soll wohl ein Witz sein.
Nach Kenntnis Ihrer sicher anerkennungswürdigen diversen wissenschaftlichen Tätigkeiten ist es verständlich, dass Sie sich von dem Inhalt der „Grünen-Drucksache 17/5195 angesprochen fühlen. Doch die betrifft nicht die Forderung der Grünen, den Doktorgrad im Ausweis zu streichen, sondern das Promotionswesen an deutschen Universitäten. Das sind zwei völlig verschiedene Themen.
Zum Doktoreintrag: Ich kann mir Ihre abwertenden Bezeichnungen nur dadurch erklären, dass Sie als Promovierter von Sagers Forderung direkt betroffen sind und auch Sie das Signal für den Anspruch auf lebenslanges hohes Ansehen als "Herr Doktor" nicht preisgeben wollen. Hoffentlich wirbelt Frau Sager genügend Staub auf, damit endlich allgemein bekannt wird, dass der Doktorgrad kein Bestandteil des Namens ist. Offenbar kennen auch Sie nicht die Urteile von BVG (1957) und BGH (1962), auf die sich Sagers Forderung stützt. Sie hat deutlich ihren Finger in eine rechtsstaatliche faulende Wunde gelegt, die seit 50 Jahren offen ist und nur deshalb nicht tödlich wirkt, weil eine Doktorlobby erfolgreich für die Geheimhaltung und die Missachtung höchstrichterlicher Rechtsprechung sorgt. Und das in einem Staat, der sich rühmt, ein Rechtsstaat zu sein.
Die Beseitigung eines personenstandsrechtlichen Skandals als Witz zu bezeichnen halte ich für absurd. Ich glaube auch nicht, dass Ihre völlig unangemessene Wortwahl einer Parlamentskollegin gegenüber sachlich hilfreich ist. Schon deshalb nicht, weil Sie zum Thema Passeintrag nichts zu sagen wissen. Das Recht, Herr Neumann, steht auf Seiten von Frau Sager.
Schon vor vier Jahren wollte Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, im Sinne von Frau Sagers „witzigen Forderung die urteilswidrige Eintragung des Doktorgrades in Pass und Ausweis abschaffen. War Schäuble ein Witzbold? Sein Ministerium hatte umfangreiche Änderungen von Gesetzen und Bestimmungen erarbeitet. Haben Sie damals Schäubles Vorstoß auch öffentlich als Witz bezeichnet? Der bayrische Traditionsguru Günther Beckstein zog damals die Traditionskeule aus dem Hut und Schäubles Vorschlag war nur noch Makulatur. Eitelkeit besiegte die Vernunft und im Ausland lachte man weiter über den Titelzirkus in Deutschland.
Der Fehler liege im System, sagen Sie. Welcher Fehler? Wenn Sie die Fälschungen meinen und die mangelnde Güte der Dissertationen, dann hilft es nicht, die Zahl der Gutacher zu erhöhen, sondern es muss die Güte der Gutachter erhöht werden. Recht haben Sie, die Verquickung von Doktorandenzahl und Mittelzuweisungen an die Fakultät führe zum Qualitätsverlust der Dissertationen.
Drang und Gier nach dem Kürzel Dr. vor dem Namen werden gespeist von der Aussicht auf lebenslanges hohes Ansehen in der Gesellschaft. Die Klage über unredlichen Erwerb des Titels (Plagiat, Kauf, Betrug) ist scheinheilig.
Erfahrungsgemäß wird Sagers akademischer Stoßseufzer im "traditionellen" deutschen Titelrausch wenig beachtet werden und nach kurzer Zeit vergessen sein. Wahrscheinlich bedarf es wieder einmal eines europäischen Urteils, um Deutschland zur Umsetzung der Urteile seiner Gerichte zu veranlassen.
Ulrich Werner am 25.7.2011
Das deutsche Titelwesen Macht und Schein der Titel
Antwort von Herrn Neumann vom 10.8.2011
Erwiderung an Herrn Neumann am 28.8.2011
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